1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt
  6. >
  7. Energiewende: Solar-Boom auf Sachsen-Anhalts Balkonen

Energiewende Solar-Boom auf Sachsen-Anhalts Balkonen

Ein Zuwachs von 600 Prozent in zwei Jahren: Der regionale Energieversorger EnviaM verzeichnet einen Ansturm auf private Balkonkraftwerke. Warum der Stromverbrauch aber insgesamt sinkt.

Von Alexander Schierholz 14.05.2024, 13:25
Strom aus der Sonne für den Hausgebrauch: Balkonkraftwerke werden immer beliebter.
Strom aus der Sonne für den Hausgebrauch: Balkonkraftwerke werden immer beliebter. (Foto: Stefan Sauer/dpa)

Halle/MZ - An immer mehr Balkonbrüstungen sind sie nicht zu übersehen: Solarpaneele, mit denen Mieterinnen oder Wohnungseigentümer ihren eigenen Strom erzeugen und zum Teil auch ins öffentliche Netz einspeisen. Balkonkraftwerke erleben derzeit auch in Mitteldeutschland einen regelrechten Boom.

„Wir verzeichnen einen Run auf unsere Netze“, sagt Stephan Lowis, Vorstandschef des regionalen Energieversorgers EnviaM, der in Teilen von Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und Brandenburg 1,2 Millionen Kundinnen und Kunden mit Strom, Gas und Wärme versorgt. In den letzten zwei Jahren sei die Zahl von Balkonanlagen im Versorgungsgebiet um 600 Prozent gewachsen.

Aufschwung der Erneuerbaren: 30.000 neue Anlagen am Netz

Lowis nannte die Zahl am Dienstag beim Jahrespressegespräch der EnviaM-Gruppe – sie ist nur ein Ausdruck des anhaltenden Aufschwungs der erneuerbaren Energien. Insgesamt gingen nach Daten des Versorgungsunternehmens 30.000 neue Anlagen ans Netz. „Da ist alles dabei, von Windkraftanlagen über Balkonkraftwerke bis zu Batteriespeichern“, so der Vorstandschef. Damit habe sich die Zahl der Batteriespeicher in zwei Jahren um 70 Prozent erhöht, bei Ladeboxen für Elektroautos steht ein Plus von 25 Prozent.

Folge des Zuwachses: „Bei uns wird mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als wir verbrauchen können“, sagt Lowis. Rein rechnerisch liege die eingespeiste Strommenge bei 136 Prozent des Absatzes an Endverbraucher, also private Haushalte und Unternehmen. Auch mehr als 70 Prozent des Stroms, den das Unternehmen in seinen eigenen Anlagen gewinnt, stammen mittlerweile aus erneuerbaren Energien. „Wir haben die Produktion grünen Stroms erhöht“, sagt Vorstand Patrick Kather. EnviaM verfügt nach eigenen Angaben über 110 Windkraft-, Wasserkraft-, Photovoltaik-, Biomasse- und Biomethan-Anlagen für die Stromerzeugung.

Wir müssen die lokalen Netze verstärken.

Stephan Lowis, Vorstandschef EnviaM

Der Versorger erwartet, dass der Boom sich fortsetzt: EnviaM geht davon aus, dass sich die Zahl der Anfragen nach einem Anschluss von Anlagen ans Netz bis zum Jahr 2030 vervierfachen wird. Das liegt auch daran, dass der Bund jüngst den Bau und den Betrieb von Photovoltaikanlagen für Verbraucher vereinfacht hat. „Solarpaket I“ heißt das entsprechende Gesetz dazu. Es sieht unter anderem vor, dass Balkonkraftwerke künftig leistungsfähiger sein dürfen, bis zu einer Leistung von zwei Kilowatt. Auch der Einbau eines digitalen Stromzählers ist nicht mehr, wie bisher, zwingend vorgeschrieben.

Zudem soll der gewonnene Strom künftig unkompliziert in die Steckdose eingespeist werden können. Bis das möglich ist, wird es allerdings noch etwas dauern: Nach Angaben des Bundes fehlt noch eine mit Fachverbänden abgestimmte Norm dazu. Immerhin: Schon seit dem 1. April ist der Registrierungsprozess bei der Bundesnetzagentur vereinfacht worden. So müssen Balkonkraftwerke nicht mehr beim jeweiligen Stromnetzbetreiber angemeldet werden. Die Ampel-Koalition erhofft sich von den Neuregelungen einen beschleunigten Ausbau des Solarstroms. Deshalb enthält das neue Gesetz auch Erleichterungen für die Versorgung von Mehrfamilienhäusern mit dem sogenannten „Mieterstrom“.

Trotz des Booms der Erneuerbaren sinkt der Stromverbrauch

Damit der Strom vom Balkonkraftwerk reibungslos fließen kann, muss allerdings ins Leitungsnetz investiert werden. „Wir müssen die lokalen Netze verstärken“, sagt Vorstandschef Stephan Lowis. Ein Baustein dafür sind sogenannte digitale Ortsnetzstationen, um den Stromfluss besser zu steuern. Insgesamt will das Unternehmen im laufenden Jahr 426 Millionen Euro ins Leitungsnetz investieren. Bis 2030 sollen weitere 225 Millionen Euro in „smarte und digitale Netze“ gesteckt werden.

Paradox: Trotz des Booms der Erneuerbaren hat EnviaM im vergangenen Jahr insgesamt weniger Strom abgesetzt als im Jahr davon, nämlich 8.600 gegenüber 9.800 Gigawattstunden. Der Umsatz ist trotzdem von 3,1 auf 3,5 Milliarden Euro geklettert. Vorstand Patrick Kather erklärt das so: Der Absatzrückgang lasse sich auf die „harte Preiskonkurrenz“ mit anderen Anbietern zurückführen. „Die Kunden haben das Gefühl, dass die Versorgungssicherheit wieder gegeben ist, damit ist bei manchen von ihnen die Bezahlbarkeit wieder stärker in den Fokus gerückt.“ Mit anderen Worten: Sie weichen auf günstigere Stromanbieter aus. Zudem sei wegen einer milderen Witterung der Verbrauch insgesamt gesunken. Dass mit geringeren Liefermengen trotzdem mehr Umsatz generiert werde, liege am vergleichsweise hohen Börsenpreis für Strom, sagt Kather.