Landesparteitag der SPD Landesparteitag der SPD Sachsen-Anhalt in Wernigerode zur GroKo

Wernigerode - Dies ist der Moment, auf den Sigmar Gabriel gewartet hat: Er wird angegriffen. Eine betont zurückhaltende Rede hat der frühere SPD-Chef im Wernigeröder Kongresszentrum gerade abgeliefert. Keine flammende Werbung für das Ergebnis der Berliner Sondierungsgespräche, sondern nachdenkliche Sätze.
Lob für das 28-seitige Konsens-Papier mit der Union streut er nur am Rande ein, etwa für die europapolitischen Verabredungen. Endlich sei Schluss damit, dass „jeder Bäckermeister in Wernigerode“ mehr Steuern zahle als Großkonzerne wie Apple, sagt er. Als der Außenminister wieder Platz nimmt, erntet er Applaus. Doch der täuscht, wie sich noch zeigen wird.
Verhandlungserfolge? Mit der Union? Florian Lüdtke, der auf Gabriels Redebeitrag reagiert, ist empört. Ja, es gebe „viel Europa“ zu Beginn des Papiers, sagt der Juso aus dem Jerichower Land. „Aber dann hört es auch auf mit sozialdemokratischer Politik!“
Der Zielwert für den Flüchtlingsnachzug setze de facto eine Obergrenze, die die SPD stets bekämpft habe. Und dann setzt Lüdtke den Treffer, der Gabriel provoziert: „Wir Jusos machen uns nicht zum Knecht der CDU!“
Am Freitag schon hat der Parteitag von Sachsen-Anhalts SPD begonnen, es ist der Tag, an dem die Berliner Sondierer ihre Ergebnisse vorlegen. Das Treffen im Harz, dessen Termin schon seit langem feststeht, wird so zum ersten Stimmungstest an der Basis.
Gabriel, der am Sonnabendvormittag eingetroffen ist, weiß, dass er überzeugen muss. Die Kritik des zornigen Jusos gibt ihm die Gelegenheit dazu. Der Minister verteidigt die Ziel-Zahl beim Flüchtlingsnachzug. „Warum ist das falsch?“, fragt er.
Gezielt redet er sich in Rage. Es müsse doch um Integration gehen – und da gebe es eben bei Jobs, Wohnungen, Kita-Plätzen Grenzen der Aufnahmefähigkeit. „Habt ihr mal Lutz Trümper gefragt?“, ruft er den Jusos entgegen.
SPD-Landesparteitag in Wernigerode: Sachsen-Anhalts Sozialdemokraten streiten über die GroKo
Magdeburgs Oberbürgermeister hatte sein SPD-Parteibuch im Streit um den Flüchtlingskurs zurückgegeben. Mittlerweile ist er wieder zurück, an diesem Tag sitzt er als Beobachter in einer der letzten Reihen.
Gabriel warnt die Delegierten vor einer zu schnellen Festlegung. Es gebe immer Menschen, die am Beginn einer Debatte schon genau wüssten, was am Ende komme, sagt er - und versucht es mit Kumpeligkeit in Richtung Lüdtke. „Ich kenne dieses Verhalten von mir auch. Deshalb habe ich Sympathie für dich.“
Mancher im Saal glaubt in diesem Moment, die Schlacht um die GroKo sei geschlagen. Sie haben ihre Rechnung ohne Kevin Kühnert gemacht. Der 28-jährige Juso-Bundeschef hat eine „No-GroKo“-Tour angekündigt, und der Parteitag in Sachsen-Anhalt ist seine erste Groß-Chance.
Kühnert trifft ein, als Gabriel den Saal bereits verlassen hat - es ist ein Schattenboxen, das die beiden aufführen. Als der Jungstar der SPD am frühen Nachmittag das Wort bekommt, bleibt er betont sachlich.
Natürlich seien die SPD-Verhandler nach einer Woche harter Arbeit stolz auf ihre Arbeit, sagt er, das sei psychologisch verständlich. Natürlich gebe es auch Vorzeigbares – doch das reiche eben nicht aus.
Dann listet er all die Formelkompromisse, die unscharfen Formulierungen im Sondierungsergebnis auf. „Wir sind für mehr Gerechtigkeit, nicht für mehr Prüfaufträge eingetreten“, kritisiert er. Den Delegierten macht er Mut, dem Druck der Parteiführung zu trotzen. Niemand solle sich einreden lassen, die SPD müsse aus Verantwortungsgefühl regieren. „Es geht nur darum, ob die Inhalte für die SPD ausreichen.“
Reichen sie aus? Wer den Delegierten zuhört, erlebt eine gespaltene SPD. Mittlerweile ist es später Nachmittag, nach Vorstandswahlen und vielen Abstimmungen über Landesthemen wird es ernst.
Zur Debatte steht ein Antrag, den die Jusos und fünf SPD-Arbeitsgemeinschaften gemeinsam eingebracht haben. „Die SPD Sachsen-Anhalt spricht sich, insbesondere unter Berücksichtigung der ersten Ergebnisse der Sondierungen mit CDU und CSU, gegen eine erneute große Koalition aus“, lautet der erste Satz.
Es ist die untere Funktionärsebene, die nur noch raus will aus dem Bündnis mit der Union. Schon die GroKo 2013 sei ein Fehler gewesen, ruft Mario Hennig von der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Eindringlich warnt er vor einem Absacken der SPD auf einstellige Ergebnisse. „Die Verhandlungen sind eine Farce, wir müssen dieses Theater abbrechen!“
Beim Landesparteitag der SPD Sachsen-Anhalt in Wernigerode reden sich die Delegierten den Frust von der Seele
Reihenweise reden sich nun Delegierte den Frust von der Seele. Es sind die Berufspolitiker der SPD, die dagegenhalten. Sie warnen davor, die Tür zu einer Regierungsbeteiligung zuzuschlagen. Abgeordnete, Minister, Staatssekretäre – sie sehen mehr Vor- als Nachteile in Koalitionsverhandlungen.
Doch am Rednerpult sind die Gegner in der Überzahl. „Jetzt sag’ doch auch mal was“, raunzt SPD-Landeschef Burkhard Lischka den Europaabgeordneten Arne Lietz an, der gerade vom Kuchenstand in den Saal kommt. Lietz gehorcht und meldet sich zu Wort.
Mehr als 20 Redebeiträge sind gehalten, dann hasten die Kameraleute der Fernsehsender auf das Podium. Sie alle brauchen Bilder von der bundesweit ersten Basis-Abstimmung zur GroKo.
Als die Arme nach oben gehen, zeigt sich eine gespaltene SPD. Zwei Mal lässt das Präsidium auszählen, dann gibt es ein sicheres Ergebnis: 52 Stimmen für den Juso-Antrag, 51 dagegen. Die GroKo hat bei Sachsen-Anhalts Genossen keine Mehrheit. Die eine Hälfte im Saal jubelt, Landeschef Lischka lächelt säuerlich.
Im Blitzlichtgewitter strahlt Juso-Landeschefin Tina Rosner. Welche Folgen wird die Abstimmung haben? „Das ermutigt die ganze SPD zur Diskussion“, sagt sie, „gerade, weil es so knapp ausgegangen ist.“
Die Frage, wer Deutschland regieren soll, wenn FDP, AfD, Linke und nun vielleicht auch die SPD opponieren wollen, wischt sie beiseite. „Die SPD ist da nicht allein in der Verantwortung.“ Es ist ein trotziger Gestus: Soll Merkel doch sehen, wie sie klarkommt.
Regieren oder nicht - diese Frage zerreißt die Partei, die so stolz ist auf ihre 154-jährige Geschichte. Alles andere geht fast unter an diesem Parteitags-Wochenende.
Dass SPD-Landeschef Lischka mit 110 von 113 Stimmen wiedergewählt wird und auch seine drei Stellvertreter im Amt bestätigt werden - das tritt ebenso in den Hintergrund wie ein zuvor heftig umstrittener Antrag zur Trennung von Kirche und Staat. Der Vorstoß wird - dies fürs Protokoll - zur Beratung in die Gremien überwiesen.
Der Parteitag liegt in seinen letzten Zügen. Draußen vor der Tür zieht der alte und neue Vorsitzende an seiner Menthol-Zigarette. Der Jubel nach der Abstimmung habe ihn geärgert, räumt Lischka ein, eine gespaltene Partei könne doch niemanden freuen.
Dennoch: Für ihn ist der Zug zur GroKo noch nicht abgefahren. In Verhandlungen ließen sich noch Verbesserungen herausholen, glaubt er, etwa mehr Geld für kostenlose Kita-Plätze. Sieben Stimmberechtigte schickt Sachsen-Anhalts SPD zum außerordentlichen Bundesparteitag am nächsten Sonntag, sieben von 600. Und doch: Das Ergebnis von Wernigerode ist ein Fingerzeig.
Sitzungsleiter Andreas Schmidt hat das schon früh geahnt. „Ein großer Tag beginnt“, hatte er die Delegierten am Morgen begrüßt, „möglicherweise ein entscheidender Tag für die SPD.“