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Protest wegen hoher Preise Handwerker aus Halle fordert: Stoppt Sanktionen gegen Russland

Mitglieder der Handwerker-Innungen in Halle sehen ihre Betriebe wegen Teuerung gefährdet und fordern, den Boykott gegen Russland aufzuheben. Für Ärger sorgen auch die neuen Gaspreise von Mitgas im „Einheizpreis“-Tarif.

Von Steffen Höhne Aktualisiert: 19.08.2022, 10:51
Bäcker Helge Sommerwerk aus Mücheln klagt über enorm gestiegene Energiekosten.
Bäcker Helge Sommerwerk aus Mücheln klagt über enorm gestiegene Energiekosten. Foto: Katrin Sieler

Halle/MZ - Angesichts stark steigender Energiepreise werden aus der Wirtschaft in Sachsen-Anhalt Rufe laut, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. „Wir fordern den sofortigen Stopp aller Sanktionen gegen Russland“, schreibt die Kreishandwerkerschaft Halle-Saalekreis in einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Unterzeichnet wurde dieser von 16 Obermeistern etwa von der Landesinnung der Konditoren, der Fleischer und der Dachdecker.

Und weiter heißt es: „Wir als Handwerker wissen aus vielen Gesprächen mit unseren Kunden, dass die breite Mehrheit nicht gewillt ist, für die Ukraine ihren schwer erarbeiteten Lebensstandard zu opfern.“ Die Handwerksmeister betonen, dass Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine „ein schweres Verbrechen“ ist. Der Krieg müsse jedoch diplomatisch beigelegt werden. Ähnlich äußerten sich bereits Handwerksmeister Ende Juni in Dessau-Roßlau.

Handwerker warnen vor Entlassungen und Schließungen

Auslöser des Briefes sind die steigenden Preise in allen Lebensbereichen - vor allem aber bei der Energie. Die Handwerker befürchten, dass „ganz normale notwendige Handwerksleistungen unerschwinglich werden, was zu Entlassungen und Schließungen von Betrieben führen wird“.

Bäckereiinhaber Helge Sommerwerk aus Mücheln (Saalekreis), der aber nicht zu den Unterzeichnern des Briefes gehört, sagte der MZ: „Wir haben Anfang des Jahres erst unsere Preise um 20 Prozent erhöht. Ich traue mich gar nicht, das erneut zu machen.“ Trotz der Erhöhung habe er am Ende zehn Prozent weniger in der Kasse gehabt.

Mehrheit will nicht ihren Lebensstandard opfern.

Kreishandwerkerschaft Halle-Saalekreis

In einer Umfrage des MDR unter 28.448 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Ende Juli sprachen sich 68 Prozent der Befragten für eine Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2 aus. Gleichzeitig finden 58 Prozent es aber auch richtig, sich unabhängiger von russischem Gas zu machen. Die Umfrage ist nicht repräsentativ, doch zeichnet sie ein Stimmungsbild in der Bevölkerung.

Dabei stehen vielen Verbrauchern die hohen Preiserhöhungen bei Gas und Strom noch bevor: In diesen Tagen hat der größte regionale Gasversorger im südlichen Sachsen-Anhalt, die Mitgas, Schreiben mit Preiserhöhungen zum 1. Oktober versendet. Darin wird angekündigt, dass der Preis für eine Kilowattstunde von knapp sechs Cent auf mehr als 30 Cent steigt - eine Verfünffachung. Für Eigentümer von schlecht gedämmten Einfamilienhäusern dürfte sich die Rechnung von beispielsweise 250 Euro auf 1.250 Euro erhöhen - im Monat.

Laut Mitgas sind einige tausend Kunden betroffen, die bisher das Preisgarantieprodukt „Einheizpreis“ hatten. „Nicht betroffen sind Kunden der Grundversorgung sowie daran angelehnter Sonderverträge“, sagte eine Mitgas-Sprecherin. In welchem Umfang dort die Tarife steigen, stehe noch nicht fest.

Wohnungsverband warnt: Viele Mieter können hohe Energiekosten nicht zahlen

Die Erhöhung bei dem Mitgas-Tarif ist besonders hoch. Doch auch andere Versorger werden die Preise erheblich anheben. Im Schnitt steht wohl eine Verdopplung bis Verdreifachung bevor. Falk Hawig, Geschäftsführer des Energiedienstleisters Köthen, sagte der MZ: „Wir werden mindestens zwei Winter überstehen müssen, ehe sich an diesen Preisen wieder etwas ändert.“ Und er hat die Befürchtung, dass ein Großteil der Bürger, die Dimension der Veränderung noch gar nicht wahrgenommen hat.

Die Gaspreise im Großhandel sind bereits im vergangenen Jahr um das Siebenfache gestiegen, nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und der Reduzierung der Liefermenge aus Russland stiegen die Großhandelspreise weiter. Viele Haushaltskunden spürten dies bisher nur begrenzt. Das Erdgas, das die Stadtwerke heute an die Kunden liefern, wurde bereits vor einem oder zwei Jahren eingekauft. Die aktuellen Preiserhöhungen sind daher Folge der Großhandelspreise im Herbst 2021. Das heißt, weitere Erhöhungen stehen noch ins Haus.

Jens Zillmann, Verbandsdirektor der Wohnungswirtschaft Sachsen-Anhalt, warnt schon seit Wochen, dass sowohl Mieter als auch Wohnungsunternehmen die steigenden Kosten bald nicht stemmen können. Zillmann rechnet damit, dass sich die Hälfte der Mieter bei seinen Verbandsmitgliedern die teurere Energie nicht leisten kann. Die großen Wohnungsunternehmen besitzen noch viele Plattenbauten, in denen vor allem Rentner wohnen.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Donnerstag weitere Entlastungen an: Der Mehrwertsteuersatz auf Erdgas soll für einen befristeten Zeitraum von bisher 19 auf sieben Prozent reduziert werden. Mit dem Schritt würden die Gaskunden stärker entlastet, als sie durch die staatliche Gasumlage von 2,419 Cent je Kilowattstunde belastet werden.