Kommentar Regierungspartei ohne Vision

Nach der Entscheidung der SPD-Basis in Sachsen-Anhalt gibt es keinen vernünftigen Zweifel mehr: Das erste Regierungsbündnis mit CDU und FDP seit mehr als 60 Jahren wird kommen.
An den Christdemokraten wird es jedenfalls nicht scheitern: Sie können nun ihren Ministerpräsidenten Reiner Haseloff wiederwählen und ihrem Parteichef Sven Schulze ein wichtiges Ministeramt als Sprungbrett für Höheres aufbauen. Auch die Liberalen, für die nach zehn außerparlamentarischen Jahren ein Ministeramt ein Hauptgewinn ist, werden mit Freude zustimmen.
Im Landtag hat die künftige Deutschland-Koalition mit sieben Stimmen über der Mehrheit ein beruhigendes Sicherheitspolster. Selbst wenn – wie 2016 – einzelne Koalitionsabgeordnete aus politischen Gründen oder Rachsucht Haseloff bei der Wahl zum Regierungschef ihre Stimme verweigern sollten, wird das am Ergebnis nichts ändern. Der Wittenberger kann nach 2011 und 2016 zum dritten Mal eine Regierung anführen.
Das Abstimmungsergebnis in der SPD zeigt aber auch: Haseloff bekommt einen Partner, der an schweren Selbstzweifeln leidet. Mehr als ein Drittel der abstimmenden SPD-Mitglieder hat gegen die Regierungsbeteiligung votiert. Die Motive dürften vielfältig sein: Unzufriedenheit mit einzelnen Abmachungen aus dem Koalitionsvertrag, der Verlust des Wirtschaftsministeriums, Abneigung gegen die Koalitionspartner – aber auch die tiefsitzende Angst, dass sich die Serie immer schlechterer Wahlergebnisse weiter fortsetzen könnte. Seit 15 Jahren regiert die SPD in Magdeburg unter Führung der CDU. An jedem Wahltag sackte sie weiter ab. Die katastrophalen 8,4 Prozent bei der Landtagswahl im Juni sind der bisherige Tiefpunkt.
Vollkommen unklar ist auch, mit welchem Spitzenpersonal die SPD perspektivisch wieder gewinnen will. Die beiden Minister Armin Willingmann und Petra Grimm-Benne, 58 und 59 Jahre alt, dürften im Kabinett Haseloff III ihre letzte Runde drehen. Sie wirken zwar nicht amtsmüde. Den unbedingten Willen, die CDU herauszufordern und ihr die Staatskanzlei abzujagen, hat jedoch bislang keiner der beiden gezeigt. Kaum vorstellbar, dass sich das in den kommenden fünf Jahren ändert.
Spitzenkandidatin Katja Pähle, die mit 44 Jahren vom Alter her in Frage käme, ist im Land noch weniger bekannt als die beiden Minister. Und selbst die Spitzenkandidatur hatte sie sich mit 55 Prozent Zustimmung nur mit äußerster Mühe sichern können. Auch von den beiden Parteichefs Juliane Kleemann und Andreas Schmidt hat bislang keiner eigenständiges Profil entwickeln können.
In der Magdeburger Deutschland-Koalition werde die SPD fünf Jahre lang verlässlich und vertragstreu agieren, hat Schmidt versprochen. Das ist ein löblicher Ansatz – reicht aber nicht aus, wenn die Partei irgendwann zu früherer Stärke zurückfinden möchte. Wer sich mit einstelligen Ergebnisse und dem Mitregieren als kleiner Partner nicht zufriedengeben will, muss in der Lage sein, populäre Themen zu erspüren, die Diskussion zu dominieren und dabei auch gezielt Konflikte mit der politischen Konkurrenz auszutragen. Wer in der SPD wäre dazu in der Lage?
Im Landesverband gibt es also eine gravierende Leerstelle. Diese dürfte noch schmerzlicher deutlich werden, sollte es dem SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz bei der Bundestagswahl gelingen, seinen derzeitigen Umfragen-Höhenflug auch in Wählerstimmen umsetzen. Zweifellos profitiert die SPD in Berlin von der schwachen Kampagne des CDU-Bewerbers Armin Laschet. Aber Scholz hat auch von Anfang an jenes unerschütterliche Selbstbewusstsein ausgestrahlt, ohne das ein Wahlsieg unmöglich ist. Eine solche Person hat die SPD in Sachsen-Anhalt derzeit nicht im Angebot. Sie ist eine Partei ohne Vision.