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Die Dorfkneipe wird selten Die Dorfkneipe wird selten: Sachsen-Anhalts Gaststätten schwinden - mit teuren Folgen

Von Hagen Eichler 21.10.2019, 06:00

Magdeburg - In Sachsen-Anhalt kämpfen zahlreiche Gaststätten ums Überleben. Zwischen 2006 und 2017 hat bereits jeder fünfte Betrieb aufgegeben:

Die Zahl sank von 5.700 auf 4.600. Auf dem Land schreitet das Kneipensterben noch schneller voran: In Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern hat in diesem Zeitraum fast jeder dritte Dorfkrug für immer geschlossen.

Es handelt sich um die aktuellsten vorliegenden Zahlen des Statistischen Landesamts. Die Landesregierung hat sie auf Nachfrage des grünen Landtagsabgeordneten Olaf Meister veröffentlicht.

Der Magdeburger sieht in dem Schwund ein Problem für den Zusammenhalt. „Die Dorfkneipe ist ein Ort, wo man sich trifft und austauscht. Wenn es den nicht mehr gibt, wird das Dorf ärmer. Oft merkt man das erst, wenn es zu spät ist.“

Dabei sind die Sachsen-Anhalter durchaus bereit, in Restaurants, Cafés, Bars, Eckkneipen und Imbissstuben Geld zu lassen. Der Jahresumsatz der Branche hat sich von 640 Millionen Euro im Jahr 2006 auf 940 Millionen Euro im Jahr 2017 erhöht - also im selben Zeitraum, in dem jede fünfte Gaststätte verschwunden ist.

In Halle und Dessau stieg der Umsatz der Gaststätten rasant

Besonders in den drei Großstädten des Landes klingeln die Kassen: In Halle stieg der Umsatz um 36 Prozent, in Dessau-Roßlau um 64 Prozent, in der Landeshauptstadt Magdeburg sogar um stolze 133 Prozent.

Gastronomen erklären das mit höheren Preisen wegen gestiegener Personalkosten. „Früher wurden nicht die besten Löhne bezahlt, das muss man offen sagen“, sagt Michael Schmidt, Landeschef beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga).

„Das hat sich sehr zum Besseren gewandelt. Viele frühere Minijobs sind jetzt sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen. Gastronomen müssen besser bezahlen, sonst sind die Leute weg.“

Tatsächlich stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 12.000 auf zuletzt 16.000. Vor allem 2015, als der Mindestlohn eingeführt wurde, gab es einen großen Sprung. Die Gastronomen gaben ihre höheren Kosten an die Kunden weiter.

„Der Mindestlohn hat viele dazu gebracht, ihre Kalkulation zu verändern. Wer die Preise nicht erhöht, wird von den Kosten aufgefressen“, sagte Dehoga-Chef Schmidt. Denn auch andere Ausgaben seien gestiegen, etwa für Energie und Lebensmittel.

Kneipen haben Probleme, Mitarbeiter zu finden

Der Verband spricht von einer Konzentration der Branche: Kleine Gaststätten mit wenig Umsatz müssten aufgeben, die verbliebenen - auch in Kleinstädten - profitierten davon, dass die Gäste nun zu ihnen kämen.

„Die Nachfrage insgesamt bleibt gleich, die Kaufkraft ist sogar gestiegen - dadurch wachsen nun die mittelständischen Betriebe“, sagte Schmidt. Ein zentrales Problem sei es, Mitarbeiter zu gewinnen. Derzeit hofft der Dehoga, Azubis in Vietnam anzuwerben.

Für die Dörfer hingegen sieht die Grünen-Fraktion im Landtag Handlungsbedarf. Ihr Finanzpolitiker Meister bringt ein Programm ins Spiel, das Betriebsübernahmen fördert. Laut Dehoga schließen Gaststätten oft dann, wenn die Inhaber in Ruhestand gehen, aber innerhalb der Familie oder auf dem Markt keinen Interessenten für die Nachfolge finden.

In Baden-Württemberg gibt es ein solches Programm für Landgaststätten bereits. Sachsen-Anhalt werde aus der Landeskasse nichts geben können, sagte Meister. Möglicherweise sei die Finanzierung aber mit EU-Geld möglich. Zuletzt hat auch Bayern ein Programm zur Rettung seiner traditionellen Wirtshauskultur aufgelegt. 30 Millionen Euro Steuergeld sollen in moderne Küchen, Gasträume und barrierefreie Zugänge fließen. (mz)