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Mode für Maschinen Safety Cover: Spanische Gießereien und russische Atomkraftwerke kaufen Kleidung aus

Von Julius Lukas 09.04.2018, 08:00
Das Basecap ist ihr Markenzeichen: Andrea Ammerich Geier näht maßgeschneiderte Anzüge für Roboter.
Das Basecap ist ihr Markenzeichen: Andrea Ammerich Geier näht maßgeschneiderte Anzüge für Roboter. Andreas Stedtler

Das Paket nach Russland ist gerade raus. Und sein Inhalt ist höchst speziell. Es enthält einen Anzug für einen Roboter. Um genau zu sein: für einen Manipulator. Das ist ein Gerät, mit dem man Lasten anheben kann. Und dieses Gerät steht an einem der gefährlichsten Orte der Welt: in einem Atomkraftwerk.

„Der Anzug ist wasserdicht und soll in einem kontaminierten Bereich zum Einsatz kommen“, erklärt Andrea Ammerich Geier gelassen, als würde sie über einen Dreiteiler von der Stange sprechen. Doch ihre Anzüge sind maßgeschneidert. Jedes ihrer Modelle ist ein Einzelstück.

Die gelernte Damenschneiderin ist Gründerin und Chefin von Safety Cover. Übersetzt bedeutet der Name so viel wie „Schutzhülle“. Solche Sicherheits-Überzüge näht Andrea Ammerich Geier täglich - nicht für Menschen, sondern für Maschinen wie den Manipulator. „Die brauchen auch Schutz“, sagt die Unternehmerin - vor Feuchtigkeit etwa oder vor Hitze und Staub.

Ammerich Geier ist so etwas wie die Karl Lagerfeld der Roboter. Ihr Revier sind allerdings nicht die Laufstege dieser Welt, sondern die Fabriken rund um den Globus. Die Firmenchefin liefert nicht nur wasserdichte Anzüge an russische Atomkraftwerke, sondern auch feuerfeste Maschinen-Mode an Gießereien in Spanien und Frankreich. Gerade hat sie eine Stoffprobe in den Iran geschickt. „Mal sehen, ob daraus auch ein Auftrag wird“, sagt die 45-Jährige.

Dieser weltumspannende Export spiegelt sich in der Firmenzentrale aber nur bedingt wieder. Die liegt in einer Seitenstraße des Börde-Ortes Wefensleben, unweit der Grenze zu Niedersachsen: hüfthohe Zäune, akkurat gemachte Gärten und weiße Gardinen im Fenster. Aus der dörflichen Szenerie sticht das grün-weiße Schild heraus, das an einem zweigeschossigen Backsteingehöft hängt. Darauf steht: Safety Cover.

„In dem vorderen Haus wohnen meine Eltern“, erklärt Andrea Ammerich Geier. Den Unternehmenssitz hat sie im Hinterhaus, in der ehemaligen Gutshof-Scheune, eingerichtet. Unten ist eine Garage, darüber die Zentrale der Roboter-Mode.

Der Raum, halb so groß wie eine Turnhalle, ist ziemlich vollgestellt. Die Wände füllen Regale mit Schnittmustern und Stoffen, die Tyvek, Keder und Klett-Flausch heißen. Die Mitte des Raums besetzen Tischtennisplatten, die zu Zuschneide-Tischen umfunktioniert wurden. Ein Büro gibt es nicht, nur einen kleinen, vollgestellten Sekretär. Alles wirkt etwas durcheinander.

„Wir sind gerade voll in der Produktion“, sagt Ammerich Geier. Die Schneiderin ist nicht allein in ihrer Werkstatt. Mit ihr arbeiten drei Angestellte an der Maschinen-Mode. „Wir sind ein Vier-Frauen-Team“, sagt Ammerich Geier stolz.

Dabei habe sie früher viel mit Männern in dieser Branche gearbeitet. „Manche unserer Anzüge - zum Beispiel die für Sandstrahl-Roboter - wiegen mehr als 40 Kilogramm.“ Solche Lasten durch die Nähmaschine zu ziehen, das sei für sie und ihre Mitarbeiterinnen schon eine anstrengende Aufgabe. „Aber es hält fit, was ja auch nicht schlecht ist.“

Safety Cover: So begann Andrea Ammerich Geier mit ihrer Schneiderei für Roboter

Angefangen hat die Unternehmerin mit den glatten Gesichtszügen, die lieber Basecap als Frisur trägt, aber alleine. 2011 wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit. „Ich war damals schon in der Branche“, erzählt Ammerich Geier. Für einen Dienstleister, der vor allem an VW lieferte, schneiderte sie Roboterroben.

„Ich hatte dann aber eine andere Vorstellung über die Richtung, die das Geschäft einschlagen soll.“ Ihre damalige Firma habe auf große Volumen gesetzt: Vier, fünf Modelle pro Jahr, die dann massenhaft genäht wurden. „Ich wollte aber lieber individuellere Anzüge machen - deswegen habe ich gekündigt.“

Diesen Schritt sei sie aus einer Frustlaune heraus gegangen, sagt Ammerich Geier heute. Denn über die Konsequenzen habe sie sich damals nicht viele Gedanken gemacht. „Ich wusste zwar, wie man für Maschinen schneidert, aber ob es einen Bedarf an individuellen Kleidungsstücken gibt, das wusste ich nicht.“ Die heutige Firmenchefin ließ sich eine eigene Internetseite erstellen, trug sich in die wichtigsten Branchenportale ein und wartete auf Aufträge. Und die kamen.

„Bis heute habe ich eigentlich nie mit meinen Produkten irgendwo werben müssen“, sagt die Firmenchefin. Die Nachfrage ist groß, die Aufträge flattern von selbst in ihr Büro - wie der aus Ungarn, der gerade auf den Tischen liegt. „Dort bestücken wir die Lackiererei eines Auto-Zulieferers“, erklärt Ammerich Geier. Die exakt ausgemessenen Roboter bekommen Überzieher aus Tyvek-Stoff. „Den kennt man von den typischen Maleranzügen“, erklärt die Firmenchefin.

Eine ganze Lackiererei sei allerdings zu groß, um sie vom Hinterhaus in Wefensleben aus zu beliefern. Zumal die speziell gefertigten Anzüge aufgrund der schnellen Verschmutzung mit Lack und Farbe wöchentlich, bei manchen Apparaten sogar täglich, gewechselt werden müssen. „Wir arbeiten deswegen mit einer Näherei zusammen, die nach unseren Mustern dann größere Bestellungen abarbeitet.“

Am liebsten allerdings sind Ammerich Geier noch immer die kleinen, individuellen Roboterroben. „Das ist unsere Nische, in der wir auch gern bleiben wollen“, sagt die 45-Jährige. Und den Wechsel zurück in die Damenmode schließt sie auch aus. „Roboter sind die besseren Modelle - die meckern nämlich nicht, wenn man sie mal mit der Nadel sticht.“ Auch seien ihnen Farben egal, kratzende Stoffe würden sie ohne Beschwerden akzeptieren.

Mit ihrem Unternehmen will die Sachsen-Anhalterin langsam, aber stetig wachsen. Ein großer Schritt steht Safety Cover allerdings bald bevor. „Wir suchen gerade intensiv nach neuen Räumen“, sagt Ammerich Geier. Im Hinterhaus im beschaulichen Wefensleben werde es nämlich langsam definitiv zu eng. (mz)

Wasserdicht und einzigartig: der Maßanzug für einen Atomkraftwerk-Roboter.
Wasserdicht und einzigartig: der Maßanzug für einen Atomkraftwerk-Roboter.
Andreas Stedtler