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Bald Ordnungswidrigkeit? Bald Ordnungswidrigkeit?: Richter wollen Schwarzfahren aus Strafgesetzbuch streichen

Von Hagen Eichler 26.02.2018, 08:00

Magdeburg - Bus- und Bahnfahren ohne Fahrschein soll als Delikt aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Das fordert der Bund der Richter und Staatsanwälte in Sachsen-Anhalt. Um Schwarzfahrer zu bestrafen, reiche die Einstufung als Ordnungswidrigkeit, erklärte Landesvorsitzender Markus Niester. Er begründet die Forderung vor allem mit dem technischen Wandel.

„Früher hat sich der Schwarzfahrer in die Straßenbahn geschlichen und vor dem Schaffner versteckt. Dazu brauchte es kriminelle Energie“, sagte Niester. „Heute setzen die Verkehrsbetriebe auf Automaten, Kontrollen gibt es kaum. Der Unrechtsgehalt ist beim Schwarzfahren nicht mehr so hoch wie früher.“

Annemarie Keding: „Das Delikt Schwarzfahren muss verfolgt werden“

Gleichzeitig verweist der Richterbund auf die hohe Belastung. Wäre es eine bloße Ordnungswidrigkeit, ließe sich ein großer Teil der Fälle schriftlich erledigen. „Genauso funktioniert es ja bei vielen Verkehrsdelikten“, sagte Niester.

4.084 Fälle von „Leistungserschleichung“ beschäftigten die Staatsanwaltschaften in Sachsen-Anhalt im Vorjahr. Schwarzfahrer machten davon 90 Prozent der Fälle aus, schätzt das Justizministerium. Etwa zehn Prozent der Verfahren enden mit einem Strafbefehl. Weitere sieben Prozent werden angeklagt. Im Extremfall müssen Schwarzfahrer hinter Gitter: Bezahlt ein Verurteilter seine Geldstrafe nicht, wird eine Ersatzfreiheitsstrafe fällig.

Die Forderung des Richterbundes stößt bei den drei maßgeblichen Landesministern auf Kritik. „Das Delikt Schwarzfahren muss verfolgt werden, im Interesse der vielen, die sich an die Regeln halten“, sagte Justizressortchefin Annemarie Keding (CDU). Beförderung sei kein freies Gut, sondern eine Leistung der Verkehrsbetriebe, die gegen Geld angeboten werde. „Wenn Eigentums- und Vermögensrechte verletzt werden, können wir uns nicht zurücklehnen.“

Auch Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) warnt vor einer Entkriminalisierung: „Das wäre eine Werteverschiebung.“ Zudem werde die Bearbeitung von Ordnungswidrigkeiten kaum weniger Personal benötigen. Am Strafrechtsparagrafen festhalten will nicht zuletzt Verkehrsminister Thomas Webel (CDU). „Schwarzfahren ist von der Schwere des Vergehens vergleichbar mit einem Ladendiebstahl.“ Die rechtliche Einordnung solle bleiben, wie sie ist.

Havag erwischt jährlich 24.000 Fahrgäste ohne Ticket

Angestoßen hatte die Debatte Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Er nannte es eine „Fehlentwicklung“, wenn jemand wegen einer Fahrkarte im Wert von 1,50 Euro letztlich ins Gefängnis kommen könne. Mehrere Amtskollegen haben sich ihm mittlerweile angeschlossen, zuletzt der Thüringer Dieter Lauinger (Grüne). In Sachsen-Anhalt kostet ein Platz im Gefängnis 140 Euro am Tag, Investitionen nicht mitgerechnet.

Verkehrsunternehmen zeigen Schwarzfahrer meist nur im Wiederholungsfall an oder wenn sie die Polizei zu Hilfe rufen mussten. Die Hallesche Verkehrs-AG beispielsweise erwischt jährlich 24.000 Fahrgäste ohne Ticket. Nur 500 Mal erstattete das Unternehmen im vergangenen Jahr letztlich Anzeige. Bereichsleiter Andreas Völker warnt dennoch vor einer Abschaffung des Paragrafen. Denn das würde als Freibrief für Schwarzfahrer wahrgenommen, warnt er: „Man würde alle ehrlichen Fahrgäste bestrafen.“ (mz)