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Gewalt unter Jugendlichen Alarmierende Zahlen: Jugendkriminalität in Sachsen-Anhalt nimmt zu

Die Kriminalität unter Minderjährigen in Sachsen-Anhalt nimmt zu. Laut einer Studie wünschen sich viele Bürger ein härteres Durchgreifen. Ist die Lage wirklich so drastisch?

Von Max Hunger Aktualisiert: 24.11.2023, 19:23
Die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen – wie in dieser gestellten Szene – nimmt in Sachsen-Anhalt zu.
Die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen – wie in dieser gestellten Szene – nimmt in Sachsen-Anhalt zu. Foto: Imago

Aschersleben/MZ - Das Empfinden einer sich verschärfenden Jugendgewalt sorgt bei vielen Menschen in Sachsen-Anhalt für bröckelndes Vertrauen in die Justiz und ein erhöhtes Strafbedürfnis.

Das legt eine Befragung des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen nahe. Das Misstrauen in die Justiz liege im Land über dem Bundesdurchschnitt, sagte Institutsdirektor Frank Asbrock von der Technischen Universität Chemnitz. „Möglicherweise, weil sie das Gefühl haben, dass die Justiz nicht hart genug durchgreift“, so der Sozialpsychologe.

Wachsende Jugendgewalt und gesellschaftliche Reaktionen

Er betonte jedoch: Die wahrgenommene Verschärfung der Jugendgewalt sei in Sachsen-Anhalt weitaus stärker als die tatsächlich nachweisbare Entwicklung.

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Die Studienergebnisse stellte Asbrock im Rahmen des Fachtags zur Entwicklung der Jugendgewalt in Sachsen-Anhalt vor. In Aschersleben kamen in dieser Woche auf Einladung der Servicestelle Kinder- und Jugendschutz dutzende Experten und Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen zusammen – etwa Polizei, Sozialarbeit und Wissenschaft. Sie diskutierten Ursachen und Lösungen für Gewalt unter Minderjährigen.

Fachtagung zur Jugendkriminalität in Aschersleben

Anlass ist unter anderem die sich zuspitzende Jugendkriminalität im Land. Laut Polizei-Statistik stieg die Zahl der Jugendgewaltdelikte von 2021 auf 2022 um über 200 auf knapp 1.300 Fälle an. Damit kehrt sich ein langfristiger Trend der stagnierenden oder sogar rückläufigen Kriminalität unter Minderjährigen und Heranwachsenden um.

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"Die Jugendgewalt ist auch im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit angestiegen“, sagte Asbrock. Auffällig dabei: Unter Heranwachsenden, also Menschen zwischen 18 und 21, nimmt die Gewalt ab. Bei Kindern und Jugendlichen steigt sie jedoch. Woran liegt das?

Intensivtäter befinden sich in einer komplexen Problemlage.

Annemarie Schmoll vom Deutschen Jugendinstitut

Annemarie Schmoll vom Deutschen Jugendinstitut hat die Gründe für Jugendgewalt untersucht. Sie sagte: Eine einfache Erklärung gibt es nicht. „Gerade Intensivtäter befinden sich in einer komplexen Problemlage“, so Schmoll. Etwa Gewalt in der eigenen Familie, Schulprobleme oder Drogenkonsum – mitunter alles auf einmal.

Analyse der Ursachen für Jugendgewalt

Einen Grund für den Anstieg vermutet sie in der Corona-Pandemie. Vor allem die Schließung von Schulen und Vereinen habe „Frühwarnsysteme“ für Konflikte außer Kraft gesetzt. Schmoll betonte: „Jugendliche sind sich den Risiken ihrer Taten oft nicht bewusst.“

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Sozialpsychologe Asbrock mahnt derweil zum Blick auf die Details. So sei nur ein kleiner Teil der Straftaten, die Kinder und Jugendliche begehen, Gewaltdelikte. Insgesamt machten Minderjährige im vergangenen Jahr in Deutschland rund 13 Prozent aller Tatverdächtigen aus.

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Die Langzeitbefragung in Sachsen-Anhalt des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen zeigt allerdings: 70 Prozent von 130 Befragten nahmen die Jugendgewalt in der vergangenen fünf Jahren als steigend war.

Laut Polizei ist das aber erst seit dem vergangenen Jahr der Fall. „Wir sehen eine verstärkte Wahrnehmung, dass die Kriminalität zugenommen hat“, sagte Institutsdirektor Asbrock. Woher kommt dieses Gefühl der stetig wachsenden Bedrohung?

Internet befeuert Bedrohung

Als mögliche Ursache nennt Asbrock etwa die Rolle der Sozialen Medien. Jugendliche prahlten hier zunehmend auch mit Straftaten. Durch die schnelle Verbreitung stärke das das Bedrohungsgefühl. Zudem sensibilisierten Krisen die Menschen für Kriminalität. Klimawandel, Pandemie, der Krieg in der Ukraine. „Das trägt dazu bei, dass Menschen stärker Kriminalität wahrnehmen.“

Beim Fachtag in Aschersleben wurde indes klar: Jugendgewalt ist ein komplexes Problem. Und: Die Entwicklung schürt auch bei Sozialpädagogen und Wissenschaftlern in Sachsen-Anhalt Sorgen.

Ob Schulsozialarbeiter oder Jugendgerichtshelfer – viele berichteten von zunehmender Rohheit unter Kindern und Jugendlichen im Land. Organisatorin Claudia Wegener von der Kinder- und Jugendschutzstelle bilanzierte: „Das Thema ist brisant. Und zwar nicht erst seit heute.“