RSV-Infekte in Sachsen-Anhalt RS-Virus bei immer mehr Kindern - Auch Grippe bereitet Sorgen
Die Zahl der RSV-Fälle in Sachsen-Anhalt steigt. Die Wartezimmer bei Kinderärzten sind wegen des RS-Virus voll, Krankenhäuser fürchten in der Infekt-Welle um die Bettenkapazität. Starke Sorgen bereitet auch die Grippe. Wie wird der Winter?

Halle/MZ - Viele Eltern sind alarmiert: Immer mehr Kinder stecken sich in Sachsen-Anhalt mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) an. Auch in den Kliniken häufen sich bereits die Fälle, einige Kinder müssen beatmet werden.
„Wir befinden uns in einer Welle“, sagt Landesvorsitzende des Kinder- und Jugendärzteverbands, Roland Achtzehn. „Es gibt mehr positive Abstriche zum RS-Virus, aber auch bei der Grippe. Regional ist die Lage durchaus unterschiedlich. Und: Nicht immer wird ein Abstrich gemacht.“
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Gründe für den Anstieg der RSV-Fälle sieht der Kinderarzt auch in der Pandemie: Die Jüngsten seien über zwei Jahre nicht so häufig in Kontakt mit Viren gekommen, das Immunsystem also nicht ausreichend trainiert. „Den RS-Virus macht beispielsweise fast jedes Kind bis zum zweiten Lebensjahr mindestens einmal durch.“ Aktuell verbreiteten sich auch Magen-Darm-Infektionen. Die größere Sorge bereitet Achtzehn aber die Grippe: „Ich gehe von einer schweren Welle aus, die gab es zuletzt in Australien. Das ist ein Vorbote für uns. Wir hatten zwei Jahre fast keine Fälle, es wurde auch viel weniger geimpft.“
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Schwere RSV-Fälle: Kinder müssen beatmet werden
RS-Virusinfektionen betreffen die Atemwege. Die Kinder leiden oft unter starkem Husten und Luftnot. Besonders gefährdet sind Säuglinge und kleine Kinder bis vier Jahre, die mit manchen Erregern zum ersten Mal überhaupt in Berührung kommen. In schwereren Fällen haben sie mit hohem Fieber, Husten, Bronchitis und Lungenentzündungen zu tun, zum Teil droht starker Flüssigkeitsverlust. Bei sehr schweren Verläufen müssen die Kinder mit Sauerstoff versorgt und künstlich ernährt werden.
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Der hallesche Kinderarzt Detlef Wend will keine Panik verbreiten. „Es gibt immer Jahre mit mehr oder weniger vielen Fällen. Im Moment sind es vielleicht etwas mehr, aber das ist kein Vergleich zum Sommer 2021, als sich ungewöhnlich viele Kinder mit dem RS-Virus infiziert hatten.“ Das Wartezimmer sei momentan voll, am Montagvormittag seien in der Gemeinschaftspraxis etwa 150 Kinder behandelt worden, die meisten mit leichten Infekten, so Wend.
Es ist keine Kurve mehr, sondern die Werte gehen senkrecht nach oben.
Florian Hoffmann, Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin
Laut Robert-Koch-Institut ist die Zahl der RSV-Erkrankungen deutschlandweit zuletzt deutlich gestiegen. In der Vorwoche lagen die Werte „über dem Niveau der vorpandemischen Jahre“. Insbesonderebei Kleinkindern „führt die weiter ansteigende RSV-Aktivität vermehrt zu Arztkonsultationen und Kranken-hauseinweisungen“. In den kommenden Wochen sei mit weiter steigenden Zahlen zu rechnen.
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Das bereitet der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) Sorgen. Sie hatte bereits vor „Katastrophenzuständen“ gewarnt, weil die Kinderkliniken überalastet seien. „Es ist keine Kurve mehr, sondern die Werte gehen senkrecht nach oben", hatte Generalsekrätär Florian Hoffmann gegenüber der Nachrichtenagentur dpa erklärt. In mehreren Bundesländern, darunter Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, gebe es kaum ein freies Kinderbett in Kliniken mehr, vor allem wegen Personalmangels.
Lage in Kinderklinik wegen RS-Virus angespannt
Der Kinderarzt Detlef Wend aus Halle sieht in einer möglichen Überlastung von Kinderkliniken auch in Sachsen-Anhalt eine Folge von Schließungen: „Die Krankenhäuser stehen unter ökonomischen Druck, die Kinderkliniken rentieren sich nicht. Es gibt viele Regionen, in denen die nächste Station viele Kilometer weit weg ist. So treffen die Infektionswellen auf eine immer desolatere Struktur.“
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In den Kinderkliniken blicken die Mediziner sorgenvoll auf die nächsten Wochen. Eine deutliche Zunahme an RSV-Fällen verzeichnet das Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle seit etwa zehn Tagen. Das sei zwar nicht unüblich für diese Jahreszeit, so Ludwig Patzer, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. „Die Zahlen sind jedoch vor etwa zwei Wochen in Frankreich rasant gestiegen und wir befürchten, dass wir nun auch in Deutschland vor einer massiven RSV-Welle bei Kindern stehen.“
Aktuell würden sechs Patienten behandelt, darunter drei Säuglinge. „Die Behandlung bei den erkrankten Kindern reicht von einer intensiven Atemtherapie bis hin zur Beatmung.“ Noch sei die Lage beherrschbar, aber „durchaus angespannt. Viele Sauerstoffanschlüsse auf den Stationen sind bereits belegt. Und es erfordert gute Planung, um planbare Kindermedizin wie Operationen gewohnt weiter betreiben zu können.“
Im Städtischen Klinikum Dessau sind neun Kinder in Behandlung. „Alle betroffenen Kinder liegen auf der Normalstation, sie sind isoliert und bekommen Sauerstoff sowie Infusionen“, so Sprecher Thomas Neubert. „Wir stellen seit Anfang November ein erhöhtes Aufkommen von RSV erkrankten Kindern fest. Momentan kommen täglich etwa zwei Neuinfektionen hinzu.“ In den kommenden Wochen wird mit einem weiteren Anstieg gerechnet.