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Nach Fluchtversuch von Halle-Attentäter Stephan B. Nach Fluchtversuch von Halle-Attentäter Stephan B.: JVA-Vizechefin muss gehen

Von Hagen Eichler 11.06.2020, 17:30
Blick auf das Gefängnis Roter Ochse in Halle.
Blick auf das Gefängnis Roter Ochse in Halle. dpa

Magdeburg - Die Pannenserie bei der Bewachung des Halle-Attentäters Stephan B. im Gefängnis Roter Ochse hat personelle Konsequenzen. Die stellvertretende Anstaltsleiterin muss ihren Posten räumen. Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) hat die Frau ins Justizministerium abgeordnet. Auch Gefängnischef Thomas Naumann ist im Visier der Ministerin. „Weitere Schritte werden folgen“, sagte sie der MZ am Donnerstag.

Zuvor hatte sie im Rechtsausschuss des Landtags geschildert, wie der wegen zweifachen Mordes und 68-fachen Mordversuchs angeklagte Stephan B. am Pfingstsonnabend einen Fluchtversuch starten konnte. Dem Gefängnispersonal lastet Keding schwerwiegende Pflichtverstöße an. Externe Experten sollen nun die organisatorischen Schwachstellen im Roten Ochsen aufspüren. „Wir sind dort nicht im Optimum“, sagte Keding.

Justizstaatssekretär: Vorgaben zur Bewachung waren eindeutig

Gefängnischef Naumann sagte, er hätte bis zum 2. Juni nicht geglaubt, dass in Halle derartige Pflichtverletzungen möglich seien. „Ich bedaure das zutiefst“, sagte er den Abgeordneten, die auf Antrag der CDU-Fraktion zu einer Sondersitzung zusammengekommen waren.

Am Pfingstsonnabend war Stephan B. von zwei Bewacherinnen auf den Pausenhof geführt worden, wo er dann eine halbe Stunde ohne dauerhafte Aufsicht blieb. Die beiden Frauen beaufsichtigten in der Zeit Malerarbeiten durch Gefangene. Ein Aufpasser an den Überwachungsmonitoren wiederum war durch eine Panne der Zellenkommunikationsanlage abgelenkt.

Justizstaatssekretär Hubert Böning (CDU) sagte, die Vorgaben zur Bewachung seien eindeutig gewesen. Auch habe die JVA zu keinem Zeitpunkt signalisiert, dass sie zur sicheren Verwahrung von B. mehr Personal benötige. „Der Vorfall ist möglich geworden durch individuelles Fehlverhalten“, sagte Böning.

Mehrere Abgeordnete äußerten Zweifel, ob Halle überhaupt eine geeignete Haftanstalt für den äußerst gefährlichen Angeklagten war. Ministerin Keding sagte, durch den Tatort des Synagogen-Anschlags und den Wohnort des Angeklagten in Mansfeld-Südharz sei laut Plan der Rote Ochse zuständig.

Allerdings wäre ein Überklettern des Zauns in Burg, wo B. jetzt einsitzt, nicht möglich gewesen. Dort sind die abgezäunten Bereiche für den Hofgang nach oben abgedeckt, wie das Justizministerium der MZ bestätigte. Zudem war der Zaun in Halle schon zuvor überklettert worden. „Wohl drei Mal“ sei das passiert, zuletzt vor mehr als zehn Jahren, sagte Wolfgang Reichel, Abteilungsleiter im Justizministerium.

Weiterer Vorfall im Roten Ochsen war Thema

Auf eine weitere Ungereimtheit machte der Abgeordnete Jens Diederichs (Freie Wähler, früher AfD) aufmerksam, der 16 Jahre als Vollzugsbeamter in Halle gearbeitet hatte. B.s Freistunde hätte um 14.15 Uhr beginnen sollen, tatsächlich war er bereits mehr als eine Stunde früher im Freien. „Wir wissen noch nicht, warum das so war“, sagte ein Ministeriumssprecher.

Nichtöffentlich berichtete Ministerin Keding den Abgeordneten zudem von einem Vorfall im Roten Ochsen, bei der im April zwei Deutsche einen Syrer krankenhausreif geprügelt haben sollen. Im Raum steht der Verdacht, dass Bedienstete das gezielt ermöglicht haben, indem sie sich zurückzogen. Auf MZ-Nachfrage sprach Keding von einem „schwerwiegenden“ Vorfall. Das Ausmaß habe sich erst jetzt durch gezieltes Nachfragen gezeigt.

Die Linke fordert weiterhin Kedings Rücktritt. Die CDU-Fraktion hingegen bescheinigt Keding, alle Fragen aufgeklärt zu haben. Jetzt müsse es dienstrechtliche Konsequenzen gegen die Verantwortlichen im Gefängnis geben. (mz)