Abwasser-Untersuchung auf Coronaviren Wie entwickelt sich die Corona-Pandemie? Auf der Jagd nach Viren in Sachsen-Anhalts Klärwerken
Nach mehr als zwei Jahren Pandemie wollen Forscher in Sachsen-Anhalt neue Daten sammeln. Sie untersuchen das Abwasser auf das Coronavirus. Was sie sich davon versprechen.

Halle - Die braune Glasflasche mit blauem Deckel fasst 250 Milliliter, ihr Inhalt wirkt unspektakulär: Abwasser. Seit März vorigen Jahres gehen Proben aus den Klärwerken in Halle, Magdeburg, Bernburg und Weißenfels ein- bis zweimal pro Woche an das Landesamt für Umweltschutz in Halle. Dort untersuchen Forscherinnen und Forscher die trübe Brühe auf Coronaviren. So wollen sie das Infektionsgeschehen noch verlässlicher einschätzen können - und sogar ein paar Tage schneller sein als die Inzidenzwerte. Das Projekt ist so erfolgreich, dass es nun ausgeweitet wird. Künftig werden auch Kläranlagen in Dessau, Köthen, Naumburg, Zeitz/Göbitz, Schönebeck, Halberstadt, Silstedt und Stendal in die Virenjagd in der Kloake einbezogen - und damit das Abwasser von knapp einer Million Menschen in Sachsen-Anhalt.
„Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Inzidenzzahlen und den im Abwasser nachgewiesenen Viren“, sagt Umweltminister Armin Willingmann (SPD), der am Montag zur Präsentation der ersten Ergebnisse des Forschungsprojekts ins Landesamt für Umweltschutz gekommen ist. Die Daten, die Projektleiterin Swetlana Rot, Virologin im Landesamt, vorlegt, zeigen klar: Steigt die Sieben-Tages-Inzidenz, steigt auch - meist einige Tage vorher - die Viren-Belastung im Abwasser. Konkret nachgewiesen wird dabei das Genom der Viren.
Der Vorteil der Abwasser-Untersuchungen: Sie sind unabhängig von Coronatests
Damit lasse sich gut abschätzen, wie die Infektion sich entwickele, sagt Willingmann. Ein wesentlicher Vorteil: Die Methode hängt nicht davon ab, wie viele Menschen sich testen - oder eben nicht testen lassen. Oder, wie der Minister es launig ausdrückt: „Wir alle müssen Abwasser wegspülen.“
Dennoch, betont Willingmann, könne die Abwasser-Untersuchung Coronatests nicht ersetzen. Sie sei vielmehr ein „ergänzendes Instrument im Pandemiemanagement“. Das hat mehrere Gründe. Zum einen scheiden Studien zufolge lediglich 40 bis 60 Prozent aller Infizierten die Viren aus, wie Virologin Rot sagt. Zum anderen lässt sich, das räumt das Forschungsteam ein, aus den Abwasser-Daten keine konkrete Anzahl infizierter Menschen berechnen. Und schließlich werden, so wie das Projekt derzeit angelegt ist, relativ große Gebiete betrachtet, nämlich die Einzugsbereiche der jeweiligen Kläranlagen. In Halle betrifft das nach Daten des Landesamtes für Umweltschutz etwa 203.000 Menschen, in Naumburg noch rund 32.000.
Wir alle müssen Abwasser wegspülen.
Armin Willingmann, Umweltminister Sachsen-Anhalt
Das immerhin ließe sich ändern. „Zurzeit können wir die Lage für die gesamte Stadt einschätzen“, sagt Jörg Schulze, Geschäftsführer der Halleschen Wasser und Stadtwirtschaft, GmbH, die das örtliche Klärwerk betreibt. Es sei künftig aber auch möglich, etwaige Hotspots darzustellen. Dazu müssten die Proben nicht mehr wie bisher über 24 Stunden am zentralen Zulauf zur Kläranlage entnommen werden, sondern an verschiedenen Pumpstationen im Stadtgebiet. Auf diese Weise ließen sich untersuchte Gebiete eingrenzen.
Die Abwasser-Untersuchung auf Coronaviren ist kein Frühwarnsystem
Bisher war das Team um Virologin Rot schneller als die Inzidenz: So habe sich die Delta-Welle etwa eine Woche vor dem Anstieg der Inzidenzzahlen bereits im Abwasser gezeigt, erläutert Rot. Als Frühwarnsystem taugt die Abwasser-Untersuchung auf die Coronaviren aus Sicht der Fachleute trotzdem nicht. Bei der Omikron-Variante ist der zeitliche Vorlauf laut Rot bereits auf drei bis vier Tage geschrumpft. Das liege vor allem an der kurzen Inkubationszeit. Sandra Hagel, Präsidentin des Landesamtes für Umweltschutz, spricht denn auch lieber davon, das Pandemiegeschehen „in Echtzeit“ zu beobachten.
Wie genau die Abwassser-Daten dafür künftig verwendet werden, ist allerdings noch unklar. Die Datensätze würden auch dem Landesamt für Verbraucherschutz zur Verfügung gestellt, sagt Hagel. Beide Behörden seien in einem engen Austausch. Wie eine Nutzung der Daten aussehen könne, müsse geprüft werden. Bisher steht fest: Hagels Amt will die Daten auch online zugänglich machen.
Minister Willingmann denkt derweil schon weiter: „Ich erhoffe mir von der Methode auch andere Erkenntnisse.“ Sprich: über andere Pandemien. Grundsätzlich, heißt es im Landesamt für Umweltschutz, ließen sich mit dem Verfahren auch andere Krankheitserreger aufspüren. Jedenfalls dann, wenn es nicht gerade so heiß ist wie in diesen Tagen. Bei Hitze sei die Abwasser-Untersuchung „eher weniger nützlich“, räumt Virologin Swetlana Rot ein. Die hohen Temperaturen beschleunigten den Abbauprozess der Viren.