Folgen des Ukraine-Krieges Habeck in Leuna: Minister spricht sich gegen schnelles Gas-Embargo aus
Ostdeutschlands größter Chemiestandort kann die Abhängigkeit von russischem Gas nicht kurzfristig lösen. Beim Erdöl soll das dagegen gelingen. Milliardeninvestition durch Erweiterung des Chemieparks geplant.

Leuna/MZ - Bei seinem Besuch am Chemiestandort Leuna hat sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gegen einen kurzfristigen Stopp für russische Gaslieferungen ausgesprochen. „Wenn ein plötzlicher Gasabriss, ein Embargo kommen würde, dann hätten Leuna und Deutschland ein Problem“, sagte Habeck am Montag. Er als Minister werde einem kurzfristigen Boykott nicht zustimmen, arbeite aber daran, die Abhängigkeit zu minimieren.
Die Chemie in Sachsen-Anhalt, die wichtige Vorprodukte für die Herstellung von Kunststoff, Gummi oder Kleber liefert, ist extrem auf Erdgas angewiesen. Allein der Chemiepark Leuna (Saalekreis), in dem 10.000 Menschen arbeiten, verbraucht so viel Erdgas wie zwei Drittel der privaten Haushalte Sachsen-Anhalts zusammen. Der Düngemittel-Hersteller SKW in Wittenberg ist der größte industrielle Gasverbraucher Deutschlands. Habeck betonte daher, er werde „sehr darauf achten“, dass bei der Schaffung neuer Importmöglichkeiten Ostdeutschland gleichwertig und gleichberechtigt im Blick behalten werde.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte, er habe den Eindruck, dass die Sanktionen gegen Russland aktuell so eingesetzt würden, dass es nicht Gewinner einerseits und Verlierer andererseits gebe, sondern dass immer die gesamte Volkswirtschaft gesehen werde. Über die nächsten Monate müsse man es hinbekommen, Ersatzrohstoffe zu besorgen. Es könne aber nicht sein, dass die Wirtschaft destabilisiert werde und damit mittelbar die Ziele von Russlands Präsidenten befördert werden.
Beim Erdöl will der Chemiestandort bereits am Jahresende ohne russische Lieferungen auskommen. Die Total-Energies-Raffinerie, die 1.500 Tankstellen in Mitteldeutschland mit Kraftstoff versorgt, bezog bisher das Öl weitgehend über die Druschba-Pipeline aus Russland. Inzwischen bringen Tanker Öl etwa aus dem Nahem Osten zu den Seehäfen nach Rostock und Danzig (Polen), von dort wird es über Pipelines nach Leuna geleitet. „Seit April verarbeiten wir auch dieses Öl“, sagte Raffineriechef Thomas Behrends. „Wir haben über Jahrzehnte russisches Öl erhalten, eine Umstellung geht nicht von heute auf morgen“, so Behrends weiter. Logistik und Produktion stünden vor einer Herausforderung, die aber zu bewältigen sei.
Habeck betonte in seinem Statement: „Der Standort zeigt auch, wie der Wandel zu einer nachhaltigen Chemie möglich ist.“ Er überreichte dem Landkreis einen Fördermittelbescheid in Höhe von 180 Millionen Euro für die Schaffung eines neuen Industriegebietes. Nach MZ-Informationen gibt bereits zwei Investoren, die am Standort rund eine Milliarde Euro investieren wollen. So will der finnische Energiekonzern Fortum, Mutter des deutschen Versorgers Uniper, offenbar eine Bio-Raffinerie auf Strohbasis errichten. Aktuell baut der finnische Papierkonzern UPM für 550 Millionen Euro bereits eine Bio-Raffinerie. In dieser soll aus Laubholz Ethylen für die Kunststoffherstellung produziert werden. Die PET-Mineralwasserflasche werde nicht mehr aus Öl, sondern aus Holz hergestellt, berichtete UPM-Manager Michael Duetsch.
Der ostdeutsche Standort gilt als Vorreiter auf dem Weg, die Abhängigkeit von Öl und Gas zu reduzieren. „Hier kann man sehen, wie es werden soll, und dass es sich tatsächlich in der Umsetzung befindet“, sagte Habeck. Es sei die Aufgabe „über den Tag hinaus, über die Gegenwart hinaus, dafür zu sorgen, dass an Industrie- und Chemiestandorten Produktionsketten entstehen, die Deutschland und Europa in Zukunft wettbewerbsfähig machen“.