Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Letzte Ruhe unter Bäumen
Oranienbaum/MZ. - Jede Menge Kiefern, einige Eichen und auch Buchen. Idylle pur. Ein paar Sonnenstrahlen leuchten durch die Bäume in dem Waldstück zwischen dem Kapenschlösschen und dem Informationszentrum des Biosphärenreservats "Flusslandschaft Mittlere Elbe". Mitten im Dessau-Wörlitzer Gartenreich soll der erste Friedwald Sachsen-Anhalts entstehen. Statt im klassischen Reihengrab finden Verstorbene ihre letzte Ruhe dann in freier Natur an den Wurzeln von Bäumen. Nur ein Schild am Eingang und Namensplaketten an den Bäumen werden auf den Friedwald hinweisen.
118 Hektar Wald sind als Friedhofsgelände ausgewiesen. Maximal sind 100 000 Urnenplätze möglich, sagt Hans-Adam von Schultzendorff von der hessischen Friedwald GmbH, die den Friedhof betreibt. Sie übernimmt die Verwaltung und die Organisation von Beisetzungen in Zusammenarbeit mit den Bestattungsunternehmen und Kirchen vor Ort. Vorerst werde aber nur eine Teilfläche vergeben, so Schultzendorff. 300 Bäume sollen bis zur Eröffnung im September vermessen werden.
Ausgegangen war die Initiative für den Friedwald von der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, der das Gelände gehört und die auch an den Einnahmen beteiligt wird. Es sei ein Angebot an eine sich verändernde Gesellschaft - geprägt von Toleranz "und ganz im Sinne des Fürsten Franz für sein Gartenreich der Aufklärung." Zudem ermögliche es "die Liebe zum Gartenreich über den Tod hinaus", so Stiftungsdirektor Thomas Weiss.
Im Oranienbaumer Stadtrat hatten sich 15 von 17 Abgeordneten für den Friedwald ausgesprochen. Deutsche Gesetze schreiben einen weitgehenden Friedhofszwang vor. Da zudem in den meisten Bundesländern für Friedhöfe öffentliche Träger gefordert werden, ist Oranienbaum Träger des Friedwaldes, während die Waldpflege beim Gartenreich verbleibt. Dem Ort gingen zwar Einnahmen für den klassischen städtischen Friedhof verloren, so Bürgermeister Uwe Zimmermann (Linke). "Aber wir müssen auch an die Bedürfnisse der Menschen denken."
Den Trend zu alternativen Bestattungsformen gibt es seit Jahren. Die Bestattungskultur sei ein "Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen", sagt Kerstin Gernig, Geschäftsführerin des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur beim Fachverband der Bestatter. Mit demographischem Wandel, hoher Mobilität und zunehmend fehlender Ortsgebundenheit stelle sich auch die Frage, wer ein Grab pflegen soll, wenn es vor Ort keine Angehörigen mehr gibt.
Im Friedwald übernimmt dies die Natur. Grabpflege sei untersagt, so Schultzendorff, der Wald solle im ursprünglichen Zustand erhalten bleiben. "Wer möchte, kann einen Farnwedel ans Grab legen, aber Rosen gehören nicht in den Wald." An den Bäumen können zehn mal zwölf Zentimeter große Plaketten mit Namen und Inschriften angebracht werden, das Nutzungsrecht für die Grabstelle gilt für 99 Jahre. Zerstört ein Unwetter einen Baum, wird an gleicher Stelle nachgepflanzt. Überschwemmungen schließen die Betreiber aus, zudem würden die Urnen zum Schutz vor Wild in ausreichender Tiefe eingesetzt. 25 Friedwälder betreibt die Friedwald GmbH deutschlandweit, rund 8 000 Menschen wurden darin seit 2001 bestattet. Der Oranienbaumer wird der dritte Friedwald in Ostdeutschland. 25 "Ruheforste" bietet darüber hinaus eine nordrhein-westfälische Firma an. In einer aktuellen Emnid-Meinungsumfrage war die Waldbestattung bereits 54 Prozent der Teilnehmer bekannt.
Das Bestatterwesen stellt sich auf die Veränderungen ein. Starke Vorbehalte gebe es nur bei Trends wie der in Deutschland nicht zulässigen Diamant-Pressung aus der Asche von Verstorbenen, so Gernig. "Das sehen wir nicht als Beisetzung an." Abendländische Trauerrituale gingen dabei verloren, zudem fehle ein Ort, zu dem jeder Trauernde Zugang hat. Auf dessen Notwendigkeit verweisen auch die Kirchen, vor Jahren noch scharfe Kritiker der Friedwald-Idee. Mittlerweile gibt es in Bayern einen evangelischen Friedwald, vergibt die katholische Kirche Handreichungen, unter welchen Voraussetzungen Pfarrer auch Beisetzungen in Friedwäldern begleiten. Dort setzt man auf die Zusammenarbeit mit Kirchen. Geplant sei im Wald auch ein Andachtsort mit einem Holzkreuz, so Schultzendorff.