1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt
  6. >
  7. IDT Biologika aus Dessau-Roßlau wird führender Impfstoffhersteller in Europa

Bemerkenswertes Comeback IDT Biologika aus Dessau-Roßlau wird führender Impfstoffhersteller in Europa

Das Pharma-Unternehmen IDT Biologika investiert 100 Millionen Euro in die Impfstoffproduktion. Das Unternehmen, das nach der Wende auf der Kippe stand, hatte 2021 sein bestes Geschäftsjahr.

Von Steffen Höhne 21.01.2022, 08:00
 In Schutzanzügen sind Mitarbeiter im Werk des Impfstoffherstellers IDT Biologika in Dessau-Roßlau in der Wirkstoffherstellung beschäftigt.
In Schutzanzügen sind Mitarbeiter im Werk des Impfstoffherstellers IDT Biologika in Dessau-Roßlau in der Wirkstoffherstellung beschäftigt. Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/

Dessau-Rosslau/MZ - Nach der Wende ist es dem heutigen Pharmaunternehmen IDT Biologika nicht gut gegangen. Der 1921 gegründete Impfstoff-Hersteller verlor massiv an Umsatz, und die Treuhand-Manager sahen für die Traditionsfirma keinen Platz auf dem europäischen Markt. Die Zahl der Mitarbeiter ging von 2.300 auf 125 zurück. Für Geschäftsführer Jürgen Betzing war es am Donnerstag vielleicht auch eine kleine Genugtuung zu sagen: „Zum 100-jährigen Jubiläum hatten wir auch unser bisher bestes Geschäftsergebnis.“ Zahlen nannte er nicht, doch die Produktion von Corona-Impfstoffen hat dem Unternehmen 2021 einen zusätzlichen Schub gegeben. Ende 2022 soll die Zahl der Mitarbeiter wieder die 2.000er Grenze erreichen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) weist darauf hin, dass das Unternehmen aus Dessau-Roßlau der einzige eigenständige mittelständische Impfstoffproduzent Europas ist.

IDT entwickelt auch einen eigenen Impfstoff

Seit mehr als 20 Jahren entwickelt IDT Biologika Humanimpfstoffe etwa gegen Pocken, Malaria oder Ebola. Vor allem arbeitet das Unternehmen als Auftragsfertiger für die großen, globalen Pharmakonzerne. Als diese in der Corona-Pandemie Impfstoffe entwickelten, fragten sie auch in Dessau-Roßlau nach Produktionskapazitäten. „Wir haben im vergangenen Jahr laufende Produktionen im Einverständnis mit unseren Kunden unterbrochen, um für Astrazeneca und Johnson & Johnson sogenannte Vektorimpfstoffe gegen das Coronavirus herzustellen“, berichtet Betzing. Gleichzeitig wurde in die eigene Forschung intensiviert. Mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig (Niedersachsen) wird ein Vektorimpfstoff entwickelt. Bei einem Vektorimpfstoff wird - verkürzt dargestellt - in ein für Menschen ungefährliches Virus (der Vektor oder auch Trägervirus) die Information für die Herstellung eines Stücks der Hülle des Coronavirus eingebaut. Der Körper bildet über diesen Mechanismus Antikörper.

„Wir können künftig auf Pandemien schneller eine Antwort finden .

Jürgen Betzing, IDT-Geschäftsführer

Bereits seit dem vergangenen Jahr arbeitet IDT Biologika nun auch fieberhaft daran, die Produktionskapazitäten hochzufahren, um die bestehenden Kunden und neue Kunden für die Corona-Impfstoffproduktion zu bedienen. Dafür entsteht für 100 Millionen Euro ein neues Produktionsgebäude, in dem Anfang 2023 die Herstellung aufgenommen werden soll. Betzing spricht davon, dass dann wöchentlich Wirkstoffe für bis zu fünf Millionen Impfstoffdosen produziert werden können. „Das ist eine Verzehnfachung unserer Kapazität“, so der Firmenchef. Zuletzt hatte das Unternehmen bekannt gegeben, dass es den Totimpfstoff der französischen Firma Valneva produzieren wird. Noch ist der Corona-Impfstoff nicht auf dem Markt - eine Zulassung steht aber offenbar unmittelbar bevor. Laut der europäischen Arzneimittelbehörde EMA enthält der Impfstoff ein inaktiviertes (abgetötetes) Coronavirus, das die Krankheit nicht auslösen kann, aber die Produktion von Antikörpern anregt. Das ist ein klassisches Verfahren, wie es bisher auch bei vielen anderen Impfstoffen angewendet wurde.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff möchte eine Impfstoff-Autarkie

Nach Haseloffs Ansicht besitzt der Impfstoffproduzent aus Dessau-Roßlau eine wichtige Rolle in der Bekämpfung der Pandemie. Der Regierungschef betont, es sei für Sachsen-Anhalt und Deutschland wichtig, dieses wissenschaftliche und technische Wissen zu besitzen. „Wir benötigen in bestimmten Feldern Autarkie. Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig das ist“, so Haseloff weiter.

Nach Angaben der Forschungsleiterin Simone Kardinahl ist daher auch die Entwicklung des eigenen Impfstoffs sinnvoll. „Wir haben in diesem Prozess vieles gelernt, das uns nun auch in der Produktion für Partner hilft“, sagt sie. Bei der Entwicklung musste das Unternehmen allerdings einen Rückschlag hinnehmen: Der Impfstoff erwies sich in ersten Tests als nicht so wirksam wie erhofft. Er befindet sich noch in der klinischen Phase eins und zwei. Das heißt, es wurden noch keine Tests mit mehreren tausend Probanden durchgeführt, die für eine Zulassung notwendig sind. Kardinahl will sich daher auch nicht festlegen, wann der Impfstoff frühestens auf den Markt kommen könnte. Sie deutete aber an, auf welchem Wege das passieren könnte: Der Impfstoff könnte gezielt als Auffrischungsimpfung dienen. Eine Kombination von Vektorimpfstoffen und mRNA-Impfstoffen wie von Biontech sei sehr effektiv. „Die Immunantwort wird dann breiter und der Schutz damit höher“, so die Entwicklungsleiterin. Einen weiteren Vorteil der Vektorimpfstoffe sieht sie darin, dass sie anders als mRNA-Impfstoffe keine besondere Kühlung benötigen und damit leichter weltweit einsetzbar seien.

Ohnehin denkt Betzing in Forschung und Produktion über Corona hinaus: „Wir können künftig auf Pandemien schneller eine Antwort finden und vor allem noch schneller in die kommerzielle Produktion vom Impfstoffen einsteigen.“ Durch die Investition werde Dessau-Roßlau einer der größten Produktionsstandorte für Impfstoffe in Europa - quasi die Impfstoff-Hauptstadt.