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Kommentar zu Attacken auf Mandatsträger Demokratie in der Krise – der Fall Neubauer ist nur ein besonders drastischer

Immer mehr Amtsträger werden bedroht oder angegriffen. Warum der angekündigte Rücktritt von Landrat Dirk Neubauer in Mittelsachsen ein besonders drastischer Fall ist.

Von Alexander Schierholz 07.08.2024, 18:00
Es ist billig, Neubauer und anderen, die Bedrohungen nicht länger ertragen, Flucht aus der Verantwortung vorzuwerfen, meint unser Kommentator.
Es ist billig, Neubauer und anderen, die Bedrohungen nicht länger ertragen, Flucht aus der Verantwortung vorzuwerfen, meint unser Kommentator. (Foto: MZ / Stedtler)

Halle/Freiberg - Dirk Neubauer ist ebenso streitbar wie umstritten. Die Versuche des parteilosen ehemaligen Journalisten und Unternehmers, als Kleinstadt-Bürgermeister und Landrat in Sachsen die Kommunalpolitik umzukrempeln und verkrustete Strukturen aufzubrechen, haben bei den einen Jubel ausgelöst, bei den anderen, vorsichtig ausgedrückt, Abwehrreflexe verstärkt. Man muss Dirk Neubauer oder seine Politik also nicht mögen, man kann auch seinen Rücktritt für falsch halten oder die Gründe, die er dafür anführt.

Es geht hier nicht um Dirk Neubauer, jedenfalls nicht nur. Es geht, zunächst einmal, um Zahlen: Die Zahl der Angriffe auf Amts- und Mandatsträger hat laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr um 29 Prozent zugenommen, auf 5.400 Fälle. 2022 gaben in einer Studie der Heinrich-Böll-Stiftung und der Uni Duisburg-Essen 60 Prozent der Kommunalpolitiker deutscher Großstädte an, Anfeindungen und Aggressionen zu erleben. Dirk Neubauer, aber auch betroffene Bundes- und Europapolitiker wie Karamba Diaby oder Matthias Ecke geben diesen Zahlen ein Gesicht.

Neubauer hat mit seinem öffentlich erklärten und begründeten Rücktritt nun besonders drastisch darauf hingewiesen, wie tief Attacken auf Amtsträger wie ihn unsere Demokratie in eine Krise gestürzt haben. Diejenigen, die die Demokratie aushöhlen oder ganz abschaffen wollen, werden sich die Hände reiben – von rechtsextremen Splittergruppen bis zur AfD. Dennoch ist es billig, Neubauer und anderen, die Bedrohungen nicht länger ertragen, Flucht aus der Verantwortung vorzuwerfen. Wie weit die Kräfte reichen, wo die Grenze erreicht ist, dass kann nur jede und jeder für sich selbst beurteilen. Vielmehr gebührt ihnen höchster Respekt für ihre Entscheidung; ebenso wie all denjenigen, ob ehren- oder hauptamtlich, die sich trotz aller Bedrohungen, Anfeindungen und Übergriffe weiter engagieren.