Sachsen Sachsen: Filmteam lässt legendären «Colditz-Gleiter» abheben

Colditz/dapd. - Es war ein tollkühner Plan, mit dem John WilliamBest und Bill Goldfinch in den letzten Kriegstagen aus demSpeziallager Oflag IV C auf Schloss Colditz in Sachsen fliehenwollten. Ein aus Tischbeinen, Fußbodendielen und Bettwäschezusammengebautes Fluggerät sollte die beiden britischen Offizierevom Kirchendach des Schlosses über den Fluss Mulde katapultieren undsie in die Freiheit bringen. Der Plan wurde nie vollzogen, weil dievorrückenden Amerikaner schon am 18. April 1945 die Stadt befreiten.67 Jahre später stellte ein britisches Filmteam nun denspektakulären Fluchtplan erfolgreich nach.
Zwtl.: Flieger und Puppe völlig demoliert
Mit einem kurzen Krachen rauschte am Samstagnachmittag einebetongefüllte Badewanne die Schlosswand hinab und katapultierte denGleiter über eine Rampe aus dem Schloss. Ganze 15 Sekunden dauerteder Flug aus 60 Metern Höhe, dann schlug der mit einer Gummipuppebemannte Gleiter auf einer Wiese neben der Mulde auf. Puppe undFlieger waren sichtlich demoliert, dennoch jubelten die englischenFilmemacher über den wunderschönen Kurvenflug. «Für uns ist es derendgültige Beweis, dass der Colditz-Flieger geflogen wäre», freutesich Yad Lutnra, Sprecher des Fernsehsenders Channel 4, der den Flugfür einen Dokumentarfilm organisierte.
Die Geschichte der Kriegsgefangenen von Colditz fasziniert dieBriten offenbar noch immer. Rund 300 Fluchtversuche soll es zwischen1939 und 1945 in dem Speziallager gegeben haben, in dem vor allembritische Offiziere untergebracht waren. Um den spektakulärstenaller Fluchtpläne nachzuspielen, hatte der englische Sender, dersich als eine Mischung aus DMAX und ProSieben beschreibt, nun dasSchloss Colditz für zwei Wochen in Beschlag genommen. Auf dem Dachdes Schlosses, das immerhin zu den bedeutendsten RenaissancebautenMitteldeutschlands zählt, nagelten Mitarbeiter die rund acht Meterlange Rampe fest.
Seitens der Stadt Colditz, die in England weitaus berühmter istals in Deutschland, ließ man die Filmleute gewähren. «Wir haben denFilmleuten einfach die Rechte der Alliierten nach dem Kriegeingeräumt und sie machen lassen», sagt Bürgermeister MatthiasSchmiedel (parteilos). Im Gegenzug erhofft sich Schmiedel für seineStadt eine noch größere Popularität im Commonwealth. «Rund 40Prozent unserer Gäste kommen von dort. Vielleicht werden es mit demFilm noch mehr.» Ausgestrahlt werden soll der Dokumentarfilm imSommer.
Zwtl.: Nicht der erste Versuch
Es ist indes nicht der erste Flug des Colditz-Fliegers für dasFernsehen. Schon 1993 ließ ein britisches Kamerateam ein Modell desFliegers in Maßstab 1:3 über die Mulde segeln. Für den Versuch wareigens der Originalprotagonist John Best im Alter von 81 Jahren nachColditz zurückgekehrt.
Bis ins Detail originalgetreu rekonstruiert wurde der Flieger vorzwei Jahren im thüringischen Altenburg. Mitglieder eines Flugvereinsübertrugen ein überliefertes Foto und die Erzählungen von Best ineinen professionellen Konstruktionsplan. «Es war ein sechs Meterlanger Hocheindecker, in dem zwei Offiziere Rücken an Rücken sitzensollten», sagt Jürgen Müller vom Altenburger Verein. Rund zwei Jahrebauten die Altenburger an dem Modell, am Ende scheiterten jedochsämtliche Flugversuche.
Weshalb die Thüringer davon ausgehen, dass das Original niegeflogen wäre. «Vorausgesetzt, es hätte damals überhaupt leichteMaterialen gegeben, hätte er inklusive zweier Menschen über 300 Kilogewogen», sagt Müller. Folglich wären Best und Goldfinch, wenn siedenn überhaupt von den deutschen Wachmannschaften unentdecktgeblieben wären, «wie Steine vom Schloss geplumpst».