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Gegen Klimawandel und Krankheiten Präziser Schnitt mit der Genschere: Wie Forscher in Gatersleben am Getreide der Zukunft arbeiten

Im IPK in Gatersleben werden hochmoderne Methoden der Pflanzenforschung eingesetzt. Wie sich das Getreide auf den Feldern dadurch verändern könnte und was die Unterschiede zur konventionellen Gentechnik sind, erklärt der neue Direktor Nicolaus von Wirén.

Aktualisiert: 19.09.2023, 17:29
Nicolaus von Wirén   hat sich schon als Jugendlicher für Natur und Pflanzen begeistert. Am IPK enträtselt er als Forscher ihre Geheimnisse.
Nicolaus von Wirén hat sich schon als Jugendlicher für Natur und Pflanzen begeistert. Am IPK enträtselt er als Forscher ihre Geheimnisse. (Foto: Matthias Müller)

Gatersleben/MZ - Aus seinem Bürofenster schaut Nicolaus von Wirén direkt auf eine prächtige Robinie, im Labor blickt er sogar tief in das Innenleben von Pflanzen hinein. Der 61-Jährige folgt am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben als geschäftsführender Direktor auf Andreas Graner. Mit MZ-Wissenschaftsredakteur Matthias Müller hat er über die Chancen moderner Forschung gesprochen.

Herr von Wirén, Sie wechseln an die Spitze des IPK, und das als passionierter Wissenschaftler. Werden sie künftig überhaupt noch genügend Zeit für Forschung haben?

Nicolaus von Wirén: Ich hoffe doch (lacht). Eines habe ich mir jedenfalls fest vorgenommen: Die administrativen Aufgaben werde ich vormittags erledigen. Nachmittags wechsele ich dann in meine Abteilung und arbeite an der Forschung weiter.

Welche Themen sind für sie dabei besonders spannend?

Ich bin Pflanzenernährer und meine Arbeitsgruppe forscht an allem, was mit Nährstoffen zu tun hat. Mein früheres Thema war dabei vor allem: Wie kommen solche Nährstoffe in die Pflanze, also welche Transportsysteme für Nährstoffe gibt es in den Wurzeln und wie sind sie reguliert? Heute sind wir allerdings einen Schritt weiter, wir interessieren uns immer mehr für das sogenannte „Nutrient Sensing“, also das „Erfühlen“ von Nährstoffen.

Die Genschere  arbeitet im Klimaschrank:  Aus solchen kleinen Zellklumpen wachsen im IPK später genetisch modifizierte Gerstenpflanzen heran.
Die Genschere arbeitet im Klimaschrank: Aus solchen kleinen Zellklumpen wachsen im IPK später genetisch modifizierte Gerstenpflanzen heran.
(Foto: Matthias Müller)

Wie meinen Sie das? Pflanzen können Nährstoffe „fühlen“?

Vereinfacht gesagt: Es gibt Anpassungsreaktionen von Pflanzen, die dazu führen, dass Wurzeln zum Nährstoff hinwachsen können. Das heißt, die Pflanze muss schon vorher in der Lage sein, Konzentrationsunterschiede von Nährstoffen im Boden wahrzunehmen, um dorthin dann die Wurzeln auszurichten.

Wenn der Schnitt erfolgt ist, hört der Einfluss des Menschen auf.

Prof. Dr. Nicolaus von Wirén

Das klingt beinahe intelligent.

Eine Intelligenz wie beim Menschen ist das nicht. Aber was die Integration von Umweltreizen angeht, da besitzt die Pflanze sozusagen schon eine bestimmte Art von Intelligenz, zum Beispiel ist die Signalübertragung dabei der bei Tieren oder dem Menschen durchaus ähnlich. Etwa über Hormone von einem Organ zum anderen oder innerhalb der Zelle über Stoffe wie Kalzium – dies alles gibt es in der Pflanze auch. Das ist schon faszinierend.

Bei aller Faszination: Derzeit wächst die Sorge um Kulturpflanzen, wie sie auch in Sachsen-Anhalt auf den Feldern wachsen. Der Klimawandel macht etwa dem Getreide schwer zu schaffen. Wie kann die Wissenschaft hier helfen?

Es ist für das Grundverständnis wichtig, zwei Dinge zu unterscheiden. Auf der einen Seite gibt es die Anpassungsprozesse in der Pflanze, wenn sie unter Stress kommt. Also etwa bei Nährstoffmangel, bei Hitze, bei Trockenheit. Diese sind je nach Pflanzenart unterschiedlich ausgeprägt. Beispiele wären die Bildung längerer Wurzeln oder die vermehrte Produktion osmolytisch wirksamer Stoffe, um mehr Wasser aufzunehmen.

Auf der anderen Seite haben wir ein von Menschen gemachtes Kultursystem, den Acker. Und dabei ist die Kernfrage: Mit wie viel reinen, natürlich vorkommenden Prozessen können wir angesichts des Klimawandels, ich formuliere es mal so, eine ordentliche Produktion aufrechterhalten? Sprich: Welche Leistung im Sinne von Ertrag kann eine Kulturpflanze unter erschwerten Bedingungen bringen – und welche Merkmale muss sie dafür haben? Es geht auch darum, bestimmte Eigenschaften, die speziell in anderen Pflanzen vorkommen, für Kulturpflanzen zu nutzen.

Und dabei muss der Mensch nachhelfen?

Das hat er ja bei Kulturpflanzen immer schon getan, durch Züchtung. Das ist praktisch stets ein Warten auf eine zufällige Mutation, die irgendein interessantes, also vorteilhaftes Merkmal, mit sich bringt. Nehmen wir unser Getreide. Das geht auf Gräser zurück. Und deren Spindel, sozusagen das Rückgrat der Ähre, war einst sehr brüchig. Das hat einst geholfen, Gras effizient zu verbreiten – die Spindel brach schon, wenn ein Tier den Halm streifte, die Samen wurden verteilt.

Für unser heutiges Getreide ist das natürlich alles andere als wünschenswert. Daher hat der Mensch es so gezüchtet, dass er es gezielt ernten kann. Auch die derzeitige Kreuzungszüchtung nimmt ihre Zeit in Anspruch, wir sprechen hier von etwa zehn Jahren, um tatsächlich eine neue gewünschte Eigenschaft in eine Elitelinie einzukreuzen und unerwünschte wieder herauszuzüchten. Der menschengemachte Klimawandel vollzieht sich jedoch viel schneller. Den Zeitraum, um neue Sorten mit gewünschten Eigenschaften hervorzubringen, können wir durch den Einsatz von moderner Gentechnik wie der Genschere CRISPR/Cas deutlich reduzieren – etwa auf die Hälfte.

Wie funktioniert diese Genschere?

Erst einmal zur Einordnung: Diese Methode unterscheidet sich deutlich von der klassischen Gentechnik, bei der man tatsächlich fremde Gene in die DNA, also das Erbgut, der Pflanze einbringt. Das ist ein richtiger technologischer Eingriff, der eine Integration eines ganzen Stückes DNA von außen mitbringt. Bei der Genschere, oder auch Genomeditierung, ist das ganz anders. Sie hat zwei Komponenten: ein Cas-Enzym, das die Fähigkeit hat, einen DNA-Strang in einer Pflanze glatt zu schneiden. Und eine Ziel-RNA, die das Enzym wie ein Navigationssystem direkt zum gewünschten Zielort an der DNA bringt. Wenn dort der Schnitt erfolgt ist, dann hört der Einfluss des Menschen auch schon auf.

Den Rest macht die Pflanze ganz allein?

Ja, denn dann setzen die pflanzeneigenen, natürlichen Reparaturmechanismen ein, die diesen DNA-Strang wieder zusammenfügen. Jetzt wartet man dabei auf Fehler, die Rate ist aber sehr gering. Durch Sequenzierung vieler Nachkommen der Pflanze kann man dann genau die auswählen, die die gewünschte Mutation haben. Man weiß am Ende, mit welchem Schnitt an welcher Stelle man welche Wirkung erzielt.

Welche Wirkung wäre das?

Es kann zum Ausfall einer Genfunktion kommen. Das kann hilfreich sein, wenn dieses Gen einen bestimmten Anpassungsprozess bremste. Oder es kann zu einer Veränderung einer Eigenschaft eines Proteins kommen, das damit etwa eine Anpassung erlaubt, wie man sie in einer Kulturpflanze braucht. Man könnte die Pflanze toleranter gegen Trockenheit machen oder resistenter gegen Krankheiten.

Professor Wolf Frommer in Düsseldorf, bei dem ich habilitiert habe, hat schon die ersten Reispflanzen hervorgebracht, die resistent gegen das schädliche Bakterium Xanthomonas sind. Dabei wird, bildlich gesprochen, ein Genschalter so verändert, dass die Bakterien diesen nicht mehr nutzen können, um sich vom Zucker aus der Pflanze ernähren zu lassen. Dann verhungern sie. Das ist ein komplett natürlicher Mechanismus, der keine Chemie benötigt, aber die Pflanze resistent macht. Es ist eine Art beschleunigte Evolution, denn im Klimawandel bleibt wenig Zeit.

Schauen deshalb Politik, Landwirte und Bürger verstärkt auf die Forschung zur Gentechnik – und womöglich positiver als noch vor wenigen Jahren?

Ja, solch einen Bewusstseinswechsel gibt es in der Gesellschaft. Methoden der Genomeditierung sind nicht das Allheilmittel im Kampf gegen die Klimafolgen, aber sie sind ein Baustein. Und wir müssen alle Register ziehen, um auch künftig Nahrungsmittel in ausreichender Menge und Qualität zu produzieren Das IPK spielt dabei eine wichtige Rolle – ich hoffe, das darf man so sagen. Wir haben hier die größte Genbank für Kulturpflanzen in der EU, und wir sind auch ein globaler Player mit unserer hohen Spezialisierung auf Weizen und Gerste. Die Genbank am IPK hat sich zu einem biodigitalen Genbank-Ressourcenzentrum entwickelt, das weltweit genutzt wird. Und darauf sind wir auch stolz.

Was für Fähigkeiten müsste die perfekte Kulturpflanze der Zukunft haben?

Die wichtigste Fähigkeit ist wahrscheinlich die Plastizität, sprich die Reaktionsfähigkeit. Das heißt, die Pflanze muss unmittelbar auf das reagieren, was ihr Wachstum am meisten beeinträchtigen kann. Etwa, um nach einer Trockenphase, wenn wieder Wasser von oben oder aus dem Unterboden zur Verfügung steht, schnell wieder an dieses und die mitgeführten Nährstoffe zu kommen – beispielsweise durch eine Entwicklung von Seitenwurzeln. Reaktion hört sich immer nach Millisekunden an. In diesem Fall geht es um Tage oder Stunden, was für eine Pflanze auch sehr schnell ist. Wir sind jetzt dabei, Faktoren für Plastizität genauer zu erforschen, weil dies ein schlagkräftiges Merkmal ist, um Leistungsfähigkeit und Klimaresilienz zu verbinden.

IPK besteht seit 80 Jahren

Bereits 1943 wurde das heutige IPK als Kaiser-Wilhelm-Institut für Kulturpflanzenforschung gegründet. Es folgten 1948 die Eingliederung in die Akademie der Wissenschaften der DDR und 1970 die Umbenennung zum Zentralinstitut für Genetik und Kulturpflanzenforschung.

Nach der Wiedervereinigung wurde das Institut 1992 als IPK neugegründet und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Schwerpunkte der Arbeit in Gatersleben (Salzlandkreis) sind neben der Aufklärung grundlegender Prinzipien der Evolution die Entwicklung und Anpassungsfähigkeit von Kulturpflanzen wie Getreide, aber auch protein- und ölliefernder Pflanzen. Die Genbank am IPK zählt zu den weltweit größten Sammlungen. Sie zählt 151.348 Zugänge von 2.912 Arten.

Nicolaus von Wirén ist seit 2009 am IPK tätig und seitdem auch Professor für Molekulare Pflanzenphyisiologie an der Universität Halle. Zum 1. Oktober 2023 übernimmt das Leopoldina-Mitglied offiziell den Posten des geschäftsführenden Direktors am IPK.