SPD in Sachsen-Anhalt Mit Qual in die „Deutschland“-Koalition
Die SPD-Basis diskutiert, ob die Partei bei der „Deutschland“-Koalition mitmachen soll. Immer wieder tauchen Argumente gegen eine Beteiligung auf.

Ilsenburg/MZ - Es ist Punkt 18 Uhr, im Harz-Städtchen Ilsenburg ziehen sie die Türen zu. Ins „Haus der Vereine“ sind am Mittwochabend knapp 30 Sozialdemokraten gekommen. Sie beraten hinter verschlossenen Türen, ohne Kameras und ohne Gäste, wie es nun weitergehen soll mit ihrer SPD in Sachsen-Anhalt. Genauer: Ob ihre stolze, aber zusehends schrumpfende Partei wirklich noch mal regieren sollte. Und das ausgerechnet mit CDU und FDP.
„Ich habe Bauchschmerzen, wenn ich den Entwurf für den Koalitionsvertrag lese“, sagt Ronald Brachmann. Der Sozialdemokrat ist seit drei Jahrzehnten Mitglied, saß früher im Landtag und ist nun auch in Ilsenburg dabei. Der 66-Jährige glaubt, es gebe viele kritische Mitglieder, die das ausgehandelte schwarz-rot-gelbe Bündnis nicht wollen. „Wie der Mitgliederentscheid am Ende ausgeht, ist aus meiner Sicht offen.“
Verhandler reisen durchs Land
In diesen Wochen der Wahrheit ist die Lage so: Wenn Sachsen-Anhalts SPD-Mitglieder am Ende wirklich den Daumen senken, wird es nichts mit der neuen Landesregierung: Bis zum 3. September können die 3.340 Sozialdemokraten im Land per Briefwahl über die Koalition abstimmen. Für ein „Ja“ wirbt die Parteispitze aktuell auf fünf Regionalkonferenzen. Erst in Ilsenburg, nächste Woche reisen die Chefverhandler des Koalitionsvertrags dann nach Merseburg und Dessau-Roßlau.
Die Parteispitze ist jedenfalls voll auf Kurs für weitere fünf Jahre Regierung: Sie wirbt damit, dass der Koalitionsvertrag eine kräftige, rote SPD-Handschrift trage: Viele Punkte des Wahlprogramms könnten eins zu eins Regierungsprogramm werden, sagte Spitzenkandidatin Katja Pähle jüngst in Magdeburg. „Ich erwähne nur mal die große Überschrift der SPD: ,Nach Corona darf der Aufschwung nicht kaputt-gespart werden.‘“ In wochenlangen Verhandlungen bis in die Nächte hinein sei es den Sozialdemokraten gelungen, ein Corona-Sondervermögen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro festzuschreiben, um die Pandemiefolgen abzumildern.
Dabei gab es vor allem bei der FDP großen Widerstand gegen diese Milliardensumme. Stundenlang könnte die SPD-Spitze so über ihre Verhandlungserfolge reden: Tariflöhne für öffentliche Aufträge, Investitionen in Krankenhäuser, neue Projekte gegen das kriselnde Bildungssystem. Viel SPD für historisch schwache 8,4 Prozent bei der Wahl im Juni.
Trotzdem gibt es in der Partei Widerstand gegen die sogenannte „Deutschland“-Koalition. Die Jusos kritisieren, dass fast alle Projekte im Vertrag unter Vorbehalt stünden - wenn am Ende also kein Geld da sei, bleibe die SPD auf ihren schönen Ideen sitzen. Protest gibt es auch wegen der neuen Ministerien-Zuschnitte: Der sozialdemokratische Minister Armin Willingmann verliert die Zuständigkeit für Wirtschaftspolitik an die CDU, er soll stattdessen ein Ressort für Wissenschaft, Umwelt und Klima leiten. Einen „Modernisierungsschub“ verspricht die SPD-Spitze nun - parteiintern gilt der Verlust der Wirtschaft aber als bitter. Oder als „Amputation“, wie Ex-Parteichef Burkhard Lischka intern auf Facebook schrieb.
Auch Brachmann findet, die SPD-Spitze färbe ihre Verhandlungsergebnisse schön. „Man versucht, aus der Not eine Tugend zu machen.“ Auch indem Willingmann damit werbe, dass es solch ein Wissenschaft-Umwelt-Klima-Ministerium erstmals in Deutschland gebe. „Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die Zuständigkeiten für Klima- und Umweltpolitik vor allem beim Bund und der Europäischen Union liegen.“ Sachsen-Anhalt könne in dem Bereich kaum gestalten.
Anders als bei der SPD gibt es bei CDU und FDP keinen wahrnehmbaren Widerstand gegen die Koalition. Im Gegenteil: Verhandler beider Parteien betonen hinter vorgehaltener Hand, dass die SPD mit 8,4 Prozent ja wohl einiges im Vertrag durchgesetzt habe. Man weiß: Alle drei Partner sind abhängig vom Votum der SPD-Basis.
Fehlende Fehleranalyse?
Bei aller internen Kritik in der SPD: Zahlreiche Genossen lassen sich auch auf die Argumente der Parteispitze für weitere fünf Regierungsjahre ein. Mit sehr klarer Mehrheit hatte ein Parteitag im Juli für die Aufnahme der Koalitionsgespräche gestimmt. Auch da zeigte sich aber, dass die Partei an offenen Wunden leidet: Die frühere SPD-Landeschefin Katrin Budde warf der Spitze „Selbstbetrug“ und keine ehrliche Fehleranalyse vor. Dazu muss man wissen: Als Budde 2016 mit der SPD noch 10,6 Prozent holte, verlor sie alle Ämter - anders als die aktuelle Parteispitze. Brachmann kritisiert: „Es gibt keine Debatte, wohin es mit der SPD gehen soll. Das ist auch gar nicht gewollt.“ Anders als 2016 gebe es diesmal auch keine Parteitagsdebatte über die künftigen Minister und Staatssekretäre. „Ich habe die Sorge, dass wir uns zu einer Funktionärspartei entwickeln, in der es nur noch um Versorgungsposten geht.“