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Finzelberg-Prozess Finzelberg-Prozess: Die Politik, der Müll und das Geld

Von Hagen Eichler 05.04.2017, 08:00
Lothar Finzelberg
Lothar Finzelberg dpa

Vehlitz - Die Goldgrube stinkt. Tief unter der Erde dünstet der Müll Gase aus, Rohre fördern sie nach oben, wo sich ein Teil in die klare Frühlingsluft mischt. Hunderttausende Tonnen Abfall wurden hier in der Tongrube von Vehlitz im Jerichower Land versenkt.

Auch wenn jetzt Gras und Schilf über die Sache wachsen: Überall im Boden finden sich kleine bunte Plastikfetzen, geschredderter Hausmüll. Die Überreste unserer Wegwerfgesellschaft, von denen niemand so genau wissen will, was damit passiert. Der Rohstoff für Millionengewinne.

Heute arbeitet hier kein Mensch mehr, das Betriebsgelände ist verlassen. In einer Lagerhalle stapeln sich überdimensionale Tragetaschen voll mit grauem Müllgranulat, jede schwer wie ein Kleinwagen. Vor der Halle, in einem Bürocontainer, hängt an der Wand ein Kalender für 2008.

Es ist das Jahr, in dem die dreckigen Geschäfte der Sporkenbach Ziegelei GmbH auffliegen: Am 11. März zeigt das ZDF-Magazin „frontal 21“ wacklige Bilder aus Vehlitz, heimlich in der Nacht aufgenommen. Sie sollen belegen, dass die Betreiber Müll verklappen, der hier nie hätte landen dürfen.

Lother Finzelberg: Ein Landrat als Teil der Müll-Mafia?

Am Donnerstag, neun Jahre nach dem Aufdecken des Müllskandals, will Sachsen-Anhalts Justiz über persönliche Schuld urteilen. Es geht um die Verantwortung des Landkreises Jerichower Land: Ist es Zufall, dass die Müllindustrie in den Tongruben von Vehlitz und Möckern ungestört ihre Geschäfte machen konnte? Oder war der oberste Beamte Teil einer Müll-Mafia? Zwei Männer sollen am Donnerstag ihr Urteil erhalten: ein früherer Betreiber der beiden Tongruben - und der einstige Landrat Lothar Finzelberg.

Der 63-jährige Parteilose ist eine schillernde Figur. Zweimal schafft er es an die Spitze seines Heimatkreises: 1989 wird er als SED-Mitglied Vorsitzender im Rat des Kreises Genthin. 2001 wiederholt er seinen Erfolg in einer demokratischen Wahl, als PDS-Mitglied schlägt er einen CDU-Kandidaten und wird Landrat im Jerichower Land.

„Im Amt hat er gemerkt, dass er mit sozialistischer Theorie nicht weiterkommt. Er hat dann deutlich die Nähe zur Wirtschaft gesucht“, erinnert sich ein langjähriges Kreistagsmitglied.

Irgendwann ist Finzelberg der Wirtschaft allzu nahe gekommen – davon ist jedenfalls die Staatsanwaltschaft überzeugt.

Die Industrie hat ab 2005 ein Problem: Durch strenge Umweltschutzgesetze wird die Entsorgung von Müll immer teurer. Stefan S. und Edgar E., Teilhaber der Firma Sporkenbach, präsentieren eine Lösung. Zu großen Teilen aus Kunststoff bestehender Gewerbemüll wird flugs zu mineralischem Abfall umdeklariert - der darf in Vehlitz und Möckern abgelagert werden. Landrat Finzelberg soll das durch seinen Einfluss ermöglicht haben. Mehr als 250 000 Euro soll er dafür kassiert haben.

Hat der Ex-Landrat Lothar Finzelberg seine Reputation aufs Spiel gesetzt?

Aber riskiert jemand für diese Summe seine ganze Reputation, sein gut bezahltes Amt? Mancher zweifelt daran. Finzelberg hält die Vorwürfe für völlig substanzlos.

Nicht weniger als 21 Lügen will er dem Kronzeugen der Staatsanwaltschaft nachgewiesen haben. „Was die Staatsanwaltschaft hier getrieben hat, ist Amtsanmaßung und versuchte Nötigung“, klagt Finzelberg. Am Donnerstag, vor der Urteilsverkündung, will er das der Anklagebehörde auch direkt ins Gesicht sagen.

Selbst Finzelberg-Kritiker überkommen beim Blick auf den Kronzeugen Uwe S. Zweifel. Der Mann, der den Landrat im Auftrag der Tongruben-Beitreiber geschmiert haben soll, ist selbst ein Krimineller. Wegen Brandstiftung und Subventionsbetruges hatte der frühere Autohändler eine mehrjährige Haftstrafe erhalten, seine Aussagen gegen Finzelberg brachten ihm Straferlass.

S. wartete mit bunten Details auf. Von teuren Autos ist die Rede, von Finanzproblemen Finzelbergs, von der Versetzung Deponie-kritischer Behördenmitarbeiter und - der Höhepunkt - von geheimen Geldübergaben auf einem Hochsitz im Wald. Als Code für Geldlieferungen soll der Satz „Weißwürste mitbringen“ üblich gewesen sein. Alles Lüge, widerspricht der Angeklagte, alles längst widerlegt.

Dennoch: Vier Jahre und sieben Monate Gefängnis fordert die Staatsanwaltschaft für Finzelberg. Dessen Anwalt plädiert auf Freispruch. Egal, wie das Urteil lautet: Das letzte Wort wird voraussichtlich nicht in Magdeburg gesprochen. „Die Forderungen liegen so weit auseinander, dass eine Seite sicher in Revision gehen wird“, sagt Finzelberg.

Dabei wirkt die Aufarbeitung des Müllskandals schon jetzt wie eine unendliche Geschichte. Es geht um viel Geld, um merkwürdige Begebenheiten, um prominente Namen. Reiner Haseloff (CDU), der heutige Ministerpräsident und damalige Wirtschaftsminister, geriet als erster in die Schusslinie. Die damalige Umweltministerin Petra Wernicke (CDU) berichtete 2008, sie habe mehrfach Hinweise über Missstände an Haseloffs Haus weitergegeben.

Haseloff seinerseits warf den Chef des für Tongruben zuständigen Landesamtes für Geologie und Bergwesen hinaus. 2013 ermittelte wegen des Verdachts der Falschaussage in einem Untersuchungsausschuss sogar die Staatsanwaltschaft gegen den Ministerpräsidenten. Die Ermittlungen wurden eingestellt, es fand sich kein Hinweis auf ein Vergehen.

Eine Nebenrolle im Fall spielt der heutige Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Finzelberg hatte ihn 2010 als Strafverteidiger verpflichtet, Stahlknecht sprach damals mit Blick auf das Ermittlungsverfahren von einem „sich möglicherweise anbahnenden Justizskandal“. Heute mag er sich zum Fall nicht mehr äußern. „Meine berufliche Tätigkeit als Anwalt ist mit Übernahme des Ministeramtes unterbrochen“, sagt er.

Müllskandal im Jerichower Land auf abenteuerliche Weise aufgedeckt

Geradezu abenteuerlich ist, auf welche Weise die Geschäfte der Firma Sporkenbach aufgedeckt wurden. Nicht Umweltschützer wurden fündig. Es waren Privatdetektive im Auftrag eines großen Energiekonzerns.

Seit 2005 kam bei diesem immer weniger Hausmüll an, seine Müllverwertungsanlagen waren nicht mehr ausgelastet. Die Augsburger Detektei Bakiner heftete sich an Lastwagen und entdeckte so die Tongrube nahe Vehlitz.

Der Detektiv Tamer Bakiner und seine Leute legten sich auf die Lauer, protokollierten im Herbst und Winter 2007 über Monate hinweg die anrollende Fracht. Es war kalt und es stank bestialisch. „Den Geruch werde ich mein Leben lang nicht vergessen“, erzählte Bakiner vor zwei Jahren der Magdeburger Volksstimme.

Bis zu 13 Stunden täglich lagen die Detektive mit Teleobjektiven auf der Lauer. „Wir konnten in kein Hotel gehen, weil wir so gestunken haben. Gummistiefel und Schutzhosen haben wir dann erstmal mit einem Hochdruckreiniger in einer Autowaschanlage sauberspritzen müssen.“ Eine Behördenkontrolle, sagt Bakiner, habe man in all den Monaten nicht festgestellt.

Finzelberg ist heute überzeugt, dass der Bestechlichkeitsprozess gegen ihn ein politisches Instrument ist. Man suche einen Sündenbock für Verfehlungen anderer, sagt er. Seinen Posten als Landrat hat er bereits 2014 verloren. Nach mehreren Gerichtsverfahren gegen Finzelberg wollten die Wähler einen Neuanfang. Heute bestreitet der Diplomwirtschaftsingenieur sein Leben als freier Journalist und als Unternehmensberater.

Die Sanierung der Tongruben hat den Steuerzahler bereits 20 Millionen Euro gekostet. In diesem Jahr will der Landkreis Jerichower Land damit beginnen, die von Sporkenbach hinterlassene Müllverarbeitungsanlage in Vehlitz zu sichern. Mehr als eine Million Euro soll das kosten. Beim einstigen Betreiber ist wohl nichts zu holen, die Firma ist insolvent.

Der amtierende Landrat hat seinen eigenen Weg gefunden, mit dem stinkenden Erbe umzugehen: Steffen Burchardt hält Distanz. Die Tongruben Vehlitz und Möckern, die seinem Landkreis bundesweit Schlagzeilen beschert haben, hat er noch nie mit eigenen Augen gesehen.

Hat sein Vorgänger Fehler gemacht? Burchardt schweigt eine Weile. „Ich maße mir da kein Urteil an“, sagt er. Welches Urteil am Donnerstag fällt, sei ihm egal. „Man verbindet das Jerichower Land mit dem Müllskandal, und das ist traurig. Ich sehne den Tag herbei, wo wir einen Haken dran machen können. Egal wie.“ (mz)

Bis heute lagert Abfall in der einstigen Verarbeitungshalle.
Bis heute lagert Abfall in der einstigen Verarbeitungshalle.
Hagen Eichler