Netzausbau Netzausbau: Sachsen-Anhalt ist Funklochland und es ist schlimmer als gedacht

Halle (Saale) - Schon nach fünf Minuten geht der Ärger für Berufspendler los. Wer in Halle den Intercity nach Magdeburg nimmt, bekommt es gleich hinter der Stadtgrenze mit den ersten Funklöchern zu tun. „Hallo? Bist du noch dran?...“, rufen Zugreisende mit Telefon am Ohr. Und auch wer mit Laptop und mobilem Internet E-Mails oder Nachrichten lesen will, braucht Geduld.
Sachsen-Anhalt, ein Funklochland. Weiße Flecken kennzeichnen das Netz von der Altmark bis in den Burgenlandkreis.
Dieser bislang eher gefühlte Missstand ist mittlerweile dokumentiert und überprüfbar: Die CDU-Fraktion im Landtag hat mit dem „Funklochfinder“ eine öffentliche Sammlung aller Funklöcher im Land erstellt. Ob schlechte Telefonverbindung oder schwacher Datenempfang: Per Handy-App sollte jede Schwachstelle aufgedeckt werden. Irres Ergebnis: 62 000 Meldungen gingen bis heute ein. Auch gute Qualität wurde gemeldet. Doch die Problemzonen sind quer übers Land verteilt, betreffen auch die Großstädte und alle Funknetze.
„Funklochstopfer“ bauen mobile Sendestationen
Dies sei „nicht akzeptabel“, sagt Fraktionschef Siegfried Borgwardt - und „weit entfernt von den Anforderungen an eine moderne Industrie- und Kommunikationsgesellschaft“. Für ihn ist es eine einfache Rechenaufgabe: Wenn die Mobilfunkbetreiber betonen, sie hätten eine Netzabdeckung von 97,6 Prozent, dann seien immer noch 28.000 Haushalte oder 50.000 Einwohner durch schlechten oder überhaupt keinen Empfang gestraft.
Was tun? Eine der Hoffnungen steht bei minus acht Grad am Stadtrand von Magdeburg, in einem kargen Gewerbegebiet zwischen Bahnstrecke und Industriehafen. Ein Schild verspricht „Funklochstopfer“, angebracht an einer Art Mini-Baucontainer auf vier Metallfüßen. Drinnen, auf fünf mal fünf Metern, sieht es aus wie im Serverraum: Kabel, Leuchtdioden und eine Lüftung, um die Wärme der Elektronik rauszulassen. Und natürlich eine Antenne, die bis zu 25 Meter hoch sein kann.
Ralf Freywald baut mobile Sendestationen, die in der Vergangenheit schon bei Musikfestivals wie Rock am Ring zum Einsatz kamen: Wenn es dort eng wurde mit der Datennutzung, weil Zehntausende gleichzeitig die Handys zückten, halfen die Funklochstopfer, sorgten für einen ausreichenden Datenstrom. Nun könnte Freywald auch Sachsen-Anhalt mit einer ganzen Ladung dieser Container überziehen, um das Problem der Funklöcher zu lösen.
Kampf gegen Funk-Desaster
Das Versprechen der Firma Vetters und Freywald: Wenn im Altmarkdorf Großmütter keinen Handyempfang haben, hilft es aus. Auch in Gegenden, die topographisch nicht so flach sind wie der Norden. Und auch in Großstädten. Seit drei Jahren widmet sich Ralf Freywald dem Kampf gegen das Funk-Desaster. „Mittlerweile arbeiten wir auch direkt mit den Netzbetreibern zusammen“, berichtet er - und zwar in Fällen, in denen Telekom, Vodafone oder O2 die Löcher im eigenen Netz selbst beseitigen wollen.
Allerdings reichte das bisher nicht annähernd, um die Netzprobleme in Sachsen-Anhalt zu beseitigen. An dieser Stelle will nun die CDU ins Spiel kommen: Mithilfe ihrer - zugegeben noch sehr ungenauen - Funklochkarte wandte sie sich an die Magdeburger Firma. Mit ihr sei man in ersten Gesprächen über ein mögliches Pilotprojekt oder gar mehr, sagt Fraktionschef Siegfried Borgwardt.
Die technischen Möglichkeiten klingen ihm zufolge vielversprechend. „Das ist so etwas wie eine Fritzbox zu Hause, nur in groß“, sagt Borgwardt über die Technik aus Magdeburg. Die Container funken auf zwei verschiedene Arten. Entweder werden sie direkt an ein bestehendes Glasfasernetz angeschlossen und versenden das Signal. Oder sie arbeiten ohne eigenen Glasfaserkontakt, empfangen dafür das Wellensignal eines entfernten Funkmasts und senden es verstärkt weiter. So können Distanzen bis zu 15 Kilometer überbrückt werden, sagt Freywald.
Versprechen von Netzbetreibern komen beim Kunden oft nicht an
Das Ganze hat freilich einen Preis. Für einen Container mit einer 20-Meter-Antenne können ungefähr 100.000 Euro fällig werden, so der Geschäftsmann. Bei Zehn-Meter-Modellen können es demnach 50.000 Euro sein. In den Preis fließt zum einen die Aufbautechnik samt Bodenbefestigung ein, zum anderen müssen Netzbetreiber eigene Sendetechnik im Container unterbringen, um Datennutzung und Telefonverbindungen auf die Handys zu bringen. Eine hochpreisige Sache, die die CDU da als Option ins Auge fasst. Zumal Sachsen-Anhalt, grob geschätzt, Tausende solcher Funklochstopf-Container für eine vollständige Netzabdeckung bräuchte, so CDU-Prognosen.
„Hochpreisig“ ist allerdings auch das zentrale Stichwort auf dem deutschen Mobilfunkmarkt. Zwar versprechen Netzbetreiber ihren Kunden immer neue Verbesserungen ihrer Netze - doch in der Realität von Altmark, Börde und anderen Landstrichen kommt das Versprechen bisher kaum an.
Kritik an Genehmigungsverfahren für neue Sendemasten
Geht es nach Ulrich Thomas, dem Wirtschaftsexperten der CDU-Fraktion, liegt der Hauptgrund für bestehende Löcher darin, dass die Mobilfunkbetreiber zunächst die enormen Kosten für die Lizenzversteigerungen einspielen müssen. Dies habe zum Ausbau des Mobilfunknetzes „allein nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten“ geführt - nämlich vorwiegend in Ballungszentren.
Denn bis Anbieter wie Telekom und Co. die Kosten eines Funkmasts für 300 Dorfbewohner eingespielt haben, kann es lange dauern. Für die Unternehmen ist es oft die günstigere Rechnung, nicht in dünn besiedelten Regionen zu investieren. Ein „Marktversagen“ nennt Thomas das im Ergebnis. Dabei gehöre das Funknetz zur Daseinsvorsorge wie ein Wasseranschluss. „Schlimmstenfalls muss da der Staat eingreifen, natürlich ohne den Wettbewerb auszuschalten“, sagt Thomas.
Die aktuelle Ausbaumisere wird laut dem Abgeordneten sogar noch verschärft, weil Genehmigungsverfahren für neue Sendemasten ein bis zwei Jahre dauern würden. Besserung? Ist nicht in Sicht: „Der Datenverkehr wird sich in den kommenden Jahren verachtzigfachen, wenn immer mehr Geräte am Netz hängen“, warnt Freywald. Weil das bereits jetzt so ist, können sich bestehende Funklöcher sogar vergrößern.
Telekom: 150 neue Standorte
Im Frühjahr will die CDU-Fraktion all diese Probleme bei einem Mobilfunkgipfel auf den Tisch legen. Eingeladen sind die Netzanbieter, aber auch Bundesminister Andreas Scheuer (CSU). „Da wollen wir sehen, welche Strategien die freie Wirtschaft hat“, so Thomas. Wenn dies nicht ausreiche, müsse der Staat nachhelfen. „Ich kann mir ein Zehn-MillionenProgramm vorstellen“, sagt er.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Über Jahre hatte die CDU die Hoheit über das Wirtschaftsministerium - es könnte noch am ehesten die entscheidenden Hebel in Bewegung setzen. Das seit 2016 SPD-geführte Haus hat jüngst die drei großen Netzbetreiber um Stellungnahmen zur Funklochproblematik gebeten. „Diese Stellungnahmen liegen inzwischen vor und werden vom Fachreferat ausgewertet“, teilt das Ministerium mit. Geht es nach dem Ressort, soll das Mobilnetz in den kommenden Jahren stabiler werden: Telekom, Vodafone und O2 hätten sich zum weiteren Ausbau bekannt. „Allein T-Mobile hat den Bau von 150 zusätzlichen Standorten in Sachsen-Anhalt angekündigt“, so das Wirtschaftsministerium.
Geht es danach, sollen übrigens auch Sachsen-Anhalts ICE-Strecken bis Ende 2019 versorgt sein. (mz)