Kommentar zur Reformation Was bedeutet Reformation heute

Halle (Saale) - Bruder Martin schwingt den Hammer und nagelt in heiligem Zorn seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. So stellt man sich das Spektakel gemeinhin vor, das sich am 31. Oktober 1517 zugetragen haben soll.
Ob es wirklich so gewesen ist - wir wissen es nicht. Das Smartphone war bekanntlich noch nicht erfunden, kein Wackelfilmchen belegt Luthers folgenreiche Aktion. Aber man wäre gern dabei gewesen bei dem Event.
Damit rückt die ganze Reformation, als deren Auftakt der Thesenanschlag im Gedächtnis der Menschheit eingeschrieben ist, in einen sagenhaften Kontext. Aufgepeppt mit touristischem Brimborium, lässt sich der Kampf des wackeren Mönches gegen die erstarrte, autoritäre, geldgierige Papstkirche zusammen mit allerlei Luther-Kitsch allemal gut verkaufen.
Das berichtete Geschehen schnurrt wie ein Laienspiel auf Mittelaltermärkten vor unserem inneren Auge ab. Nur ist die Annahme eben kurzschlüssig bis falsch, die wahre Dimension des Ereignisses würde sich trotzdem schon irgendwie herstellen.
Luther und die Reformation: Was kann der Thesenanschlag heute für eine Bedeutung haben?
Völlig offen bleibt dabei nämlich: Welche Bedeutung könnte das Historiendrama für uns, die sich hier und heute durch ihr Leben schlagen müssen, haben? Martin Luther empörte sich über den Handel mit Ablassbriefen, den seine Kirche schwunghaft betrieb. Wer ein solches Zettelchen kaufte, dem wurde versprochen, seine Seele würde vor Verdammnis gerettet werden.
Darüber können die meisten unserer Zeitgenossen bestenfalls noch lachen. Denn wir sind schließlich modern und aufgeklärt - und wir haben ganz andere Probleme! Wir suchen unser Seelenheil im alltäglichen Streben, im Broterwerb und im Genuss materieller Güter. Wem es gut geht, für den darf es zur Pastete auch noch ein Viertelchen Kunst sein. Der Rest der Botschaft heißt: Vergiss, was nun einmal nicht zu ändern ist.
Wollten wir uns hingegen entschließen, ernsthaft über Reformation zu reden, könnte es ähnlich spannend werden wie zu Luthers Zeiten. Vielleicht sogar gefährlich. Den Kopf, den es den Reformator hätte kosten können, gälte es gewiss nicht, aber Hirn und Empathie müssten immerhin eingesetzt werden.
Die Themen liegen auf der Straße. Doch was fällt uns lethargischen Demokraten zu all den Enttäuschten ein? Dass wir sie tapfer ignorieren. Oder mit den Mitteln des Rechtsstaates gegen sie vorgehen, falls sie Gesetze verletzt haben.
Die Welt steht heute, wie zur Reformation in Luthers Zeiten, vor großen Problemen
Wie wäre es denn, setzten wir selbst eine Debatte darüber in Gang, was in einer Welt nicht stimmen kann, in der mit Rüstungsexporten Milliarden verdient werden, während Bürgerkriege immer neues Elend erzeugen? Uns kommt dann als erstes die Sorge in den Sinn, dass womöglich weitere Flüchtlinge kommen werden, vor denen wir unseren Wohlstand in Sicherheit bringen müssen.
Wo bleiben Menschenwürde, Teilhabe und Gerechtigkeit bei alledem? Das ist die zentrale Frage. Arme und Rechtlose, Verfolgte und Vertriebene, Kinder, Frauen und Männer - sie haben ein Recht auf Antwort und dürfen es einfordern. Aufruhr ist eine Tugend. Man kann es auch Reformation nennen.
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