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Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Schatten der Vergangenheit

Von Steffen Reichert 06.02.2008, 21:12

Stendal/MZ. - Es ist ein zurückhaltendes Plakat, das überall hängt. Und es hat eine Botschaft, die so simpel ist, dass man sie nicht missverstehen kann. "Oberbürgermeister Klaus Schmotz" steht schlicht auf dem Foto, das einen freundlich lächelnden Mann im dunklen Anzug zeigt: den jetzigen, und wenn es nach ihm geht, auch nach der Wahl am 17. Februar neuen Oberbürgermeister von Stendal.

Aufgeheizte Stimmung

Aber ganz so friedlich, wie die Plakate in der Altmark-Stadt es suggerieren, ist die Stimmung nicht. Seit vor ein paar Tagen die Vergangenheit von Schmotz als langjährigem Offizier der DDR-Grenztruppen in den Fokus gerückt wurde, ist die Aufregung groß in der 37 000 Einwohner zählenden Stadt. "Kassenwart bei der Mördertruppe" hieß eine der Schlagzeilen, über die jetzt heftig diskutiert wird. Und sie kam zustande, weil sich zuvor höchst Ungewöhnliches ereignet hatte.

Es war ein Abend in der vergangenen Woche, als in einer Stendaler Gaststätte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) für die Wiederwahl des parteilosen und von der Union nominierten 55-jährigen Kandidaten warb. Und es begab sich, dass zeitgleich nur wenige Meter entfernt Roman Grafe auftrat. Der anerkannte Buchautor in Sachen DDR-Grenze trug in einer Veranstaltung des Landesbeauftragten für Stasiunterlagen Erkenntnisse über die Mauer vor. Am Ende verteilte er ein zweiseitiges Papier "Aus dem Leben eines Apparatschiks", in dem er sich mit der Biografie von Schmotz auseinandersetzt - mit dem Leben eines Mannes, der fast 20 Jahre als Offizier an der DDR-Grenze arbeitete. "Wer Macht so missbraucht hat, sollte nicht noch einmal Macht erhalten", sagt Grafe nach dem Abend, den viele als Provokation empfanden. Er habe, erzählt er über den Ausgangspunkt der Recherchen, von einem Stendaler Bürger den Tipp zu Klaus Schmotz erhalten. Denn dieser habe seine Tätigkeit zwischen 1974 und 1990 stets verharmlosend als die eines Finanzoffiziers der NVA dargestellt. "Die Grenztruppen gehörten seit 1973 nicht zur NVA. Dass an der Grenze aber Menschen ermordet wurden, wusste jedes Kind."

Viele in Stendal freilich können die Aufregung nicht nachvollziehen - auch wenn sie selbst sehr aufgeregt sind. "Jeder hier", nimmt CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel den Kandidaten in Schutz, "hat diese Biografie gekannt." Das Neue Forum und die heutige Linkspartei hätten für Schmotz votiert, als der 1990 als Amtsleiter eingestellt werden sollte. "Er hat einen guten Job gemacht", bilanziert Kühnel, "und wir waren froh, dass er parteilos für die Union kandidierte." Irgendwann, so Kühnel über die Vergangenheitsdebatte, "muss aber auch mal Schluss sein".

Das sieht Mario Blasche nicht anders. Der Politiker ist bei der OB-Wahl Kandidat der Linkspartei, er nennt die Debatte "eine Debatte zur Unzeit". Die Kausalität "Grenze gleich Mörder" sei falsch. Und im Übrigen würde er sich wünschen, dass auch sonst die Maßstäbe gelten sollten, die bei Klaus Schmotz angelegt würden. Reinhard Weis, langjähriger Bundestagsabgeordneter der SPD und jetzt OB-Kandidat seiner Partei, will sich nicht um die Vergangenheit von Schmotz streiten. "Mein Wahlkampfkonzept sieht das nicht vor", sagt er und wirbt statt dessen für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Rathauschef.

Wen man auch fragt, wie sich der Wahlkampf so hochschaukeln konnte, der erzählt mehr oder weniger offen die Geschichte eines Mannes aus Stendal, der die Eskalation gewollt und den brisanten Abend mit Grafe mitorganisiert habe. Der Stendaler sei der verlängerte Arm von Sachsen-Anhalts Landesbeauftragtem für Stasi-Unterlagen, Gerhard Ruden. Der weist dies allerdings energisch zurück. Richtig sei, räumt er ein, dass ein Mann aus Stendal bei ihm zum Thema Grenze forsche und bei der Vorbereitung der Veranstaltung mit Grafe geholfen habe. Doch dass die zeitgleich mit dem Schäuble-Auftritt und noch dazu vor der OB-Wahl stattgefunden habe: "Das war reiner Zufall."

Ruden ärgert, dass alle über die Umstände und nicht die Sache an sich streiten würden. "Fakt ist", sagt er in aller Deutlichkeit, "dass ein Vertreter der alten Elite für das OB-Amt ungeeignet ist". Indes: Es gebe ein "Informationsdefizit". Und nur das habe er rechtzeitig vor der Wahl beseitigen wollen. Das habe er inzwischen auch dem CDU-Fraktionschef im Landtag, Jürgen Scharf, und dem örtlichen Unionsabgeordneten versichert. Deshalb stelle er sich ausdrücklich vor seinen Forschungsmitarbeiter, der nun sogar Übergriffe fürchten müsse. Weil inzwischen dessen Auto zerkratzt worden sei, kündigte Ruden an, den Staatsschutz einzuschalten.

Auskunft nach der Wahl

Der einzige, der zur Zeit nichts mehr zu den Vorgängen sagen will, ist Oberbürgermeister Schmotz. Er lässt seine Pressestelle lediglich ausrichten, dass er sich selbstverständlich an der Aufarbeitung der Geschichte beteiligen werde: "Jeglichen Kommentar dazu wird es nach der Wahl geben."