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Kein Geld mehr für Dörfer? Kein Geld mehr für Dörfer?: Warum Vorstoß des IWH-Chefs Angst vor Unruhen schürt

Von Kai Gauselmann 31.12.2018, 07:00

Halle (Saale) - Ganz Sachsen-Anhalt ist ein ländlicher Raum. Ganz Sachsen-Anhalt? Nein, zwei Flecken sind auf der Karte die Ausnahme: Halle und Magdeburg. Entsprechend radikal wäre es, wenn die Politik sich bei der Förderung auf Städte konzentrierte. Das fordert Wirtschaftsexperte Reint E. Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Auf jener Karte zeigt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung die ländlichen in Abgrenzung zu den städtischen Räumen. Unter anderem braucht eine Kommune mehr als 100.000 Einwohner, um bei diesen planerischen Kategorien als städtischer Raum durchzugehen - so gesehen lebt man also sogar in Dessau-Roßlau auf dem Land.

Proteste wie in Frankreich

Eine schlechte Nachricht für ländliche Räume hat IWH-Chef Gropp beim MDR formuliert - mit der Forderung nach einer Neuausrichtung der Ostförderung. Für eine Ost-West-Angleichung bei Produktivität und Löhnen ist aus seiner Sicht eine Stärkung der Städte nötig. Mit Subventionen für den ländlichen Raum sei das nicht zu schaffen. Man habe keine Wahl, als das Geld „nicht in die Lausitz, sondern nach Dresden oder nach Leipzig zu stecken“. Nur dann könne der Osten aufholen.

Die Forderung löste in der Landespolitik keine Freude aus. Etwa bei Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU): „Wer allein solchen Vorschlägen folgen würde, nimmt in Kauf, dass - wie in Frankreich - die Gelbwesten auf den Straßen sind.“ Gropp vertrete eine rein ökonomistische These, die „alle sozialen und psychologischen Gesichtspunkte ausblendet und - siehe wiederum Frankreich - zur politischen Destabilisierung führt“, sagte der Regierungschef. Er warnte, dass gerade im Osten, wo die Menschen so große Umbrüche erlebt haben, der ländliche Raum nicht abgehängt werden dürfe. „Damit sind enorme Ängste in der Bevölkerung verbunden, das spielt den Rechtspopulisten in die Hände“, sagte Haseloff der MZ.

Landeswirtschaftsminister Armin Willingmann (SPD) sieht das ähnlich. „Wenn wir wirklich so verfahren würden, wie Gropp fordert, verlören wir endgültig die politische Akzeptanz im ländlichen Raum, fühlten sich die Menschen zurecht abgehängt“, sagte er. In der volkswirtschaftlichen Theorie habe Gropp Recht.

Willingmann: „Auch Gropp weiß, dass wir die ländlichen Regionen im Blick behalten müssen“

„Da sind Metropolen das Zauberwort für die Entwicklung einer Region. Für die wirtschaftspolitische Praxis in Sachsen-Anhalt greift das aber zu kurz und ist so nicht machbar.“ Hier wohnten 80 Prozent der Menschen nicht in den beiden Großstädten Halle und Magdeburg. „Auch für sie müssen wir Angebote machen, für Industriearbeitsplätze und Dienstleistungen, für Kultur und Bildung. Auch Gropp, der ja gerne polarisiert, weiß, dass wir die ländlichen Regionen im Blick behalten müssen“, so Willingmann.

Der Minister plädierte dafür, „das eine zu tun, ohne das andere zu lassen“. In Halle und Magdeburg habe das Land große Chancen, durch die Förderung von Forschung und Entwicklung eine eigene Start-up-Kultur zu etablieren und hochqualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen. „Da können und müssen wir mehr tun – und das kündige ich hiermit auch schon mit Blick auf die Verhandlungen zum Landeshaushalt für 2020/21 an“, so Willingmann.

Direkte Verantwortung im ländlichen Raum trägt Götz Ulrich (CDU). Der Landrat des Burgenlandkreises reagierte gallig auf den Vorstoß des halleschen Ökonomen. „Zur Abrundung der Position von Herrn Gropp fehlt nur noch der Vorschlag, die Menschen vom Land in die Stadt zwangsumzusiedeln, weil es ökonomischer ist, viele Menschen auf engstem Raum zu versorgen als in der Fläche“, sagte Ulrich der MZ. Der Vorschlag verkenne, dass im Zusammenspiel zwischen einer boomenden Stadt und ihrem ländlichen Umfeld große Chancen lägen.

Gerade für seinen Kreis im Dreieck der Städte Leipzig, Halle und Jena gebe es gute Möglichkeiten, sich zu entwickeln. „Dass ein Professor, der ein Institut in Halle leitet, dabei den Revieren, also auch dem Mitteldeutschen Revier, eine gute Zukunft abspricht, ist grotesk.“ Gropp solle vielmehr dazu beitragen, zu überlegen, wie man ländliche Räume im Umfeld von Städten mit diesen so verzahnt, dass sie als Lebens- und Arbeitsort interessant sind, so Ulrich.

Haseloff erwartet neue Ideen

Ähnlich äußerte sich Haseloff. „Das IWH sollte nach der Wiedervereinigung die Transformation in Ostdeutschland und Osteuropa begleiten. Der Ertrag ist zu vernachlässigen. Da sind fast keine neuen Ideen gekommen, außer dem, was man schon vor 1989 in volkswirtschaftlichen Lehrbüchern lesen konnte“, so Haseloff. Er erwarte vom IWH jetzt, „dass dort eigeninitiativ wirklich neue Denkimpulse etwa für den Strukturwandel in den Braunkohlerevieren entwickelt werden, die uns bei der Bewältigung dieser Prozesse eine echte Hilfe sind“. (mz)

(mz)