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Auftritt der Kandidaten Wahl in Sachsen-Anhalt am 13. März

Von Christian Eger 03.03.2016, 20:57
Horst Seehofer (l, CSU), Ministerpräsident von Bayern, und Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, treten bei einer Wahlkampfveranstaltung der CDU in Halle gemeinsam auf.
Horst Seehofer (l, CSU), Ministerpräsident von Bayern, und Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, treten bei einer Wahlkampfveranstaltung der CDU in Halle gemeinsam auf. dpa

Halle (Saale) - Der Wahlkampf ist gelaufen, jedenfalls für die regierenden Parteien. Die großen Publikumsformate sind abgehakt. Die CDU machte mit Horst Seehofer im Hotel Rotes Ross in Halle den Sack zu. Die SPD mit Sigmar Gabriel in der Festung Mark in Magdeburg.

Selbstverständlich werden bis zuletzt einzelne Landtagskandidaten auf Straßen und Plätzen auf sich aufmerksam machen. Auch die kleineren Parteien bleiben am Ball. Aber den spielen auch sie ungern mit großer Belegschaft auf öffentlichen Plätzen. Sie ziehen geschützte Räume vor. So wird am Montag der Linke-Star Gregor Gysi gemeinsam mit dem ehemaligen Theaterintendanten André Bücker im Radisson Blue Hotel in Dessau das Publikum empfangen.

Nicht der Marktplatz, nicht die größte öffentliche Halle am Ort. Der Spitzenpolitiker im Hotel: Das ist der bevorzugte Modus des Landtagswahlkampfes in Sachsen-Anhalt. Wobei sich Hotel ersetzen lässt mit: berühmten Gebäuden (Sigmar Gabriel im Bauhaus), prestigeträchtigen Instituten (Angela Merkel im Fraunhoferinstitut) oder Szenetreffpunkten des jeweils eigenen Milieus (Cem Özdemir beim Poetry Talk in Halle). Politik in halb-öffentlichen Räumen also vor einem Publikum, das einem ohnehin zum großen Teil gewogen ist. Man kommuniziert, was man am liebsten tut, mit seinesgleichen; das Ringen um den Nichtwähler überlässt man den Konkurrenten außerhalb des Parlaments.

Vorbei sind die Zeiten, da auf Marktplätzen mit Kundgebungen um Stimmen geworben wurde, die man noch nicht selbstverständlich hatte. Heute geht es anders zu: Nicht die Politiker kommen zum Volk, sondern das Volk muss den Weg zu den Politikern finden. Das ist gar nicht so einfach. Die CDU zum Beispiel hat auf ihrer Internetseite gar keine Rubrik für Termine. Plakate, die auf Veranstaltungen hinweisen sind längst Nostalgie.

Aber vielleicht ist der Marktplatz als öffentliches Forum ja auch einfach unzeitgemäß. Heute werben die Parteien auf allen verfügbaren digitalen Kanälen. Es ist auch verführerisch: Ungefiltert können die eigenen Positionen verbreitet werden. Aber viele Klicks bedeuten nicht zwangsläufig viele Stimmen. Mit Verlautbarung hat das Digitale viel, mit Dialog und Teilhabe wenig zu tun. Eher mit einem geschlossenen Gespräch. Im Internet geht es vorzugsweise um das gegenseitige Bestätigen bekannter Meinungen, um einen Austausch im Gefällt-mir-Modus.

Austausch bestenfalls, nicht Streit. Der ist unerwünscht. Auch das war im Landtagswahlkampf 2016 zu beobachten: Die Spitzenpolitiker suchen sich die Podien aus, die sie besuchen; wo es hakelig zu werden droht, schickt man den dienstbaren Stellvertreter. Das Organisieren von sogenannten Streitgesprächen ist inzwischen eine hochnotpeinliche Fleißarbeit. Das „redaktionelle Gesamtkonzept“ des MDR zur Landtagswahl zählt nicht zufällig 39 Seiten. Die laufen inhaltlich auf den 7. März zu. Dann treffen sich die Spitzenkandidaten Budde, Dalbert, Gallert und Haseloff zum TV-Talk in der „Fakt ist!“-Runde. Man wird dort wohl nichts hören, was einen in Unruhe versetzt. Denn: „Die Spitzenkandidaten oder Vertreter von AfD und FDP werden die Gelegenheit zu Reaktionen auf die Gesprächsrunde erhalten. Diese werden in die Nachberichterstattung zur Sendung eingehen“, heißt es im MDR-Papier.

Friede den Hotel-Sälen, Krieg den öffentlichen Plätzen? Der Rückzug der Politik aus dem risikoreichen öffentlichen Raum ist - jenseits von AfD und Pegida - ein Phänomen, das man zur Kenntnis nehmen muss.

Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt sucht nach Antworten. „Es waren ja vor allem ältere Leute, die man bislang auf den Plätzen erreicht hatte“, sagt der Professor für Politische Systeme und Systemvergleich an der Technischen Universität Dresden. „Es gibt weniger Parteimitglieder. Die Zeiten des Massenauftriebs aus den eigenen Reihen sind vorbei. Man will sich da keine Blöße geben, wenn man auf den Marktplatz ruft.“ Tatsächlich sind die Parteien in Sachsen-Anhalt nicht klein, sondern winzig. Zudem habe sich „vieles ins Netz verlagert“, sagt Patzelt, „wo man mehr und jüngere Menschen zu erreichen hofft“.

Aber das ist sehr oft eine Ausrede. Welche jungen oder unbekannten Leute etwa will die CDU mit Seehofer im Roten Ross erreichen? Patzelt spricht denn auch von „Feigheit vor dem Feind“. Es sei heute auch bei den CDUlern verbreitet, dass man auf Marktplätzen „auf das heftigste beschimpft wird, das will man vermeiden“. So besinnt man sich auf Räume, „in denen man über das Hausrecht die Störer aussperren kann. Das kann man im öffentlichen Raum nicht.“

Welche Folgen hat der Rückzug der etablierten Parteien für die politische Kultur? Werner Patzelt sieht da eine praktische Ebene, die es gestatte, andere Foren auszuprobieren. Aber es gibt eben auch die symbolische Ebene. „Wie bringt man am Besten zum Ausdruck, worum es in einem Gemeinwesen geht? Da sind Marktplätze eine wichtige Sache. Es kann nicht darum gehen, sich in Hotel-Lounges zu verkrümeln und auf die Laufkundschaft zu verzichten.“

Genau das geschieht. Wahl ohne Kampf, Saft statt Streit, Politik auf Mausklick. Mit dem Sinn für das Politische, der nun einmal im Streit über Milieugrenzen hinweg besteht, verschwindet der öffentliche Raum, er verkleinert sich zum Kommerz- und Folklorespielplatz. Die Straßen werden der AfD überlassen. Dass sie diese nutzt, kann man ihr nicht vorwerfen.

Doch so ganz ohne Volks-Berührung geht es nicht. Am Donnerstagnachmittag meldete die CDU, dass sie Angela Merkel noch ins Steintor nach Halle holt. Analog und leibhaftig. Die Not ist groß. (mz)