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Denken und LaufenDenken und Laufen: Sachsen-Anhalts beste Schachspielerin beim Top-Turnier in Magdeburg

Magdeburg - Der Blick von Josefine Heinemann ist leer. Vor wenigen Sekunden ist sie von ihrem Stuhl aufgestanden und tigert nun im Gewölbe der Festung Mark, einem Veranstaltungsort in Magdeburg, hin und her. Gerade findet hier der Schachgipfel statt. Gleich mehrere Meisterschaften im königlichen Spiel werden parallel ausgetragen. Die besten Brettstrategen Deutschlands treten beim „German Masters“ an. Josefine Heinemann gehört zu ihnen. Die Großmeisterin aus Gardelegen (Altmark) ist die beste Spielerin ...

Von Julius Lukas 31.05.2019, 10:00

Der Blick von Josefine Heinemann ist leer. Vor wenigen Sekunden ist sie von ihrem Stuhl aufgestanden und tigert nun im Gewölbe der Festung Mark, einem Veranstaltungsort in Magdeburg, hin und her. Gerade findet hier der Schachgipfel statt. Gleich mehrere Meisterschaften im königlichen Spiel werden parallel ausgetragen. Die besten Brettstrategen Deutschlands treten beim „German Masters“ an. Josefine Heinemann gehört zu ihnen. Die Großmeisterin aus Gardelegen (Altmark) ist die beste Spielerin Sachsen-Anhalts.

Doch gerade flattern ihr die Nerven. Die zweite Runde läuft. Am Schachbrett sitzt ihr die Leipzigerin Melanie Lubbe gegenüber. Es ist Heinemanns Angstgegnerin. „Bei vier Spielen gegen sie habe ich viermal verloren“, erzählt die Wirtschaftsmathematik-Studentin. Um die eigene Nervosität in den Griff zu bekommen, läuft sie zwischen ihren Zügen viel herum, schaut wie in Trance auf andere Bretter, ohne diese wirklich wahrzunehmen. Der Denksport ist bei Heinemann auch Laufsport.

Josefine Heinemann hilft Bewegung zur Konzentration

„Das Hin und Her beruhigt mich“, erklärt sie. Andere Spielerinnen hätten ihr auch gesagt, dass der Bewegungsdrang sehr selbstbewusst wirke. Und das kann im Kopf-Duell Schach durchaus entscheidend sein. „Es gibt Spielerinnen, die ein schlechtes Pokerface haben, sich sichtlich ärgern oder den Kopf schütteln, wenn etwas misslingt.“ Diese Emotionen der Gegner könne man nutzen und Schlüsse daraus ziehen.

Denn wer sich ärgert, gibt Fehler preis. Und Fehler werden auf dem Niveau der 21-Jährigen schnell bestraft. Schon kleine Ungenauigkeiten, eine Unachtsamkeit entscheiden oft das Spiel. „Es kommt bei uns darauf an, den Gegner in die Enge zu treiben und ihm keine andere Wahl zu lassen, als genau den Zug, den man selbst möchte“, sagt Heinemann.

In ihrem Spiel gegen Angstgegnerin Melanie Lubbe ist sie allerdings gerade eher die Getriebene. Während Heinemann noch durch die Gegend tigert, greift die Leipzigerin mit dem Pferd an. Es bedroht nun den Läufer der jungen Frau aus Gardelegen. Sie setzt sich wieder auf ihren Stuhl, überlegt eine Weile. Dann weicht sie zurück, zieht den Läufer ein Feld nach hinten. Die Verteidigung ist im Schach fast ebenso bedeutend wie der Angriff.

Josefine Heinemann: Von der Schach AG zur Meisterin

Die Faszination für die Figuren auf dem schwarz-weißen Brett hat bei Josefine Heinemann in der Schule begonnen. Ganz klassisch mit einer Schach AG. Logisches Denken lag ihr, der Variantenreichtum des Spiels begeisterte sie. „Es sind immer neue Stellungen auf dem Brett, nie läuft ein Spiel gleich ab“, sagt Heinemann. Schnell ließ sie ihre Schach-AG-Gegner hinter sich, gewann auf Landesebene Meisterschaften. „Doch im bundesweiten Vergleich war ich anfangs immer im unteren Drittel.“

Der Durchbruch kam erst in der Pubertät. Mit 13 Jahren stieß sie in die Top-5 ihrer Altersgruppe vor. Mit 15 Jahren holte sie den ersten Deutschen Meistertitel, mit 17 Jahren den zweiten. Sie kommt in die Bundesliga der Frauen und startet auch in der obersten Spielklasse der Herren. Schon 42 Mal trat sie für die deutsche Nationalmannschaft an. Seit 2018 ist sie Großmeisterin - nur 20 deutsche Frauen hatten diesen Titel zuvor verliehen bekommen.

Der beste Schachspieler aller Zeiten ist auch der aktuelle Weltmeister. Magnus Carlsen aus Norwegen führt die Rangliste der Brettsportler derzeit an. Entscheidend dabei ist die Elo-Zahl. Sie ist die Währung in der Schachwelt und wurde 1960 von dem amerikanisch-ungarischen Physiker Arpad Elo entwickelt. Dahinter steckt eine komplexe Berechnung, deren Ergebnis angibt, wie gut ein Spieler ist. Gewinnt er, bekommt er Punkte hinzu und die Elo-Zahl steigt. Bei Niederlagen werden Punkte abgezogen. Dabei zählt auch die Stärke des Gegners. Je besser der ist, desto mehr Punkte gibt es für einen Sieg gegen ihn. Magnus Carlsen hat derzeit (Stand Mai 2018) 2861 Punkte. Eine höhere Elo-Zahl hatte vor dem 28-Jährigen nur ein Spieler: er selbst. 2014 stand der Norweger bei 2882 Punkten.

Was sie dabei gegenüber anderen am Brett auszeichnet, ist die Tiefe, mit der sie ein Schachspiel durchdenken kann. „Es kommt am Ende darauf an, möglichst viele Varianten, wie es weiter geht, zu berechnen“, sagt Heinemann. Man müsse die guten Züge erkennen und auch vorhersehen, wie der Gegner reagieren kann - und wie er reagieren wird.

Schach auf Top-Niveau: Intensive Vorbereitung ist nötig

Wichtig sei dabei auch, die eigenen Figuren als Einheit zu betrachten. „Amateurspieler sehen oft nur die einzelnen Figuren und deren Möglichkeiten“, meint die 21-Jährige. Dabei würden sie das große Ganze außer Acht lassen. „Es ist wie beim Fußball: Da können ja auch nicht alle durcheinanderlaufen, sondern sie müssen zusammenspielen.“

Dieses Zusammenspiel zu komponieren und gleichzeitig den Gegner und seine Möglichkeiten im Blick zu haben - das ist die hohe Kunst. „Auf Duelle bereitet man sich schon intensiv vor, vor allem was die Eröffnung des Gegenübers betrifft“, sagt Heinemann. Bis kurz vor eine Partie schaut sie sich an, wie ihre Gegner Spiele beginnen und probiert Gegenstrategien zu entwickeln. „Findet man dabei eine Lücke, dann bestimmt man das Spiel.“

Wie schwer genau das ist, merkt Heinemann immer dann, wenn sie gegen deutlich bessere Spieler antritt. Das kommt zum Beispiel in der Bundesliga häufig vor. „Zu Beginn glaubt man noch, dass man mithalten kann.“ Doch im Verlauf der Partie merke man, dass der Gegner schon lange einen Plan verfolgt, den man selbst nicht erkannt hat. „Wenn ich fünf Züge vorhersehe, sieht ein Top-Spieler auf Weltniveau eben sechs oder sieben voraus.“ Ein Rückstand, der Figuren kostet.

Josefine Heinemann bisher mit schlechtem Jahr

Mit Melanie Lubbe, ihrer Gegnerin in der zweiten Runde, bewegt sich Heinemann derzeit auf einem fast gleichen Niveau. Nach dem anfänglichen Zurückweichen greift die Sachsen-Anhalterin an - doch auch Lubbe weiß sich zu verteidigen. Es entwickelt sich ein Schlagabtausch, bei dem Josefine Heinemann nicht immer hellwach ist - so wie das gesamte Jahr bereits.

„2019 war bis jetzt eine ziemliche Katastrophe“, sagt die Strategin. Ihre Elo-Zahl, die die Stärke eines Spielers angibt, liegt aktuell bei 2227 Punkten. Ende 2018 waren es noch über 100 Punkte mehr. „Aber es wird bestimmt wieder besser“, muntert sich Heinemann auf.

Das Spiel gegen Melanie Lubbe ist ein erster Schritt. Die fünfte Partie gegen die Leipzigerin ist die erste, die Heinemann nicht verliert. Am Ende einigen sich die beiden Frauen auf ein Unentschieden. (mz)

Mehr zum Schachevent in Magdeburg unter: www.schachgipfel.de