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12-Euro-Gehaltsuntergrenze Mindestlohnerhöhung: Sind Sachsen-Anhalts Firmen in der Corona-Krise dazu in der Lage?

Etwa 270.000 Arbeitnehmer in Sachsen-Anhalt würden von einer Gehaltsuntergrenze von zwölf Euro profitieren. Warum Firmen sich überfordert sehen.

Von Steffen Höhne Aktualisiert: 11.01.2022, 13:19
Bei den Gebäudereinigern in Sachsen-Anhalt würde der Mindestlohn über dem Tariflohn liegen.
Bei den Gebäudereinigern in Sachsen-Anhalt würde der Mindestlohn über dem Tariflohn liegen. Foto: IG BAU

Halle/MZ - Die geplante Einführung eines Mindestlohns von zwölf Euro je Stunde wird nach Ansicht der Industrie- und Handelskammer (IHK) Halle-Dessau eine schwere Belastung für die Wirtschaft Sachsen-Anhalts. „Durch die Corona-Pandemie sind Branchen wie der Handel und die Gastronomie schon stark getroffen und nun sollen sie noch mehr schultern“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Brockmeier. Es sei absehbar, dass nicht jede Firma „20 Prozent mehr Lohn zahlen kann“. Laut Brockmeier gab es im Jahr 2019 noch 830 Tarifverträge, die unter 13 Euro lagen. Durch den politischen Eingriff werde nicht nur die Tarifautonomie tangiert, sondern den Unternehmen auch jede Planungssicherheit genommen.

Was das bedeutet, erläutert Robert Röhrig von der Landesinnung der Gebäudedienstleister Sachsen-Anhalt: „Wir haben im aktuellen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft einen Lohn von 11,55 Euro vereinbart.“ Die Angebote der Firmen an die Kunden würden auf diesem Lohn für Gebäudereiniger beruhen. „Diese Kundenverträge lassen sich nicht mit einem Fingerschnips aufheben“, sagt Röhring.

Niedriglöhne vor allem bei tariflosen Firmen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte am Wochenende angekündigt, dass die Ampel-Koalition den Mindestlohn noch in diesem Jahr von aktuell 9,82 Euro auf zwölf Euro anheben wird. Nach aktuellen Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) würden davon schätzungsweise 270.000 Arbeitnehmer in Sachsen-Anhalt profitieren - jeder dritte sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Ihre Löhne liegen bisher unter zwölf Euro. „Strom, Gas, Benzin, Nahrungsmittel - alles wird teurer. Die Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich benötigen diesen Sprung“, sagte zuletzt DGB-Landeschefin Susanne Wiedemeyer. Das Gros der Tarifverträge ist laut DGB inzwischen über der Zwölf-Euro-Grenze. Niedriglöhne würden vor allem Firmen zahlen, die nicht tarifgebunden seien. Besonders ausgeprägt sei der untere Entgeltbereich im Gastgewerbe, dem Handel, der Leiharbeit oder der Land- und Forstwirtschaft.

Nach Ansicht des Unternehmers Gerhard Köhler, Mehrheitsgesellschafter des Fotodienstleisters Orwo Net aus Bitterfeld-Wolfen, wird die Anhebung zu einer Lohn-Preis-Spirale in allen Wirtschaftsbereichen führen. „Durch die Erhöhung der Materialpreise und der Lohnkosten werden die Verkaufspreise für unsere Fotobücher und andere Fotoprodukte um mindestens zehn Prozent steigen müssen“, rechnet Köhler vor. Nur so könne das Bestehen des Unternehmens gesichert werden. „Für bestimmte Produkte mit einem erhöhten Lohnkostenanteil müssen wir dann eine Verlagerung ins Ausland erwägen“, sagt Köhler.

Ausweichhandlungen: Firmen verkürzen die Arbeitszeit

DGB-Landeschefin Wiedemeyer befürchtet keinen Wegfall von Stellen: „Bei jeder Anhebung des Mindestlohns wurde bisher vor Jobverlusten gewarnt, das Gegenteil ist eingetreten.“ Im Jahr 2015 wurde der Mindestlohn eingeführt, damals bei 8,50 Euro.

Nach Angaben des Wirtschaftsforschers Marcel Thum vom Ifo-Institut in Dresden gibt es unterschiedliche Studienergebnisse zur Beschäftigungsentwicklung: „Sie reichen von einem Plus von 11.000 Stellen bis zum Abbau von 200.000 Jobs.“ Gesichert sei aber, dass der Mindestlohn prekäre Lebensverhältnisse nicht entscheidend vermindert habe. Viele Firmen hätten die Zahl der Arbeitsstunden für Mitarbeiter verringert und der Staat kürze Sozialtransfers (Aufstockermittel) bei Familien, da die Arbeitnehmer mehr verdienten, so Thum. Die Einkommen seien daher deutlich geringer gestiegen als die Stundenlöhne.