Als Minister schon lange ein Wackelkandidat Als Minister schon lange ein Wackelkandidat : Jetzt wurde André Schröder demontiert

Magdeburg - Bierbänke, Bratwürste, gelockerte Krawatten: Auf der Sommerparty des Landtags wirkt am Mittwoch keiner der Christdemokraten sonderlich betrübt. Der EU-Abgeordnete Sven Schulze umarmt Parteikollegen, Staatssekretäre scherzen bei Bier und Wein. Und jetzt ist auch der Ministerpräsident da: Über die Mikrofon-Anlage wünscht Reiner Haseloff (CDU) einen entspannten Abend im Innenhof des Landtags.
Ein Dutzend CDU-Abgeordnete fordert am Mittwoch Schröders Rücktritt
Einige wissen da bereits: Haseloff kommt aus einem Krisentreffen in der Staatskanzlei. André Schröder (CDU) wird am nächsten Morgen als Finanzminister zurücktreten. Als einer der wichtigsten Minister im Kabinett hat er seit langem einen schweren Stand. Doch an diesem Abend geht es fast atemberaubend schnell: Ein Dutzend CDU-Abgeordnete fordert am Mittwoch Schröders Rücktritt, weil er Details zur Rettung der Krisenbank Nord/LB verschwiegen haben soll. Daraufhin kommt es zum Krisengipfel in der Staatskanzlei, während das Sommerfest im Landtag gerade in Fahrt kommt.
Dort fragt man sich: Kann es wirklich sein, dass einer der wichtigsten Minister Haseloffs in nur wenigen Stunden abgesägt wird? Aus Gerücht wird Gewissheit. Später, am Rande der Party, führen Haseloff und CDU-Landeschef Holger Stahlknecht weiter Krisengespräche zwischen schwarz lackierten Dienstwagen und Bodyguards.
Eigentlich soll in diesen Wochen der Landeshaushalt für 2020 und 2021 verhandelt werden
Am Morgen danach verschickt André Schröder die Rücktrittserklärung. „Die wichtigste Währung in der Politik ist nicht der Euro, sondern Vertrauen“, schreibt er. „Unter dem Eindruck der Diskussionen aus den letzten Tagen und nach Gesprächen mit engen Vertrauten hat sich mein Eindruck verstärkt, dass ich mein Amt nicht so ausüben kann, wie ich es für notwendig halte.“ Für die Partei, für die Koalition ist es ein Beben. Eigentlich soll in diesen Wochen der Landeshaushalt für 2020 und 2021 verhandelt werden. Für die Koalition aus CDU, SPD und Grünen ohnehin ein Stresstest.
Zwei Stunden nach Schröders Erklärung tritt dann die CDU-Spitze vor die Kameras. Haseloff, Stahlknecht und Fraktionschef Siegfried Borgwardt. Spätestens jetzt wird klar: Der nur notdürftig als Rücktritt verbrämte Rauswurf Schröders war nicht Haseloffs Entscheidung. Der Ministerpräsident wurde von der Fraktion genötigt. Die CDU-Abgeordneten, das wird aus Haseloffs Statement in der Staatskanzlei deutlich, drohten damit, den Haushaltsplan durchfallen zu lassen. „Um dem Haushalt eine Mehrheit zu verschaffen, braucht ein Finanzminister eine klare Basis in der Fraktion. Das schien nicht gegeben“, sagt Haseloff.
André Schröder als Minister: unorganisiert, durchsetzungsschwach, planlos
Warum ist das Vertrauen in den Minister verschwunden? Haseloff windet sich, bei der zweiten Nachfrage nimmt er dann mit Blick auf Schröder das Wort „Persönlichkeitsstruktur“ in den Mund. Es gebe eben Prozesse, „wo die Chemie entweder positiv wirkt oder zur Belastung wird“.
Die Chemie stimmt schon lange nicht mehr. Zwar galt Schröder einst als möglicher Kronprinz Haseloffs, führte von 2011 bis 2016 die Landtagsfraktion, erarbeitete sich einen hervorragenden Ruf. Doch im Ministeramt hält ein Kern der Fraktion ihn für unorganisiert, durchsetzungsschwach, planlos. Es gab Ausschusssitzungen, in denen Schröder von den eigenen Leuten heißer gegrillt wurde als von der Opposition. Auch Ministerkollegen stöhnen, wenn sie nach Schröders Ausführungen gefragt werden. „Oberlehrerhaft“ trete der Minister auf, von oben herab, mit endlosen Erklärungen. „Und dabei hat man oft das Gefühl, dass er eigentlich nur aus seinen Vorlagen schöpft“, sagt ein Regierungsmitglied.
Schröder verfolgten schon 2018 Gerüchte um einen Absprung. Damals hieß es, er könne womöglich Chef der Investitionsbank werden. Bereits da war sein Image angekratzt. Minuspunkte sammelte er etwa in der sogenannten Flugaffäre 2017: Der Minister war dienstlich samt Büroleiterin nach New York geflogen, beide in der luxuriösen Business Class. Es folgte Kritik aus den eigenen Reihen. Ministerpräsident Haseloff hatte damals betont, er fliege stets in der preiswerten Economy Class. Das zeugte nicht unbedingt von Rückendeckung für Schröder.
Kay Barthel stellt Minister und Parteifreund Katastrophen-Zeugnis aus
Und dann war da noch Kay Barthel, Präsident des Landesrechnungshofes: Nur Stunden vor dem Rücktritt stellte er dem Minister und Parteifreund am Mittwoch ein Katastrophen-Zeugnis aus. Die derzeitige Haushaltspolitik Sachsen-Anhalts beschrieb Barthel vor Journalisten so: „Sie müssen sich vorstellen: Sie haben schon einen relativ guten Job, kriegen unerwartet von Ihrem Chef eine Gehaltserhöhung, gleichzeitig erben Sie und gewinnen im Lotto - und Ihr reicher Onkel gibt Ihnen jedes Jahr einen gewissen Zuschuss. Und am Jahresende stellen Sie fest, dass Sie Ihr Sparbuch plündern müssen, weil das Geld trotzdem nicht reicht, Sie haben aber auch Ihr Auto nicht reparieren können und haben Ihr Haus nicht weiter abbezahlt. Das ist die Situation.“
Das saß. Interessant: Barthel wird ein gutes Verhältnis zum Nachfolger Schröders nachgesagt: Michael Richter, bisher Staatssekretär im Finanzministerium. Es ist in Magdeburg kein Geheimnis, dass Richter sich schon lange für den besseren Minister hält. „Der Unterschied zu Schröder: Er kennt sich in Finanzpolitik aus“, sagt ein Mitglied der Regierung.
An diesem turbulenten Donnerstag wird der 64-jährige Richter also um 13.30 Uhr im Landtag als Finanzminister vereidigt. Noch 24 Stunden zuvor hätte das kaum jemand für möglich gehalten. Er kommt mit einem anderen Ruf ins Amt als Schröder. „Das ist einer, der kann ad hoc die Uhrzeit ansagen, ohne auch gleich das Uhrwerk zu erklären“, sagt ein Christdemokrat. Haseloff persönlich hatte den Brandenburger Staatssekretär 2011 nach Magdeburg geholt. Eigentlich wäre er auf seinem bisherigen Posten im September in den Ruhestand gegangen - das verzögert sich nun als Minister. Mit den Haushaltsverhandlungen wartet die denkbar härteste Aufgabe auf Richter. Bei SPD und Grünen sorgt der Personalwechsel aber für vorsichtigen Optimismus, dass das Budget für 2020 und 2021 noch in diesem Jahr festgezurrt werden kann.
André Schröder behält Mandat im Landtag und geht ohne Gram
Schröder schreibt in seiner Rücktrittserklärung: „Ich gehe ohne Gram.“ Er wolle sich künftig auf sein Landtagsmandat und die Arbeit für die Partei konzentrieren. Das Amt als Vize-Parteivorsitzender werde Schröder behalten, sagt CDU-Chef Stahlknecht. Statt auf der Ministerbank zu sitzen, muss sich Schröder nun einsortieren. Damit ist die Koalition auf ihn angewiesen: Jede Stimme wird gebraucht, um die Kenia-Koalition an der Regierung zu halten.
Ohne Gram. Als sich Schröder am Donnerstag von seinem Mitarbeitern im Ministerium verabschiedet, sind 200 gekommen. Sein Büro räumt er am Montag. (mz)