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Sachsen Sachsen: Erfolgreich mit Theraphosa blondi

Von HARALD LACHMANN 03.06.2011, 12:48

Halle (Saale)/MZ. - Die Dame des Hauses gibt sich unwirsch. Karsten Scheich muss sie erst mit einem Bambusstäbchen an einem ihrer acht Beine kitzeln, ehe sie sich überhaupt bewegt. Und siehe da - plötzlich kommt sie mit einem Respekt einflößenden Satz aus ihrer Baumhöhle geschnellt. Doch selbst angesichts einer opulenten Beinspannlänge von gut 30 Zentimetern mag man nicht glauben, dass das behaarte braune Wesen jene weltgrößte Vogelspinne sein soll, um die sich manch schaurige Legende rankt. Immerhin können ihre giftigen Beiß- und Greifwerkzeuge - so genannte Chelizerenklauen - stattliche 2,5 Zentimeter lang wachsen. Mäuse gehören denn auch zu ihrer bevorzugten Beute.

Theraphosa blondi heißt der Riesengliederfüßler offiziell. Zu Hause ist er im Regenwald von Venezuela und Brasilien, und das Guinness Buch führt ihn als den Giganten unter den 900 bisher bekannten Vogelspinnenarten. Wer nicht wie Karsten Scheich zu ihren Züchtern gehört, nennt sie auch laienhaft Goliath-Vogelspinne.

Doch der 35-Jährige aus dem sächsischen Lichtenstein ist sogar ein ausgesprochener Spezialist für Theraphosa blondi. Seit Jahren gelingen ihm daheim in seiner kleinen Wohnung im fünften Stock eines Neubaublocks erfolgreiche Nachzuchten, die ihm in der Welt der Spinnenfreaks weithin Beifall einbringen. Denn die Riesenvogelspinne lässt sich in Gefangenschaft so leicht nicht vermehren. Das Liebesleben seiner acht Weibchen und zwei Böcke sei zwar intakt, erzählt der Lichtensteiner. Doch habe es ihn Jahre des Experimentierens gekostet, ehe die 700 bis 1 000 Eier, die so eine Achtfüßlerin in ihrem Kokon einspinnt, auch befruchtet sind. Und selbst nach dem Schlüpfen reagierten die Larven und Nymphen noch sehr empfindlich auf äußere Einflüsse. Da sei viel Fingerspitzengefühl nötig.

Im Übrigen bedeutet die Paarung für Scheich stets höchste Anspannung. Denn die oft deutlich größere Spinnendame habe ihren Liebhaber buchstäblich zum Fressen gern. "Das geht blitzschnell", weiß er. "Eben noch lässt sie sich beglücken und im nächsten Moment stürzt sie sich auf ihn." So müsse er dann ebenso schnell dazwischen gehen und die Tiere am besten vorher gut füttern. Satte Spinnen wären weniger mordlustig.

Die Liebe zu Tieren scheint Scheich in die Wiege gelegt. Schon als Kind stellte er stundenlang Schlangen und Salamandern nach, um sie zu beobachten. Doch daheim duldete die Mutter kein Getier. Erst als er nach der Metallarbeiterlehre eine eigene Bleibe bezog, legte er richtig los. Von Schlangen und Leguanen verabschiedete er sich indes wieder. Sie waren ihm zu aufwendig, sprengten die Grenzen der kleinen Wohnung, die er heute mit Frau und Kind teilt. Nur den Spinnen blieb er treu.

Seine ersten Exemplare waren eine Rote Chile-Vogelspinne und eine Kraushaarvogelspinne. "Typische Anfängertiere halt", schmunzelt er heute. "Schön anzuschauen, leicht zu halten, preiswert und in jeder Zoohandlung zu haben." Er baute erste Terrarien selbst, begann Grillen und Schaben als Futtertiere zu züchten, probierte Bodensubstrate aus. Schließlich trennte er eine Ecke des Wohnzimmers mit Trockenbauelementen als kleines Troparium ab. Denn um die Tiere artgerecht halten und züchten zu können, muss hier die Temperatur konstant bei gut 25 Grad liegen. Die Luftfeuchtigkeit reguliert er gar von Terrarium zu Terrarium individuell - je nachdem, woher die Tiere stammen.

Täglich bis zwei Stunden nimmt ihn heute sein gewöhnungsbedürftiges Hobby in Beschlag. Scheich liest Fachbücher und Zeitschriften, korrespondiert mit Zuchtkollegen quer durch die Republik, bestimmt Arten, kümmert sich um Futter. Beköstigt würden die Spinnen übrigens nur alle 14 Tage, erzählt er. Das entspreche dem Rhythmus in der Natur, sonst würden sie sich überfuttern. Stets gibt er ihnen hierbei lebendige Nahrung. "Ihr Beutetrieb muss ja erhalten bleiben, anders wäre es nicht artgerecht", begründet der Züchter.

Vor allem aber beobachtet Scheich seine Tiere. "Das hat etwas ungemein Beruhigendes", versichert er. Auf die Hand nehme er die Spinnen allerdings selten, fügt der Sachse hinzu. "Es sind Anschauungs-, keine Spielobjekte", betont er. Zu beobachten hat Scheich heute einiges. Denn in seinen Terrarien krabbeln mittlerweile 1 300 Spinnentiere. Allein Vogelspinnen sind in 60 Arten vertreten. Hinzu kommen Geißelspinnen, exotische Weberknechte und Geißelskorpione. Oft bringt der 35-Jährige sie von Fachbörsen mit, auf denen er bundesweit Stammgast ist. Durch die Tauschmöglichkeiten, die sich hier bieten, erfüllt sich für ihn auch eine wichtige züchterische Motivation: "Dadurch lassen sich oft Wildfänge vermeiden. Denn die Biotope vieler Spinnentiere sind stark gefährdet."

Auf die Frage, wie oft er denn schon gebissen wurde, reagiert Scheich fast entschuldigend: "Noch nie!" Natürlich wäre solch ein Biss recht schmerzhaft, weiß er von Kollegen, denen das passierte. Es führe zu Schwellungen. Doch Berichte über Menschen, die durch eine Vogelspinne zu Tode kamen, verweist er ins Reich der Fabeln. Dafür gebe es selbst weltweit nicht einen ernst zu nehmenden Beweis.

Karsten Scheich plant, Theraphosa blondi persönlich aufzusuchen. Mit Zuchtfreunden will er nach Venezuela reisen, um ihr im Regenwald "Guten Tag" zu sagen. Dass er fündig wird, darin besteht kein Zweifel: Kenne er doch ihre Gewohnheiten und Lebensweisen bestens, meint er schmunzelnd.