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Schulprobleme Kitas in Sachsen-Anhalt: Schaden offene Konzepte den Kindern?

Viele Kinder in Sachsen-Anhalt haben Schulprobleme. Mediziner und Bildungsexperten sehen dafür auch die offene Arbeit in Einrichtungen als Grund. Wie das in den Kitas ankommt.

Von Lisa Garn Aktualisiert: 03.06.2024, 15:29
In vielen Kitas Sachsen-Anhalts wird das offene Konzept angeboten.
In vielen Kitas Sachsen-Anhalts wird das offene Konzept angeboten. (Foto: imago images/biky)

Halle/MZ. - Druck, Versagensangst und Verweigerung: Viele Kinder in Sachsen-Anhalt haben Probleme in der Schule. Eine Ursache sehen Ärzte und Psychiater auch in offenen Konzepten in immer mehr Kitas. Die Modelle sind unterschiedlich, meist gibt es keine festen Gruppen und Kinder bestimmen weitgehend selbst, an welchen Angeboten sie teilnehmen. „Für die psychische Entwicklung ist dieser Ansatz problematisch“, kritisiert Annegret Brauer, Vize-Vorsitzende des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie. „In diesem Alter brauchen Kinder am meisten feste Strukturen und Orientierung. Sonst führt es bei manchen zu Verunsicherung und Überforderung.“ Frustrationstoleranz und Konfliktfähigkeit würden weniger stark ausgebildet.

Probleme in der Schule durch offene Kita-Konzepte?

Das habe Folgen für den Schuleintritt. Die Ärztin behandelt in ihrer Praxis in Halle vor allem junge Menschen, die schulische Probleme haben. Die Leiden seien schwerwiegender geworden. „Ich habe Kinder, die schon in der Grundschule den Unterricht verweigern.“ Zwar sieht Brauer eine der Ursachen auch in Langzeitfolgen der pandemiebedingten Lockdowns. Doch offene Konzepte begünstigten Fehlentwicklungen.

Die Kinder werden auch nicht gut auf den Schulanfang vorbereitet.

Daniel Kemp, Bildungsexperte

Bildungsexperte Daniel Kemp aus Dessau-Roßlau sieht von Kindern zu früh zu viel Entscheidungskompetenz verlangt. „Sie werden auch nicht gut auf den Schulanfang vorbereitet“, sagt der Frühpädagoge, der als Fachreferent für Verhaltensauffälligkeiten an Kitas in Sachsen-Anhalt tätig ist. „Manche Kinder können zum Schulanfang keine Schere halten. Sie lernen nicht, eingeschränkt zu werden und sich mit einem Thema auseinandersetzen zu müssen.“ Dies führe zu Misserfolg und auffälligem Verhalten in der Schule. „Es gibt mehr Sprachauffälligkeiten, viele Schulvermeider, mehr Klassenwiederholungen.“

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In Sachsen-Anhalt wurden 2023 laut Statistischem Landesamt rund 80.000 Kinder unter sechs Jahren in Einrichtungen betreut. Bei Schuleingangsuntersuchungen 2022 hatte mehr als jedes vierte Kind Sprachprobleme, neuere Daten liegen nicht vor. Die Zahl der Schulverweigerer ging laut Landesschulamt leicht zurück: 2022/2023 gab es rund 1.260 Verstöße gegen die Schulpflicht (2021/22: etwa 1.400). Wie viele Fälle vor Ort eigenständig gelöst wurden, wird aber nicht erhoben. Schulen hatten zuletzt zunehmend Probleme mit Kindern beklagt, die schwänzten.

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Für die Gewerkschaft Erziehung und Bildung (GEW) Sachsen-Anhalt sind dafür aber nicht offene Konzepte verantwortlich. „Es ist unverständlich, dass der pädagogischen Kompetenz so misstraut wird. Das sind Fachkräfte, die sich weiterbilden“, sagt die Vorsitzende Eva Gerth. „Pädagogik entwickelt sich weiter. Kindern Entscheidungen zuzutrauen, ist wichtiger geworden. Sie werden weiter begleitet und gefördert.“ Doch Kinderärzte befürchten: „Wenn viele Altersstufen zusammen betreut werden, geraten individuelle Bedürfnisse aus dem Blick“, sagt Roland Achtzehn vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. „Fehlen feste Bezugspersonen in großen Gruppen, Anleitung und Regeln, gefährdet das die innere Stabilität der Kinder“.

Silke Hajeck, Leiterin der Kita Heide-Süd in Halle, widerspricht: „Es gibt Grenzen, aber wir orientieren uns stärker an Bedürfnissen. Wir trauen Kindern etwas zu, daran wachsen sie.“ Sie räumt ein: „Das geht nur mit Fachkräften, die das leben.“ Die städtische Einrichtung hatte 2023 für ihr Konzept der offenen Arbeit den Deutschen Kita-Preis gewonnen. Auch das Sozialministerium kann die Kritik nicht nachvollziehen: „Dagegen sprechen die vielen positiven Beispiele der Umsetzung der offenen Arbeit in unserem Land“, heißt es auf MZ-Nachfrage. „Entscheidend ist nicht nur das Konzept selbst, sondern die Umsetzung vor Ort.“