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Hohe Energiepreise Kein Erdgas mehr: Warum die Energiegenossenschaft Ost ihre Kunden nicht mehr beliefert

Mit einer Energiegenossenschaft wollte Ralf Schmidt den etablierten Versorgern Konkurrenz machen. Nun stellt die Energiefirma aus Gräfenhainichen teilweise die Belieferung der Kunden ein.

Von Steffen Höhne 26.01.2022, 07:00
Ralf Schmidt ist Gründer der Energiegenossenschaft. Büroräume besitzt das Unternehmen nicht, gearbeitet wird im  Wohnhaus.
Ralf Schmidt ist Gründer der Energiegenossenschaft. Büroräume besitzt das Unternehmen nicht, gearbeitet wird im Wohnhaus. Andreas Stedtler

Gräfenheinichen/MZ - Mitte Dezember lag in Hildegard Riedels Briefkasten ein Brief von ihrem Energieversorger. Die Gas- und Energiegenossenschaft Ost- und Mitteldeutschland (GEG) teilte ihr darin mit, den Versorgungsvertrag zu kündigen. „Auf Grund der derzeitigen Situation auf dem Erdgasmarkt ist die Energiegenossenschaft GEG gezwungen ab 01.01.2022 den Verkauf und die Belieferung mit Erdgas vorläufig einzustellen“, heißt es in dem Schreiben. Die Rentnerin aus Schkopau (Saalekreis) war nach eigenen Worten zunächst „perplex“. Sie war langjährige Kundin der Genossenschaft, von Kündigungen durch Energieversorger hatte sie bis dahin noch nichts gehört.

„Richtig geärgert habe ich mich aber erst, als ich erfuhr, welche Gaspreise mir nun mein örtlicher Versorger und andere Energie-Unternehmen anbieten“, sagt sie am Telefon und ihre Stimme wird höher. Sie schloss schließlich bei Vattenfall ab. „Früher habe ich 120 Euro im Monat gezahlt, nun sind es 300 Euro“, sagt Riedel. Das sei ein Viertel ihrer Rente. „Ohne die Witwenrente könnte ich das nicht bezahlen“, sagt sie. Sie findet das Verhalten ihres alten Versorgers „skandalös“, ist aber auch mit der jetzigen Situation „mehr als unzufrieden“.

40 Energiefirmen in Deutschland beliefern ihre Kunden nicht mehr

So wie Riedel geht es zehntausenden Strom- und Gaskunden in Deutschland. Nach Angaben der Bundesnetzagentur haben wegen hoher Energiepreise im vergangenen Jahr 40 deutsche Energie-Unternehmen ihre Lieferungen an die Kunden eingestellt. In Berichten ist häufig von „Billiganbietern“ die Rede, die durch die aktuell hohen Marktpreise in Bedrängnis geraten. Doch warum?

Antworten gibt es in Gräfenhainichen - einer Kleinstadt im Landkreis Wittenberg: In einem unscheinbaren Reihenhaus hat die GEG ihren Sitz. Dort wohnt Gründer und Aufsichtsratschef Ralf Schmidt. An dem weißen Wohnhaus ist ein Wandbild gemalt, auf dem eine Mühle mit einem Wasserlauf zu sehen ist. Darüber steht Energiegenossenschaft. Auf der anderen Straßenseite steht ein verlassener, zerstörter Supermarkt. Ein paar Häuser weiter wohnt sein Sohn René - Vorstand der Energiefirma. Mehr feste Mitarbeiter hat das Unternehmen nicht. Ralf Schmidt klopft auf seinen Laptop und sagt: „Hier drin ist alles, was wir brauchen.“ Als Konferenzraum dient das Arbeitszimmer des Sohnes. Dort stehen Familienfotos neben einem Werbeplakat für das Unternehmen. Die Überschrift darauf lautet: „Kündige hohen Energiepreisen.“ Ralf Schmidt wiegt den Kopf: „Das war einmal - als die Zeiten noch normal waren.“

Wenn Märkte verrücktspielen, ist das nicht meine Schuld.

Ralf Schmidt, Aufsichtsratschef der GEG

Der Aufsichtsrat klappt sein Laptop auf, ruft eine Seite mit Firmendaten auf und beginnt zu erzählen: „Wir hatten insgesamt 6.000 Strom- und Gaskunden. 3.000 Gaskunden mussten wir jetzt kündigen.“ Man hätte sie nicht mehr zu vertretbaren Preisen beliefern können.

Schmidt ruft eine weitere Seite auf, die die Entwicklung der Gaspreise am Großhandelsmarkt zeigt. Über Jahre bewegte sich der Großhandelspreis zwischen zehn und 25 Euro je Megawattstunde. Ende 2021 waren es 147 Euro. Nach Schmidts Angaben hat die GEG ihr Erdgas für mehrere Jahre im Voraus eingekauft. Zuletzt lief ein Vertag von 2017 bis Ende 2021 mit dem Energieunternehmen Uniper. Dass die Genossenschaft das Gas etwas billiger als die großen Energieversorger anbieten konnte, lag vor allem daran, dass sie kaum Verwaltungskosten hat. Vorstand Rene Schmidt verdient den Angaben zufolge 45.000 Euro brutto im Jahr. Gründer Ralf Schmidt wird nach seinen Worten für IT-Dienstleistungen bezahlt.

Der 61-Jährige trägt ein weißes Hemd und darüber ein helles Sakko. Er hat nichts von einem Energie-Manager im teuren Anzug oder einem sportlich-elegant gekleideten Energie-Start-up-Unternehmer. Doch der Diplom-Philosoph hat eine effiziente Firma aufgebaut. „Die gesamte Belieferung und Abwicklung der Rechnungen verläuft automatisiert“, erzählt er. Die Software dafür habe man selbst programmiert. Die technische Abwicklung des Gastransports übernehmen die Netzbetreiber.

Gespräche mit Gazprom über Gaslieferungen waren nicht erfolgreich

Als die Gaspreise in der Corona-Krise im Jahr 2020 im Keller waren, schloss Schmidt allerdings keinen neuen Einkaufsvertrag ab. „Wir gingen davon aus, dass mit der Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream II noch mehr Erdgas auf den deutschen Markt kommt und daher die Preise weiter sinken.“ Doch das war „eine folgenschwere Fehlannahme“, wie der GEG-Gründer heute selbst einräumt. Durch die Pipeline fließt bisher kein Erdgas, durch die Erholung der Wirtschaft steigt aber die Erdgasnachfrage. Im Jahr 2021 musste Schmidt mit ansehen, wie die Marktpreise Woche für Woche stiegen. „Wir waren sogar mit der russischen Gazprom direkt im Gespräch, um doch noch Erdgas zu annehmbaren Preisen zu kaufen“, erzählt er. Zum Abschluss kam das Geschäft nicht. Ende 2021 stand die GEG ohne Erdgas da und musste den Kunden kündigen - so schildert es zumindest der Unternehmer.

Der große, regionale Konkurrent Mitgas kauft anders ein. Vertriebsvorstand Andreas Auerbach schilderte das zuletzt so: Mitgas kaufe kontinuierlich Monat für Monat Erdgas ein, das den Kunden erst ein oder zwei Jahre später geliefert werde. So sei eine verlässliche Versorgung möglich und Preisspitzen würden ausgeglichen. „Anders könnte ich nachts nicht ruhig schlafen“, sagte Auerbach.

Unternehmen bleibt weiter im Stromgeschäft tätig

Eine solche Einkaufspolitik kann die GEG nach Schmidts Auffassung nicht umsetzen: „Dafür sind die von uns erworbenen Mengen zu klein.“ Die GEG schließe zu einem festen Preis einen größeren Vertrag ab und erhalte dann Monat für Monat das Erdgas. Aus diesem Grund seien nun vor allem kleinere Energieversorger in der Bredouille. „Das ist unternehmerisches Risiko.“

Schmidt hat Elektromechanik im ehemaligen Kraftwerk Zschornewitz - einem der ältesten Kraftwerke Deutschlands - gelernt. Er studierte später Philosophie und schloss zur Wende sein Studium mit einer Diplomarbeit ab. Das Thema: „Realisierungsmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz“. Anschließend arbeitet er als IT-Berater für verschiedene Firmen - unter anderen für den Energiesektor. So kam er auch auf die Geschäftsidee der Energiegenossenschaft, die den etablierten Stadtwerken Konkurrenz machen will. Er sah sich lange Zeit selbst als Gas-Rebell. Besondere Fachkenntnisse im Energiesektor besitzt er allerdings nicht. In der Genossenschaft, die nur zwölf Mitglieder hat, kontrolliert er seinen Sohn. Und wer kontrolliert Ralf Schmidt? „Der Genossenschaftsverband“, sagt er. Er prüfe regelmäßig die Bücher. 16 Jahre habe das Geschäftsmodell gehalten und funktioniere teilweise noch. Denn die GEG beliefert weiter ihre Stromkunden. „Wir bekommen den Strom von Wasserkraftwerken aus Österreich und der Schweiz - wir verkaufen nur Ökostrom.“ Die Einkaufsverträge würden noch einige Jahre laufen.

Eine Klagewelle von Kunden befürchtet die Energiegenossenschaft nicht

Ob und wie die GEG die Krise besteht, hängt nicht zuletzt von den Kunden ab. Ute Bernhardt von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt empfiehlt Kunden generell, Schadenersatz von den ehemaligen Energielieferanten zu prüfen. Diese müssten die Mehrkosten beim neuen Anbieter tragen. GEG-Aufsichtsratschef Schmidt sieht dem gelassen entgegen: „Ich verstehe natürlich, dass unsere Kunden verärgert über die Kündigungen sind. Es gab auch einige böse Mails. Klagen dagegen wollen bisher aber nur eine Hand voll Kunden.“ Auch die ehemalige GEG-Kundin Riedel hat darüber nachgedacht, auf ihren Vertrag zu bestehen und zu klagen: „Doch das ist viel Aufwand, bei ungewissem Erfolg.“ Im Kündigungsschreiben habe die GEG bereits angekündigt, dass sie bei einer weiteren Belieferung insolvent wäre. „Ich weiß nicht, ob das stimmt. Finanzstark klingt aber anders“, sagt Riedel.

Schmidt und sein Sohn konzentrieren sich jetzt auf die Stromkunden, verlieren das Gasgeschäft aber nicht aus dem Auge: „Sobald sich die Lage normalisiert, wollen wir auch wieder Erdgas anbieten.“ Dass GEG-Kunden wegen der Kündigung in finanzielle Schwierigkeiten geraten, tut Schmidt „Leid“. Die GEG sei dafür aber nicht allein verantwortlich: „Wenn politisch entschieden wird, eine fertige Pipeline nicht zu nutzen und die Märkte dann verrücktspielen, dann ist das nicht meine Schuld.“