Kneipensterben in Sachsen-Anhalt Kneipensterben in Sachsen-Anhalt : Warum immer mehr Gastronomen aufgeben

Halle (Saale) - Sachsen-Anhalt erlebt ein Kneipensterben. In den vergangenen vier Jahren haben allein im südlichen Sachsen-Anhalt bereits 161 Betreiber ihren Ausschank geschlossen. Extrem kritisch sieht es dabei im Landkreis Wittenberg aus - mit fast 50 Geschäftsaufgaben. Das bedeutet: Nahezu jede siebente Gaststätte hat dort seit 2014 dicht gemacht, teils altersbedingt, teils aus wirtschaftlicher Not. Die alarmierenden Zahlen stammen aus dem jüngsten Branchenbericht der Industrie- und Handelskammer (IHK) Halle-Dessau.
„Die Lage hat sich dramatisch zugespitzt“, bestätigt Michael Schmidt, Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Sachsen-Anhalt. „Vor 20 Jahren waren Koch und Kellner heiß begehrte Jobs, nun müssen Gastwirtschaften schließen, weil das niemand mehr machen möchte.“ Schwierig sei die Situation auch für viele Hotels und Pensionen, zunehmend auch in touristisch gut erschlossenen Regionen wie dem Burgenlandkreis. Allein dort sind in letzter Zeit gut 20 Beherbergungsstätten weggefallen. Auch Anhalt-Bitterfeld verzeichnet einen dramatischen Rückgang der Kapazitäten - minus 16 Hotels. Landesweit gibt es heute 61 Hotels und Pensionen weniger als noch 2014.
61 Hotels und Pensionen weniger als noch 2014 in Sachsen-Anhalt
Unterdessen warnen IHK und Dehoga vor einem beschleunigten Niedergang. Händeringend suchen Wirte nach jungen Fachkräften. Aber sie finden oft keine. Am stärksten wirkt sich der Mangel bei Landgasthöfen aus. Aber auch in den Städten wird die Luft für Gastronomen immer dünner.
Symptome der Misere sind gekürzte Öffnungszeiten, zusammengestrichene Speisekarten und vorgezogener Küchenschluss. Das führt dazu, dass Gäste in vielen Fällen nach 21 Uhr keine Speisen mehr bekommen. Selbst bei Tagungen oder Familienfeiern, wo früher nicht auf die Uhr geschaut worden ist, muss wegen Personalmangels jetzt penibel auf die vereinbarte Schlusszeit geachtet werden.
Mehr denn je müssen sich Betriebe anstrengen, die Lehrlinge suchen. „Die Zahl der Auszubildenden ist im vergangenen Jahrzehnt dramatisch zurückgegangen“, sagt IHK-Pressesprecher Markus Rettich. Aktuell bilde die Branche im südlichen Sachsen-Anhalt 482 junge Leute aus. Das sei nur noch ein Viertel der Lehrlingszahl von 2008.
Personaleinsatz: Wirte fordern Erleichterungen
Besonders angespannt ist die Nachwuchssuche im Ausbildungsberuf Fachkraft im Gastgewerbe. Nur 36 Jugendliche lassen sich gegenwärtig dazu ausbilden, vor einem Jahrzehnt sind es immerhin noch 247 gewesen. Damals 1.032 Kochlehrlinge, heute 215 - diese Gegenüberstellung macht deutlich: Die Fachleute am Herd reichen längst nicht mehr für alle Betriebe aus.
Bei Restaurantfachleuten, die eigentlich qualifiziert die Gäste beraten und bedienen sollen, ist das Zahlenverhältnis ganz ähnlich. Selbst in der Systemgastronomie, lange Zeit ein Wachstumstreiber, läuft es nicht mehr rund. Auch dort müssen die Unternehmen werben, um neue Arbeitskräfte zu gewinnen.
Weil dringender Handlungsbedarf besteht, so Dehoga-Präsident Schmidt, ist eine Diskussion über Lösungsmöglichkeiten im Gange. Viele Wirte fordern Erleichterungen beim Einsatz von Flüchtlingen und Zuwanderern. Als Vorbild können gute Erfahrungen dienen, die die Dehoga seit Jahren mit Praktikanten aus der Türkei macht.
Solche Vereinbarungen seien auch mit anderen Ländern denkbar. Ebenso ist laut Schmidt die Flexibilisierung der Arbeitszeit ein Thema. Die strikte Obergrenze von zehn Stunden pro Tag soll fallen - zugunsten einer Wochenarbeitszeit, die dann je nach Bedarf auf die Tage aufgeteilt werden kann. (mz)