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Kommentar Kai Gauselmann Europawahl Sachsen-Anhalt: Die große Not der Volksparteien

26.05.2019, 20:20
Kai Gauselmann ist stellvertretender Chefredakteur der MZ.
Kai Gauselmann ist stellvertretender Chefredakteur der MZ. Andreas Stedtler

In Sachsen-Anhalt musste man am Sonntag etwa in Halle mancherorts eine Dreiviertelstunde am Wahllokal anstehen. Wann hat es das das letzte Mal gegeben?

Die Wahlbeteiligung zur EU-Wahl - die nach wie vor Luft nach oben hat - ist auch in Sachsen-Anhalt deutlich gestiegen. Die neutrale Botschaft dieser Wahl ist: Europa lebt - und wird seinen Bürgern immer wichtiger. Bei den deutschen Wahlergebnissen für das EU-Parlament haben sich einige nationale Trends bestätigt - und auch ein Ost-West-Unterschied verfestigt.

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Europawahl 2019: Hier finden Sie die Ergebnisse in Sachsen-Anhalt auf einen Blick

Unsere Gesellschaft ist immer heterogener geworden. Deswegen sind kleine und Kleinstparteien mit einem sehr engen Themenangebot oder sogar nur einem Thema im Aufwind. Das bildet sich übrigens in Sachsen-Anhalt auch bei den Kommunalwahlen mit einem deutlichen Zuwachs an parteifernen Wählergruppierungen ab. Bei der Europawahl sorgte der durch Globalisierung und Digitalisierung befeuerte Trend dafür, dass den stärksten Zuwachs die „Sonstigen“ hatten.

Die großen alten Volksparteien der Bundesrepublik, die Union und die SPD, haben immer größere Schwierigkeiten, darauf zu reagieren. Die Union hat sich sehr auf das Thema Zuwanderung konzentriert und vermochte es offenbar nicht, das Zukunftsthema Klimaschutz mit einem Teil ihres Markenkerns, der Wirtschaftskompetenz, zusammen zu bringen. Das ließ sich zuletzt in Sachsen-Anhalt gut beobachten. Da wurde von CDU-Vertretern viel über Migration geredet und die wirtschaftliche Kompensation des Kohleausstiegs, die ökologische Perspektive spielte aber keine große Rolle.

Der Niedergang der SPD nimmt derweil dramatische Züge an. Sozialpolitik als Hauptthema scheint nicht mehr zu ziehen, in Zeiten, wo die meisten Menschen in Deutschland allgemein und Sachsen-Anhalt speziell in relativem Wohlstand leben.

Der große Gewinner auf nationaler Ebene sind die Grünen - weil sie besonders glaubwürdig das Thema Klimaschutz bedienen konnten. Natürlich spielt ihnen das politische Momentum in die Karten, die internationale Bewegung „Fridays for future“. Klimaschutz ist eine Zukunftsfrage, auf die mehr als in anderen Bereichen die Antworten nicht auf nationaler, sondern internationaler Ebene gegeben werden müssen.

Das spüren die Menschen, vor allem jene, die es besonders angeht: Die Jungen. Folgerichtig sind die Grünen bei Erstwählern und den Unter-Dreißigjährigen die mit großem Abstand stärkste Kraft geworden. Die Grünen müssen nun aber auch liefern. In Brüssel werden sie nicht nur kritische Zuschauer sein können, sondern müssen schon bei der Kür des Kommissionspräsidenten ihre Punkte durchsetzen.

Bei den Europawahlen sind die Grünen in Deutschland die Gewinner. In Sachsen-Anhalt ist das indes die AfD. Der große Rechtsruck mag deutschland- und europaweit ausgeblieben sein. In Ostdeutschland, hier in Sachsen-Anhalt, etablieren sich die Rechtspopulisten aber auf hohem Niveau. Die AfD konnte an ihr starkes Wahlergebnis der Landtagswahl des Jahres 2016 anknüpfen und beim zweiten großen Thema unserer Zeit - der Migration - mit ihrer harschen ablehnenden Position punkten. Wie beim Klimaschutz schaffen es die Volksparteien - in diesem Fall vor allem die CDU - nicht, die Konkurrenz von rechts zu kontern. Möglicherweise liegt es daran, dass die Union es damit versuchte, die Rechten noch rechts zu überholen. Aber am Ende wird dann halt das Original gewählt und nicht die Kopie.

Den Autor erreichen Sie unter: [email protected]