Volkssport "Sondeln" Volkssport "Sondeln": Die gefährliche Gier der Raubgräber

Halle (Saale) - Der Mann zog mit einem Detektor los, wie sie die Szene bevorzugt. Für kleines Geld sind diese Hightech-Geräte inzwischen zu haben, die es gestatten, Metallgegenstände im Boden zu orten. Und der 37-jährige Querfurter hatte Glück: Seine Sonde schlug an und er wurde fündig. In seinen Händen hielt der Sondengänger eine buckelverzierte Bronzetasse aus dem 11. Jahrhundert vor Beginn der Zeitrechnung. Sachsen-Anhalts Landesarchäologe Harald Meller wird das Fundstück später „keine zweite Himmelsscheibe, aber einen Fund von nationaler Bedeutung“ nennen.
Als das geschieht, hat sich das vermeintliche Fundglück des Raubgräbers schon in persönliches Pech verwandelt. Nachdem der Finder seinen bronzezeitlichen Schatz vor zwei Jahren im Internet zu Geld hatte machen wollen, war ein ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger des Landesamtes für Archäologie in Halle stutzig geworden. Es folgte eine Anzeige, eine Hausdurchsuchung und ein Großfund für die Kriminalisten des Landeskriminalamtes (LKA). Mehr als hundert archäologisch wertvolle Gegenstände hatte der Querfurter Sondengänger gehortet, darunter Münzen, Anhänger und Spangen.
Volkssport „Sondeln“: Szene tummelt sich in verschwiegenen Internetforen
Kein Einzelfall. Waren die beiden Finder der Himmelsscheibe von Nebra vor rund 20 Jahren noch rare Exemplare einer in Wald und Feld meist nach Militaria aus den Weltkriegen jagenden Szene, so hat sich die Jagd nach Kostbarkeiten aus der Vergangenheit inzwischen zu einem wahren Volkssport entwickelt. „Sondeln“ nennen es die Anhänger der Szene, die sich in verschwiegenen Internetforen tummeln, wo Tipps zu ergiebigen Fundstätten ebenso ausgetauscht werden wie Hinweise auf neue Hightech-Geräte, die die Suche vereinfachen.
Die Folgen zeigen sich in der Kriminalstatistik des Landes, die den Bereich der Raubgräberei unter „Diebstahl von Antiquitäten/ Kunst- und sakralen Gegenständen“ ausweist. Jedes Jahr werden mehr als 30 Fälle bekannt - und die Dunkelziffer ist nach Angaben von Tomoko Emmerling vom Landesamt für Archäologie vermutlich weit höher.
„Sondengänger sind in den letzten Jahren immer häufiger in den Blickpunkt polizeilicher Ermittlungen gerückt“, bestätigt David Gängel vom LKA in Magdeburg, der sich an einen weiteren spektakulären Fall aus dem November 2019 erinnert: Ein illegaler Hortfund in der Nähe von Halle, in dem sich 50 sogenannte „Otto-Adelheid-Pfennige“ fanden, ein regionales Geldstück aus dem Harzraum, geprägt vor mehr als tausend Jahren.
„Das Vergrabungsdatum wurde auf die Jahre 995 bis 1.000 geschätzt“, weiß Gängel. Dass es sich nicht um aus einer späteren Sammlung stammende Pfennige handele, sei daran zu erkennen gewesen, dass die Münzen in ihrer Patinierung einheitlich sind. „Das heißt, dass sie ursprünglich zusammen gelagert und den gleichen Bodenverhältnissen ausgesetzt waren.“
Legale Ausgrabungen darf nur das Landesamt für Archäologie durchführen
Das macht den Fund, Sofortkaufpreis 2.150 Euro, zu einem archäologischen Kulturgut von geschichtlichem und archäologischem Wert und den Finder zum mutmaßlichen Straftäter, dessen Fall inzwischen bei der Staatsanwaltschaft liegt. Ulf Dräger, Kustos der Münzsammlung im Kunstmuseum Moritzburg in Halle, verweist darauf, dass Münzfunde „bis heute erstrangige Quellen für verschiedene Wissenschaften“ seien. „Deshalb ist ihre wissenschaftliche Dokumentation und Auswertung von höchstem Interesse“, warnt der Experte.
Umso gefährlicher ist das Spiel, das die selbsternannten Sondler treiben. Wo sie fündig werden und graben, wächst danach vielleicht noch Gras. Doch wissenschaftliche Erkenntnisse über Fundzusammenhänge zu gewinnen, ist kaum noch möglich. Dabei sei es bei einem Gräberfeld von 389 nach Christus nun einmal erheblich, „ob eine Metallschließe links oder rechts vom Brustkorb des Bestatteten liegt“, hat Sachsen-Anhalts Chefbodendenkmalpflegrein Susanne Friederich einmal beschrieben: „Damit lassen sich Mann und Frau unterscheiden.“ Legale Ausgrabungen - im Jahre über 500 - dürfe deshalb nur das Landesamt für Archäologie durchführen.
Straftaten mit Hightech-Hilfe
Die Sondler allerdings stört das wenig. Und die Rechtslage ist kompliziert. „Die einfache Nutzung eines Metalldetektors ist straffrei“, erklärt LKA-Mann David Gängel. Als Ordnungswidrigkeit könne eine Suche eingestuft werden, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass gezielt nach Gegenständen im Boden gesucht werde. „Erst mit Eingriff in den Boden und der Veränderung eines Bodendenkmals oder der Fundunterschlagung kann eine Straftat begründet sein“, sagt Gängel. In Sachsen-Anhalt gilt zudem das im Zuge der Strafverfahren rund um die Himmelsscheibe von Nebra bekanntgewordene Schatzregal.
Diese Regelung sichert dem Land im Fall von archäologischen Funden, die so lange verborgen waren, dass ihr Besitzer nicht mehr zu ermitteln ist, automatisch das Eigentum. Zudem, so beschreibt LKA-Mann David Gängel, sei jeder Fall, in dem illegal erworbene Kulturgüter zum Handelsgut werden und damit Relevanz im Sinne der Strafgesetze oder des Denkmalschutzgesetzes erlangen, einer für den Staatsanwalt. In solchen Fällen liege immer der Verdacht auf Fundunterschlagung, Hehlerei, die Zerstörung von Bodendenkmälern oder das Inverkehrbringen von Kulturgütern nahe. Je nach Vergehen droht eine Geldstrafe oder aber eine Haftstrafe bis zu zehn Jahren.
Denn Sondengänger betreiben ihr Hobby nicht, um nichts zu finden oder einen Fund, den ihnen das Piepen des Detektors signalisiert, nicht auszugraben. Streifzüge durch vermutete Fundgebiete - szeneintern „Ackerrunden“ oder „Nachforschungsbegehung“ genannt - planen die Amateure immer professioneller. Topografische Karten werden getauscht und Luftbilder ausgewertet, um auffällige Geländestrukturen zu entdecken.
Blick in die Tiefe per App
Der letzte Schrei sind aktuell diverse Smartphone-Apps, die auf Bodenprofilkarten zurückgreifen. Die werden per Laserabtastung von einem Flugzeug eingemessen und zeigen nicht nur die Erdoberfläche, sondern dank unterschiedlicher Reflexionen auch tiefe Bodenprofile. Zudem rechnen die Apps Büsche, Bäume und Vegetation aus den Karten heraus, so dass bronzezeitliche Hügelgräber, frühere Gebäude, alte Pfade und vergessene Meiler sichtbar werden. Neuer Hightech-Treibstoff für die gefährliche Gier der Grabräuber. (mz)