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Von der Plage zur bedrohten Art Von der Plage zur bedrohten Art: Feldhamster in Not

Von Walter Zöller 09.11.2016, 11:50
Ein Feldhamster
Ein Feldhamster dpa

Halle/Sangerhausen - Der Feldhamster mag es gemütlich. Er richtet seinen Bau unter offenen Ackerflächen ein; dort befinden sich mehrere Räume, in denen er es sich in den Wintermonaten behaglich macht. Meist schläft der kleine Nager, ab und an aber wird er wach und muss seinen Hunger stillen. Dafür gibt es eine eigens gegrabene Speisekammer. Und genau hier beginnt das Problem: Denn immer häufiger reichen die in den Sommermonaten gesammelten Vorräte - vor allem Getreidekörner, aber ab und an auch Käfer - nicht aus, damit der Feldhamster den Winterschlaf schadlos übersteht. Die Tiere müssen verhungern.

Deutsche Wildtier-Stiftung: „Es ist kurz vor Ultimo“

Seit Jahren schlagen Umweltschützer Alarm, der Feldhamster droht auszusterben. In manchen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen kommen die Tiere kaum noch vor, in anderen wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gibt es nach Zählungen des Bundesamtes für Naturschutz schon keine mehr. In Sachsen-Anhalt sei der Niedergang zwar zunächst gestoppt, sagt Martin Trost vom Landesamt für Umweltschutz. Doch das Ganze bewege sich auf einem sehr niedrigen Niveau.

„Es ist kurz vor Ultimo“, warnt der Biologe Peer Cyriacks von der Deutschen Wildtier-Stiftung. Und dies, obwohl der Feldhamster streng geschützt ist, obwohl es auch in Sachsen-Anhalt kostspielige Umsiedlungsprojekte und von Landwirten betriebene Schutzprogramme gibt. Doch das reiche nicht aus, wie kürzlich rund 90 Feldhamster-Forscher aus aller Welt während einer Tagung in Heidelberg feststellten. Es müsse noch viel mehr getan werden, sonst komme der Feldhamster bald nur noch in Büchern vor. Gefordert seien unter anderem die Behörden, aber auch die Landwirte.

Warum geht es dem Feldhamster so schlecht?

Dabei ist die Diagnose klar. Warum es dem Feldhamster - der lange als Landplage galt und bekämpft wurde - heute so schlecht geht, ist unstrittig: Landwirte ernten viel eher und viel exzessiver als noch vor einigen Jahrzehnten die Felder ab; die modernen Erntemaschinen arbeiten so gründlich, dass kaum Getreidereste auf den Äckern übrig bleiben; und auch Randstreifen geraten unter den Mähdrescher. Zudem zählen Raps und Mais, die immer häufiger angebaut werden, nicht zum Speiseplan des Feldhamsters.

Erschwerend kommt hinzu, dass immer mehr Äcker versiegelt und zu Gewerbe- oder Industriegebieten werden. Und der Feldhamster also nicht einmal mehr die Chance hat, sich dort nach oben zu graben.

Immer weniger Futter für den Feldhamster

Für die Tiere bleibt so immer weniger Futter, das er in seine Vorratskammer bringen kann. Dafür haben seine natürlichen Feinde wie Füchse, Wiesel oder Greifvögel leichtes Spiel, wenn die Felder kahl sind und dem Feldhamster keinen ausreichenden Schutz mehr bieten.

Das Bundesamt für Naturschutz schätzt, dass es in ganz Deutschland nur noch rund 100.000 Feldhamster gibt - mit starken regionalen Schwankungen. So seien es in Baden-Württemberg weniger als 100. „Der Hamster zählt zu den am stärksten bedrohten Säugetierarten in Deutschland“, sagt Biologe Cyriacks.

Feldhamster hat ein Image-Problem

Obwohl das so ist und die Tiere mit ihren dicken Backen putzig aussehen, hat der Nager ein Image-Problem. Wenn wie etwa in Sangerhausen im Kreis Mansfeld-Südharz die Tiere wichtigen Ansiedlungsprojekten scheinbar im Wege stehen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass zu schützende Feldhamster und ein drohender Verlust von Arbeitsplätzen gegeneinander aufgerechnet werden.

Und Konflikte dieser Art sind ja auch ungewöhnlich bis spektakulär. So wollte der Fahrradbauer Mifa in Sangerhausen auf einem zehn Hektar großen Areal für 20 Millionen Euro ein neues Werk bauen. Dies ist für die von schweren Strukturproblemen gebeutelte Stadt ein wichtiges Vorhaben. Bei Untersuchungen stellte sich aber heraus, dass dort Feldhamster leben - zunächst wurde von rund 100 ausgegangen. Die Investition schien zu scheitern, bis man folgende Lösung fand: Die Stadt wird bis zum Mai kommenden Jahres 840 000 Euro in einen Anbau an das Sangerhäuser Tierheim stecken, dort soll eine Zuchtstation für die Nager entstehen. Zudem stellt sie für die Auswilderung der Tiere eine 30 Hektar große Fläche zur Verfügung.

Mifa-Neubau: Feldhamster in Sangerhausen umgesiedelt

Mifa hat mittlerweile mit dem Fabrikbau begonnen, die Feldhamster sind umgesiedelt worden. Bei den Erdarbeiten fanden Tierschützer allerdings nur zwei der erwarteten 100 Hamster.

Nun tut sich ein neuer Konflikt auf. In einem geplanten Industriepark will ein Unternehmen Gewächshäuser auf einer Fläche von 50 Hektar bauen, mehrere hundert Arbeitsplätze sind geplant. Dort leben auch Hamster, 40 Baue wurden gezählt. Umweltschützer schlugen Alarm, Ende November sollen die Tiere ausgegraben, zum Winterschlaf nach Halle in den Zoo und später andernorts wieder ausgesetzt werden. Und die Gewächshäuser dürfen gebaut werden.

Rettung des Feldhamsters: Mehr Anreize für Landwirte gefordert

Solche recht aufwendigen Aktionen dürften bei einigen Unbehagen erzeugen - streng geschützte Tierart hin oder her. Peer Cyriacks von der Deutschen Wildtier-Stiftung warnt jedoch davor, den Schutz des Feldhamsters unter dem Motto „Ist doch nur ein Nager“ weniger konsequent anzugehen. Wer diese Schublade aufmache und bestimmte Tierarten damit letztlich zur Disposition stelle, der riskiere, dass es bald immer weniger Tierarten gibt.

Der Biologe setzt vielmehr unter anderem auf die Behörden: Sie müssten dafür sorgen, dass die Rückzugsgebiete für Feldhamster ausreichend groß und nicht nur für einige Jahre geschützt werden. Und für Landwirte sollten mehr Anreize geschaffen werden, damit sie zumindest einen Teil ihrer Äcker „feldhamsterfreundlich bewirtschaften“.

Pilotprojekt in Quellendorf auf 50 Hektar großer Fläche

Das geht durchaus, wie ein Pilotprojekt in Quellendorf (Kreis Anhalt-Bitterfeld) belegt. Dort hat einer der größten Agrarbetriebe in Deutschland, die APH Hinsdorf, auf Anregung der Wildtier-Stiftung eine 50 Hektar große Fläche für einen Feldversuch zur Verfügung gestellt: Der Acker wird anders bewirtschaftet, so dass die Feldhamster auch noch zum Sommerende hin an ihre Körner kommen. Außerdem lassen Mähdrescher Randstreifen unangetastet. Für ihren Ernteverlust erhält der Betrieb einen finanziellen Ausgleich.

Ob sich damit die Vorratskammern der Hamster wieder füllen? Dies wird sich zeigen, wenn das Projekt ausgewertet wird.

(mz)