1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt: Sachsen-Anhalt: Naturschützer sind alten Obstsorten auf der Spur

Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Naturschützer sind alten Obstsorten auf der Spur

19.09.2013, 04:24
Äpfel liegen auf einer Streuobstwiese.
Äpfel liegen auf einer Streuobstwiese. DPA/Symbol Lizenz

Magdeburg/dpa. - „Altländer Pfannkuchen“, „Dülmener Rosen“ und „Gelber Bellefleur“ dürften bei den Wenigsten in der Obstschale liegen. „Da bin ich mir ziemlich sicher“, sagt Sigurd Schossig aus Biederitz bei Magdeburg. Er muss es wissen, denn er bestimmt seit 60 Jahren Obstsorten. Unter anderem hält er 450 Apfel-, 200 Süsskirsch- und 90 Pflaumensorten mühelos auseinander. Dazu zählen auch die eingangs genannten Äpfel. „Sie kommen heute sehr selten vor, denn sie zählen zum sogenannten Streuobst“, weiß Schossig. In diesen Tagen hat er besonders viel zu tun, denn der Naturschutzbund Nabu hat wieder zur Obstsortenbestimmung aufgerufen.

Genetischen Informationen sollen erhalten bleiben

„Besonders Früchte von Streuobstwiesen sind für uns interessant, denn dort sind häufig schon vergessene Sorten zu finden“, sagt Geschäftsführerin des Landesverbandes Sachsen-Anhalt, Annette Leipelt. In der heutigen Zeit, in der immer mehr Pflanzen- und Tierarten verschwinden, sei es wichtig, die genetischen Informationen dieser alten Sorten zu erhalten. Deshalb mache sich ihr Verband für den Erhalt und die Pflege von Streuobstwiesen stark.

„Die Namen der Sorten von dort kennt heute kaum einer mehr“, sagt Schossig. Die Birne „Gute Luise“ wohl noch, aber bei der Süßkirsche „Maibigarreau“, der Sauerkirsche „Ostheimer Weichsel“ oder der Pflaume „Wangenheims“ höre es wohl bei den meisten Leuten auf, meint der Obstbaumkundler, auch Pomologe genannt.

Nach Angaben des Nabu wächst derzeit bundesweit auf 400 000 Hektar Streuobst, im Jahr 1950 waren es noch 1,5 Millionen Hektar. Die Flächen wurden vor allem dem wirtschaftlicheren Plantagenanbau geopfert. Streuobstbäume gedeihen zu 95 Prozent auf Wiesen, aber auch an Straßenrändern und Gärten. Im Gegensatz zu niederstämmigen Plantagenobstanlagen stehen die Bäume etwa 1,80 bis 2 Meter hoch verstreut in der Landschaft. Anders als bei der niedrigstämmigen Monokultur wachsen auf Streuobstwiesen auch gemischte Obstsorten.

„Die Streuobstwiesen sind nicht nur wichtig für den Erhalt alter Sorten, sondern auch für den Naturschutz“, sagt Schossig. In den Bäumen fänden seltene Tierarten wie Steinkautz, Wendehals oder Grünspecht Unterschlupf. Auch Flechten, Algen und Moose würden an oder unter den Bäumen gedeihen.

„Eine Sorte ist alt, wenn sie etwa 100 Jahre bekannt ist oder vor mehr als etwa 100 Jahren das erste Mal beschrieben wurde“, sagt Gerlinde Nachtigall, Pressesprecherin am Julius Kühn-Institut (JKI) Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Braunschweig. „Alte Sorten werden heute als Kulturgut anerkannt und dieses muss man aktiv erhalten“, sagt sie. Das sei zu vergleichen mit einem alten Baudenkmal.

Auch für die Wissenschaft seien die alten Sorten wichtig: „Manche der alten Apfelsorten zum Beispiel sind widerstandsfähig gegenüber Krankheiten wie Schorf oder Mehltau. Diese können im Sinne eines nachhaltigen und umweltschonenden Anbaus auch für neue Züchtungen genutzt werden“, so Nachtigall. Das JKI koordiniert den Angaben zufolge die „Deutsche Genbank Obst“ mit Netzwerken für Kirschen, Erdbeeren und Äpfeln. Dort werden erhaltenswerte Sorten aufgenommen. Die Genbank ist unter anderem notwendig, weil der Großteil der Obstproduktion weltweit mit wenigen Hochleistungssorten abgedeckt wird. Das führt dazu, dass viele alte Sorten gefährdet sind. Immerhin gibt es nach Angaben des JKI in Deutschland allein 2397 Apfelsorten, nur ein Bruchteil gedeiht auf Plantagen.

Streuobstsorten sind auch lange haltbar

Bei den Äpfeln würden unter anderem die Hochleistungssorten „Golden Delicios“, „Jonagold“ oder „Alkmene“ in großem Stile angebaut, sagt Schossig. Diese müssten aber mitunter bis zu 20 mal gespritzt werden, damit sie gelackt und gewischt in den Supermärkten glänzten. Bei Streuobstsorten müsste dies weit weniger getan werden. Auch sie könnten sich bei entsprechender Lagerung lange gut halten.

So lange wie die Früchte aus der Sammlung des „Pomologischen Kabinetts“ in Wörlitzer Gartenreich werden sie sich wohl nicht halten. Im 18. Jahrhundert vom Obstliebhaber Fürst Franz von Anhalt-Dessau zusammengetragen, zeigen sie etwa dünnwandige Wachsfrüchte aus Marzipan oder Zucker. Wegen ihrer Zerbrechlichkeit sind „Gestreifter Winter Erdbeerapfel“, „Zyprische Eierpflaume“ und der Apfel „Rothes Seidenes Hemdchen“ derzeit für die Öffentlichkeit nicht zu sehen. „Doch den einen oder anderen Baum kann man heute in der Landschaft immer noch finden“, sagt Schossig.