Neuer Lagebericht Verfassungsschutz deckt Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalts Sicherheitsbehörden auf
Sie schreiben in rassistischen Chatgruppen, pflegen Kontakt zu Extremisten: Der Verfassungsschutz hat von 2018 bis 2021 mehrere Rechtsextremismusfälle in Sachsen-Anhalts Sicherheitsbehörden untersucht. Im Bundesvergleich weist das Land hohe Zahlen auf.

Magdeburg/MZ - Für die Zugführer der Bereitschaftspolizei war es ein Schock: Ohne Vorwarnung zog die Staatsanwaltschaft Magdeburg im November 2020 zehn Handys der ranghohen Beamten ein. Polizeigewerkschafter tobten, weil ihre Kollegen wie Tatverdächte behandelt wurden - währenddessen ließen Staatsanwälte die Telefone bereits gründlich prüfen. Hatten Polizisten aus Sachsen-Anhalt womöglich Nazi-Inhalte in Chatgruppen hin- und hergeschickt?
Diesen schweren Vorwurf hatte ein anonymer Briefeschreiber erhoben. Die ans Innenministerium und auch die MZ adressierte Post enthielt auch angebliche Belege aus den Chats: Fotos leicht bekleideter Damen, die neben Lack und Leder auch Nazisymbole trugen. Nach monatelangen Ermittlungen klappte die Staatsanwaltschaft den Aktendeckel allerdings zu. Verwertbare Beweise gegen einzelne Polizisten gab es nicht.
Vergleichsweise hohe Landesquote
Frei von Rechtsextremismus sind Sachsen-Anhalts Sicherheitsbehörden aber dennoch bei weitem nicht - das zeigt das neue Lagebild des Bundesverfassungsschutzes, das am Freitag in Berlin vorgestellt wurde. 17 Verdachts- und erwiesene Rechtsextremismusfälle listet der Inlandsgeheimdienst im Zeitraum 2018 bis 2021 in Sachsen-Anhalt auf. Hinzu kommen acht weitere Prüffälle. Die Vorwürfe gegen die Landesbeamten: politisch motivierte Beleidigungen, Nazi-Propaganda, Teilnahme an rechtsextremen Veranstaltungen. Und auch zwei solcher Fälle werden gelistet: Betätigung in rechtsextremen Chatgruppen.
Ein Fall ist der MZ bekannt: Ein Polizist und früheres Mitglied des Spezialeinsatzkommandos war im Jahr 2021 zwischenzeitlich vom Dienst suspendiert, weil er Chatkontakt ins Umfeld des rechtsextremen Nordkreuz-Netzwerks in Mecklenburg-Vorpommern hatte. Dortige Ermittler hatten den Fall - quasi ein Beifang - nach Sachsen-Anhalt gemeldet. Strafbare Handlungen sollen dem Polizisten aber nicht nachgewiesen worden sein.
Polizistin schrieb dem Halle-Attentäter
Ein weiterer Fall, der ins neue Lagebild eingeflossen sein dürfte: Eine junge Landespolizistin hatte dem inhaftierten Attentäter von Halle - dem Judenhasser Stephan B. - romantische Briefe geschrieben. Als die Korrespondenz samt Tarnadresse aufflog, leitete die Polizeidirektion Dessau-Roßlau ein Disziplinarverfahren ein. Die Frau beantragte dann selbst die Entlassung.
Im aktuellen Lagebild listet der Geheimdienst auch die Konsequenzen der Problemfälle auf: 19 Disziplinarverfahren seien eingeleitet worden, dazu 20 Strafverfahren. In drei Fällen seien Verweise ausgesprochen worden.
Gestiegenes Problembewusstsein
Wie sind die Fallzahlen zu bewerten? Im Bundesvergleich hat Sachsen-Anhalt eine vergleichsweise hohe Quote: Die 17 registrierten Verdachts- und erwiesenen Fälle betreffen laut Verfassungsschutz 0,23 Prozent der Mitarbeiter in Sicherheitsbehörden. Nur Mecklenburg-Vorpommern hat eine höhere Quote (0,29 Prozent) - Länder wie Sachsen (0,05) und Thüringen (0,09) liegen dagegen deutlich darunter.
Dazu muss man wissen: Wer über Sachsen-Anhalts Sicherheitsbehörden und deren rund 7.500 Mitarbeiter spricht, meint im Wesentlichen die Landespolizei. Sie hat rund 6.400 Vollzugsbeamte, dazu kommt die Polizeiverwaltung. Der Landesverfassungsschutz hat gut 100 Mitarbeiter.
Die aufgeflogenen Extremismusfälle sieht der SPD-Innenpolitiker Rüdiger Erben als Zeichen eines wachsenden Problembewusstseins bei Landesbeamten: „Die Sensibilität ist definitiv gestiegen.“ Polizisten würden Vorkommnisse im Kollegium frühzeitiger melden - ein Beispiel sind die Liebesbriefe an den Halle-Attentäter. „Zahlenmäßig ist das sicher als Randphänomen zu sehen“, sagt Erben über den Lagebericht. „In Sicherheitsbehörden ist aber natürlich jeder Fall einer zu viel.“
Linke will Aufklärung zu Fällen
Der Grünen-Politiker Sebastian Striegel sagte, schon wenige Extremisten in Sicherheitsbehörden seien eine Gefahr - wegen ihres Zugangs zu Waffen und sensiblen Informationen. Linken-Politikerin Henriette Quade sieht hingegen ein „systematisches Problem“ bei der Polizei: So forderte umfassende Aufklärung zu den Extremismusfällen durch die Landesregierung im Parlament.
Das Innenministerium in Magdeburg betonte auf MZ-Anfrage, in jedem Verdachtsfall seien Maßnahmen ergriffen worden. Ministerin Tamara Zieschang (CDU) sagte: „Fälle von Extremismus, Antisemitismus oder Rassismus in der Landespolizei müssen konsequent und mit allen Mitteln aufgedeckt und verfolgt werden, die das Strafrecht, das Beamtenrecht und das Disziplinarrecht bieten.“ Vor allem Führungskräfte stünden in der Verantwortung. „Es gilt, wachsam zu bleiben“, so Zieschang. Laut Ministerium wurde die Mehrzahl der Fälle durch Kollegen oder Vorgesetzte gemeldet. Der Lagebericht zeige, dass in den Landessicherheitsbehörden kein flächendeckendes Problem bestehe.
Bundesweit mehr als 300 Fälle
Laut Bundesamt für Verfassungsschutz fielen deutschlandweit insgesamt 327 Behördenmitarbeiter mit rechtsextremen Bezügen auf.