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Mit Bus und Bahn durch Sachsen-Anhalt Mit Bus und Bahn durch Sachsen-Anhalt: Tour durch den Tarifdschungel

Von Alexander Schierholz 08.10.2019, 10:00
MZ-Redakteur Alexander Schierholz geht mit Bahn und Bus auf Tour.
MZ-Redakteur Alexander Schierholz geht mit Bahn und Bus auf Tour. Silvio Kison

Halle (Saale) - Diese Reise beginnt mit der Erkenntnis, dass man in Sachsen-Anhalt an Magdeburg nicht vorbeikommt. Zumindest dann nicht, wenn man mit dem Zug in den Landesnorden will. Das geht nur über die Landeshauptstadt.

Also steht am Anfang dieser Tour ein Regionalexpress der Linie 8 Halle-Magdeburg. Halle Hauptbahnhof, ein Dienstagmorgen, Gleis 10. Ein roter Doppelstockzug der Elbe-Saale-Bahn, so nennt die Deutsche Bahn ihre Pendlerzüge zwischen Sachsen-Anhalts größten Städten.

Jüngst hatte die MZ berichtet, dass es mit einem Nahverkehrsticket für das ganze Land, zu kaufen per App, so schnell nichts wird. Es sollte ein Schneise schlagen in den Tarifdschungel aus zwei Verkehrsverbünden und etlichen gesonderten Tarifmodellen in mehreren Landkreisen und bei der Deutschen Bahn. Was Fragen aufwirft: Wie einfach zu nutzen ist der Nahverkehr in Sachsen-Anhalt? Wie zuverlässig ist das System? Zeit für Antworten: Die MZ begibt sich selbst auf eine Tour durchs Land. Von Halle nach Magdeburg, weiter zum Kloster Jerichow. Von dort zu den Wittenberger Lutherstätten, dann zurück nach Halle. Ein Ausflug mit Bus und Bahn. Bitte einsteigen!

Etappe 1:Von Halle nach Jerichow

Das Ticket-Problem beginnt schon bei der Buchung. Die App der Bahn spuckt zwar einen Preis aus für die Verbindung Halle-Jerichow, aber nur für eine Teilstrecke. Es ist die, die per Zug zurückgelegt wird. Bis Jerichow fährt kein Zug. Ab Genthin (Jerichower Land) geht es per Bus weiter. Fahrkarten verkauft der Fahrer.

In Halle fährt der RE8 immerhin pünktlich um 8.11 Uhr los - um ein paar Minuten später wieder zu stoppen. Fängt ja gut an. In Bitterfeld, der ersten Station nach Halle, liegt die Verspätung bei sieben Minuten. Bei der Ankunft in Magdeburg, eine Stunde und 40 Minuten nach der Abfahrt in Halle, werden es nur noch vier sein.

Eine Reise mit dem Zug ist immer auch eine Reise durch die Hinterhöfe des Landes - verfallene Fabriken, verfallene Lokschuppen, verfallene Garagenkomplexe. In Güterglück bei Zerbst verstärken ein heruntergekommenes Bahnhofsgebäude und ein Feld voller verblühter Sonnenblumen den Eindruck von Tristesse. Es nieselt. Im Zug ist es frisch.

Ankunft in Magdeburg, auf Gleis 8 wartet der Regionalexpress 1 Richtung Berlin via Genthin. Wieder rote Doppelstockwaggons, aber kein WLAN, im Gegensatz zur Elbe-Saale-Bahn. Dafür haben sie im mittleren Waggon einen Snackautomaten: Schokoriegel, Chips, Softdrinks, Wasser. Der Kaffeeautomat daneben ist defekt. Den Mann auf dem Klappsitz einen Wagen weiter kann das nicht erschüttern. Er hat ganz anderes erlebt als defekte Automaten. Drei Jahre ist er täglich gependelt zwischen Potsdam und Magdeburg, eine Strecke 70 Minuten. Er erzählt von ausgefallenen Zügen, von Verspätungen, kaputten Klimaanlagen und Heizungen, „was man als Bahnpendler eben so mitmacht“. Jetzt zieht er nach Magdeburg.

Immerhin, heute geht alles glatt, mit drei Minuten Verspätung erreicht der RE1 um 10.43 Uhr Genthin, bei der Bahn ist das gar nichts. Die Frage, wo der Bus nach Jerichow abfährt, beantwortet sich von selbst - der Busbahnhof liegt direkt vor dem Bahnhofsgebäude. In der Bahnsteigunterführung stinkt es nach Urin. Eine Leuchtreklame preist den „Bahnhofsimbiss“ an. Doch der ist verriegelt. Also 50 Minuten im Nieselregen auf den Bus nach Jerichow warten, immerhin ein bedeutendes Ausflugsziel an der Straße der Romanik. Willkommen in der Trostlosigkeit. Eine schnellere Verbindung hat die Bahn-App nicht ausgespuckt.

Doch dann gibt es eine Überraschung. Nach knapp 20 Minuten biegt ein weißer Bus der Linie 744 um die Ecke, „Jerichow“ steht auf der Zielanzeige. In der Bahn-Auskunft taucht der Bus nicht auf, bei der Landesnahverkehrsgesellschaft Nasa ist er als Rufbus gekennzeichnet, den man telefonisch bestellen muss. Nun fährt er einfach so.

Also eingestiegen und den Fahrer gefragt: „Ich möchte zum Kloster Jerichow. Kann ich da mit Ihnen fahren?“ - „Könnse. Aber nur bis Jerichow ehemaliger Bahnhof. Is’ dann noch ein Stück zu Fuß.“ - „Was heißt ein Stück?“ - Schulterzucken, dann: „Müssen se wissen.“ - „Gut, ich fahre mit.“ Macht 4,40 Euro, laut Tarif des Magdeburger Regionalverkehrsverbundes Marego.

Mit eingestiegen sind Sandra und Daniel Engelbrecht. Sie wohnen in Bahnhofsnähe und wollen mal eben zum Baumarkt, ein paar Haltestellen weiter. Für den Nahverkehr im Jerichower Land haben sie nur Lob übrig: freundliche Fahrer, pünktliche Busse, häufig im Takt.

Aber wenige Kunden. Als Engelbrechts ausgestiegen sind, bin ich der einzige Fahrgast. Hohenbellin, Kleinwulkow, Großwulkow, Briest - der Bus schlängelt sich über die Dörfer. Erst in Klein-Mangelsdorf, kurz vor Jerichow, steigt eine junge Frau zu.

Ein riesiger fast leerer Bus, 40 Minuten Fahrzeit für rund 30 Kilometer - kann das der Nahverkehr der Zukunft sein? Der zehnminütige Fußmarsch von der Bushaltestelle zum Kloster in Jerichow lässt Zeit zum Nachdenken. Es geht auf zwölf Uhr zu, um 13.16 Uhr fährt ein Bus zurück nach Genthin. Für den Klosterbesuch bleibt nicht viel Zeit.

Etappe 2: Von Jerichow nach Wittenberg

Eigentlich sollte das keine Weltreise sein. Der Routenplaner sagt: eine Stunde und 37 Minuten. Mit dem Auto. Und mit Bus und Bahn? Nun ja.

Zurück nach Genthin geht es mit Bus 742, 25 Minuten, weniger Dörfer. Die Zugfahrt von Genthin nach Wittenberg dauert eine Stunde und 33 Minuten. Reine Fahrzeit. Die Umsteigezeit kommt noch dazu. In Biederitz, östlich von Magdeburg, heißt es: Wechseln vom Regionalexpress 1 aus Genthin zum Regionalexpress 13 Richtung Dessau. Mit fast einer Stunde Übergangszeit. Nicht weil ein Zug verspätet wäre. Nein, planmäßig. Wenn es einen Preis gäbe für den am stärksten verwahrlosten Bahnhof Sachsen-Anhalts, Biederitz hätte gute Chancen. Überall Graffiti, Müll in der Unterführung, zerschlagene Scheiben, eine defekte Uhr.

Selten ist die Freude über einen Zug so groß wie hier. Um 15.24 Uhr kommt RE13, ein silberner S-Bahn-Triebwagen der Deutschen Bahn. Der Zug ist voll besetzt, Feierabendverkehr. Was auffällt: An Bord ist ein Ticket-Automat, bei der Bahn in Sachsen-Anhalt ist das nicht Standard.

16.04 Uhr, Roßlau, Umsteigen nach Wittenberg. Die Bahnsteige wirken neu und sauber, sie waren erst vor wenigen Jahren modernisiert worden. Was fehlt, sind Aufzüge. Zwei Radfahrer montieren ihre Gepäcktaschen ab, tragen sie durch die Unterführung von Gleis 2 zu Gleis 1, schieben die Räder über auf den Stufen montierten Rampen hinterher, montieren die Gepäcktaschen wieder dran. Und fluchen. Die Bahn sagt, „voraussichtlich“ bis Februar 2020 würden Fahrstühle nachgerüstet.

Die Regionalbahn 51, wieder ein silbergrauer S-Bahn-Zug, erreicht Wittenberg Altstadt um 16.43 Uhr. Drei Minuten Verspätung. Schon beginnt das Rechnen: Der Zug nach Halle fährt nachher am Hauptbahnhof ab, bis dahin sind es aus der Altstadt rund 15 Minuten Fußweg. Bleibt etwa eine Stunde für die Lutherstätten. Also ab in die Schlosskirche!

Etappe 3: Von Wittenberg nach Halle

Auch hier haben moderne S-Bahnen alte Doppelstockzüge abgelöst. Umsteigen in Bitterfeld, seit Jahren bewährt. Der Bahnhof ist ein Knotenpunkt, hier treffen sich Regionallinien aus Halle, Leipzig, Wittenberg und Dessau. Um 19.13 Uhr, mit vier Minuten Verspätung, hält die S8 in Halle Hauptbahnhof, Bahnsteig 11.

Das Fazit der Tour duch Sachsen-Anhalt

Tarifdschungel? Ja. Für die Tour sind fünf Fahrscheine nötig, sie führt durch zwei Verkehrsverbünde und einen tariftechnisch halbautonomen Landkreis - in Wittenberg zählt der Zugverkehr zum Mitteldeutschen Verkehrsverbund, der Busverkehr aber nicht. Ein überall gültiges Landesticket könnte eine Erleichterung sein, gerade für Gelegenheitsfahrer. Doch es gibt andere Baustellen, die mindestens ebenso dringend erscheinen: Anschlüsse mit absurd langen Wartezeiten von bis zu einer Stunde machen den Nahverkehr unattraktiv. Ruinöse Bahnhofsgebäude schrecken ab. Obwohl das Land gemeinsam mit der Bahn seit Jahren Anlagen modernisiert, bleibt noch viel zu tun.