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Raynaud-Phänomen Mysteriöse Krankheit: Finger werden bei Kälte plötzlich leichenblass

Seit 150 Jahren kennt man das Raynaud-Syndrom, doch es birgt noch immer einige Geheimnisse. Wie ein Mediziner in Bitterfeld in Sachsen-Anhalt die Erkrankung erforscht und behandelt - und welche Ratschläge er Patienten gibt.

Von Matthias Müller Aktualisiert: 09.02.2024, 13:22
So können die Hände von Betroffenen aussehen.  Mediziner Peter Lanzer dokumentiert solche Fälle sorgfältig.
So können die Hände von Betroffenen aussehen. Mediziner Peter Lanzer dokumentiert solche Fälle sorgfältig. Foto: GZ Bitterfeld -WOlfen/P.Lanzer

Bitterfeld/MZ. - Es scheint, als würde jenen, die von dem Phänomen betroffen sind, wortwörtlich der Schreck in die Glieder fahren: Plötzlich werden Teile der Finger fast unwirklich weiß. Kein Wunder, dass dafür Namen wie Weißfingerkrankheit oder gar „Leichenfinger“ kursieren.

Bekannt ist dieses Krankheitsbild, das vor allem in der kalten Jahreszeit Patienten zu schaffen macht, in der Medizin aber als Raynaud-Phänomen – benannt nach einem französischen Arzt, der es bereits im 19. Jahrhundert beschrieb. Doch was steckt dahinter - und was kann man dagegen tun?

„Raynaud war mit seinen Erkenntnissen schon sehr fortgeschritten“, sagt Privatdozent Dr. Peter Lanzer, der sich dem Phänomen am Gesundheitszentrum Bitterfeld-Wolfen widmet. Doch seither habe sich das Verständnis nicht merklich weiterentwickelt. „Die Ärzte kennen den Begriff zwar grundsätzlich, wissen aber über die Krankheit und ihre Ursache auch nicht viel mehr als ihre Vorgänger vor gut 150 Jahren“, erklärt der Kardiologe, Internist und Gefäßexperte.

„Dabei ist das ein wirklich faszinierendes Krankheitsbild“, formuliert Lanzer, der auch andere wenig erforschte Phänomene ergründet – vor allem die Mediasklerose, bei der die Muskelschicht der Gefäßwände verkalkt.

Raynaud-Phänomen oft belastend für Patienten

In Bitterfeld kümmert er sich um Raynaud-Patienten und erfasst dabei Daten, die somit auch für die Forschung zur Verfügung stehen. Man stelle hier natürlich nicht den Anspruch, weltweit führend in der Expertise zu sein, „aber wir sammeln sehr interessante Erfahrungen bei einem Krankheitsbild, das zwar häufig ist, aber meist nur als ein Ärgernis für den Patienten eingestuft wird“, so Lanzer. „Dabei kann es für Menschen, die davon betroffen sind, sehr belastend sein.“

Dr. Peter Lanzer, Kardiologe, Internist und Gefäßexperte, behandelt in Bitterfeld auch Patienten mit dem Raynaud-Syndrom.
Dr. Peter Lanzer, Kardiologe, Internist und Gefäßexperte, behandelt in Bitterfeld auch Patienten mit dem Raynaud-Syndrom.
(Foto: Andreas Stedtler)

Doch was passiert dabei genau? Es handelt sich um plötzliche Durchblutungsstörungen, die vor allem durch Kälte ausgelöst werden. In anderen Fällen können Stresssituationen solche Anfälle hervorrufen, oft ist aber auch gar kein Anlass erkennbar. Dabei werden einzelne oder mehrere Finger – teils an einer Hand, teils an beiden Händen – weiß und fangen an zu schmerzen.

Dann werden sie bläulich und nach dem Wiederdurchbluten krebsrot. „Das Ganze geht mit Taubheitsgefühlen und Kribbeln einher, das in schweren Fällen manchmal über Stunden anhalten kann“, sagt Lanzer.

Die meisten solcher Anfälle gehen auf das primäre Raynaud-Phänomen zurück: eine funktionelle Störung, bei der kleine Gefäße zu Verkrampfungen neigen – vermutlich als Folge erhöhter Aktivität des sympathischen Nervensystems. Die genaue Ursache dieser gestörten Gefäßfunktion sei in solchen Fällen allerdings unbekannt, erklärt der Bitterfelder Mediziner.

Beim deutlich selteneren sekundären Raynaud-Phänomen sind die Anfälle die Begleiterscheinung einer anderen Grunderkrankung. Allerdings werden gelegentlich bei Patienten mit dem als primär eingestuften Raynaud Syndrom auch echte Gefäßerkrankungen festgestellt, sagt Lanzer.

Genaue Ursache wird noch erforscht

Nach Angaben der „Deutschen Gesellschaft für Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin“ (DGA) erkranken in Europa fünf bis zwanzig Prozent der Bevölkerung an einem Raynaud-Phänomen, in Südeuropa deutlich weniger als in Nordeuropa. Frauen sind viermal häufiger betroffen als Männer. Auch die DGA erklärt in ihrem Ratgeber für Patienten: „Die Entstehung der Erkrankung ist nicht bekannt.“

Dennoch stehen ihr Betroffene nicht hilflos gegenüber, betont Peter Lanzer. Die Patienten werden bei ihm in der Bitterfelder Klinik in fünf Schweregrade eingeteilt – von Grad I mit seltenen, kurzen Anfällen weniger als einmal pro Woche bis hin zu Grad V, wobei mehr als 30-minütige Anfälle mehrmals täglich auftreten können und mit Lähmungserscheinungen und starken Schmerzen einhergehen.

Die meisten Patienten fallen in die niedrigeren Kategorien. „Sie können lernen, damit zu leben, und haben eine gute Prognose.“ Hier gehe es eher darum, die Betroffenen aufzuklären und ihnen allgemeine Regeln zu verdeutlichen: Kälte vermeiden, Körperkerntemperatur auch im Winter hochhalten durch entsprechende Kleidung, auch am Rumpf. Und: Hände und Füße warmhalten. Dabei müsse man beachten, dass eng anliegende Fingerhandschuhe die Glieder reizen und Anfälle auslösen könnten, so Lanzer. Fäustlinge seien eher zu empfehlen. Grundsätzlich helfen bei Anfällen warme Bäder – und generell hilft Entspannung gegen Stress.

Sogar Absterben von Gliedern ist möglich

In schwereren Fällen, die unter seinen Patienten deutlich seltener sind und weniger als fünf Prozent der Gesamtzahl ausmachen, kann die Krankheit sogar bis zur Arbeitsunfähigkeit und absterbenden Fingergliedern führen. Bei diesen Patienten setzt man in Bitterfeld auf eine weitergehende, individuelle Diagnostik und Therapie. Dabei werden unter anderem bei einer invasiven Katheterprozedur die Gefäße und ihre Funktion nach Gabe von speziellen Medikamenten sowie nach einem Kältetest untersucht.

Damit habe man bereits Erfolge in der Behandlung der schon so lange aber gleichzeitig doch so wenig bekannten Krankheit erzielt, sagt Peter Lanzer. „Bei einigen Patienten konnten wir genau zeigen, welcher Teil der Funktion der Gefäße gestört ist und diese Störung dann gezielt medikamentös behandeln.“ So habe man die Betroffenen von ihren Beschwerden häufig „fast vollständig“ befreien können.

Benannt nach einem französischen Arzt

Benannt ist die Erkrankung nach dem französischen Arzt Maurice Raynaud (1834 bis 1881), der sie als erster beschrieb. 1862 sorgte er mit seiner Promotionsschrift für Aufsehen, in der er 25 Fälle des Phänomens schildert, inklusive einer exakten Erfassung der typischen klinischen Symptome. 1874 veröffentlichte er eine weitere Fallstudie. Nach seinem Tod wurden die Texte ins Englische übersetzt – und in der Folge weltweit bekannt.

Dieser Text erschien - leicht verändert - am 7. Februar 2023 zum ersten Mal.