Flucht vor Russlands Krieg 27.000 Ukrainer in Sachsen-Anhalt angekommen - So steht es um ihre Integration
Sechs Monate nach Russlands Überfall auf die Ukraine suchen täglich bis zu 100 Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt Schutz. Bei Schule, Wohnung und Grundversorgung für die Neuankömmlinge hat sich einiges getan. Warum bislang jedoch nur wenige eine Arbeit gefunden haben.

Halle/MZ - Mit dem Überfall auf die Ukraine hat Russland die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Ein halbes Jahr später zeigt sich nun: Der Flüchtlingszuzug ist ungebrochen. Nach Angaben des Innenministeriums in Magdeburg melden die Kommunen in Sachsen-Anhalt derzeit 50 bis 100 neue Flüchtlinge aus der Ukraine pro Tag. „Nach wie vor treffen kontinuierlich Kriegsflüchtlinge in Sachsen-Anhalt ein, um hier Schutz zu suchen“, teilte das Ministerium auf MZ-Anfrage mit. Laut Sozialverbänden und Arbeitsagentur haben die bereits eingetroffenen Ukrainer zwar inzwischen meist eine Wohnung und beziehen eine Grundversorgung - ihre Integration steht jedoch erst am Anfang.
Insgesamt hat Sachsen-Anhalt laut Landesinnenministerium bislang rund 27.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen - einige tausend mehr, als es nach dem Verteilungsschlüssel der Bundesländer aufnehmen muss. Knapp 9.000 von ihnen sind Kinder und Jugendliche. In ganz Deutschland sind geschätzt rund 900.000 Ukrainer angekommen.
Flucht nach Sachsen-Anhalt: 4.500 Ukrainer arbeitslos gemeldet
Seit Juni können die Ukrainer dank eines beschleunigten Verfahrens zudem Hartz IV beantragen. Laut Bundesagentur für Arbeit haben sich in Sachsen-Anhalt bis vergangenen Monat rund 4.500 Ukrainer arbeitslos gemeldet. Sie erhalten nun auch Beratung und Sprachkurse. Wie viele hier bereits eine Arbeit gefunden haben, konnte die Agentur auf Nachfrage noch nicht beantworten. Langfristig stünden die Chancen dafür jedoch gut. Schulsystem, Berufsbildung und Kultur in der Ukraine ähnelten der in Deutschland, sagte Thomas Nicolas, Sprecher der Arbeitsagentur für Sachsen-Anhalt. „Die Integrationsperspektiven sind bei einem Bleibewunsch positiv zu sehen.“ Und freie Stellen gibt es genug - zuletzt waren über 23.000 Jobs im Land unbesetzt.
Die Integrationsperspektiven sind bei einem Bleibewunsch positiv zu sehen.
Thomas Nicolas / Bundesagentur für Arbeit
Allerdings: Noch gibt es bei der Arbeitsuche Hürden für viele Neuankömmlinge, sagte Mykhailo Nykolaichuk, Vorsitzender der Deutsch-Ukrainischen Vereinigung Sachsen-Anhalt. Er kennt viele ukrainische Familien, hilft ihnen beim Ankommen. Eine Wohnung, Geld zum Leben, Schulunterricht für die Kinder - all das lasse sich inzwischen gut organisieren. Doch einen Job? „In den meisten Fällen scheitert das an der Sprache.“ Ukrainer, die bereits eine Stelle gefunden hätten, arbeiteten meist als Kellner, Lieferant oder Küchenhilfe. „Der Bedarf nach solchem Personal ist überall riesig.“ Das Problem: Deutsch lernten sie dabei nicht, zufrieden seien die meisten auf Dauer damit ebenfalls nicht.
Wohnungen für Ukrainer in Sachsen-Anhalt sind inzwischen knapp
Auch Maryna Höbald vom Landesnetzwerk Migrantenorganisationen kennt nur Einzelfälle, in denen Flüchtlinge bereits in Lohn und Brot stehen. „Es ist nicht der Löwenanteil“, sagte Höbald. Lediglich Pädagogen würden händeringend gesucht - meist für ukrainische Schulklassen. Die Integrationshelferin betont: Ein großer Teil der Flüchtlinge bestehe aus Müttern, Senioren und Kindern. Zudem werde es für Neuankömmlinge immer schwerer, eine Wohnung zu finden. „Die, die im März kamen, hatten noch Glück. Jetzt suche ich teils vergeblich.“ Bei vielen privaten Vermietern seien die Ukrainer unbeliebt. Denn wie lange die Flüchtlinge bleiben werden, ist ungewiss.
Die meisten planten bis Kriegsende, sagte Höbald. Und dann? Bei vielen herrsche über die Zeit danach noch Unklarheit, so Mykhailo Nykolaichuk. Ob sie bleiben und etwa Verwandte nachholen wollten, hänge auch davon ab, ob sie Deutsch lernten, einen Job fänden. Kurz: ob ihre Integration gelingt. „Das ist noch ein langer Weg.“