Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Klo-Putzen für 1,79 Euro pro Stunde
MAGDEBURG/MZ. - Seit gestern geht es in einemBerufungsverfahren vor dem Landgericht Magdeburgum die Frage, ob sich Arbeitgeber strafbarmachen, wenn sie keinen Mindestlohn zahlenund entsprechend geringere Beträge an dieSozialversicherungen abführen. Ein Sprechermaß dem Verfahren grundsätzliche Bedeutungzu. Bislang werde die Weigerung, allgemeinverbindliche Mindestlöhne zu zahlen, als Ordnungswidrigkeitgewertet. Wenn dies ein Straftatbestand sei,drohten Geld- oder sogar Haftstrafen.
Die rund 40 Frauen aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion putzten Toiletten und Duschen von Raststätten und Autohöfen in mehreren Bundesländern. In Zwölf-Stunden-Schichten waren sie in den Jahren 2002 bis 2007 im Einsatz, arbeiteten bis zu 14 Tage am Stück. Sie erhielten 60 bis 300 Euro pro Monat - das entspricht teilweise 1,79 Euro pro Stunde. Für diese Summe zahlte ihr 56-jähriger Arbeitgeber aus Magdeburg Sozialabgaben. Viel zu wenig, meinte der zuständige Rentenversicherungsträger und verwies auf den für Gebäudereiniger geltenden Mindestlohn von immerhin 7,68 Euro. Mehr als 100 000 Euro seien den Versicherungsträgern entgangen, so die Staatsanwaltschaft. Seit am Donnerstag wird der Fall in einem Berufungsverfahren vor dem Landgericht Magdeburg verhandelt.
Freisprüche kassiert
Der inzwischen insolvente Unternehmer ist bereits in zwei Verfahren - vom Amtsgericht und vom Landgericht Magdeburg - freigesprochen worden. Das Oberlandesgericht in Naumburg indes kassierte die Freisprüche und gab das Verfahren an das Landgericht zurück.
Den Naumburger Richtern fehlte eine ausreichende Begründung für den Freispruch. Zugleich vertraten sie die Ansicht, dass der 56-Jährige Sozialbeiträge auf den gesamten geschuldeten Lohn hätte abführen müssen - also der Höhe des allgemein verbindlichen Mindestlohns entsprechend. Die Magdeburger Richter müssen nach diesem Fingerzeig aus Naumburg nun entscheiden, ob das Zahlen von Löhnen unterhalb eines Mindestlohns und zu niedriger Sozialabgaben strafrechtlich relevant ist, so Christian Schröder. Bislang wurde das nach Angaben des Professors für Wirtschaftsstrafrecht an der Uni Halle zumeist als Ordnungswidrigkeit gewertet und mit Bußgeldern geahndet. Kommt es in Magdeburg zu einer Verurteilung, würde es als Straftat gelten. Ein solches Musterurteil hätte Signalwirkung: Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren wären möglich.
Nicht zuletzt deshalb wird der Prozess auch aus Frankfurt (Main) genau beobachtet. Jörg Herpich, Sprecher der Industriegewerkschaft Bau, hofft auf ein Musterurteil. Denn es gebe immer wieder solche Fälle von Lohndumping, so auch im Baugewerbe. Und: Ein entsprechendes Urteil könnte die von den Gewerkschaften befürworteten Mindestlöhne festigen.
Aussage verweigert
Der Angeklagte verweigerte am Donnerstag die Aussage. Sein Verteidiger Osmar Christmann forderte erneut einen Freispruch seines Mandanten. Der habe sich bei den Lohnzahlungen an das gehalten, was er mit seinen Arbeitnehmerinnen vertraglich vereinbart habe. Den Mindestlohn bezeichnete der Anwalt als maßlos. Nun sollen weitere Zeugen vernommen werden, es wurden Termine bis Mitte Juni festgelegt. Unter anderem könnten Mitarbeiter des Angeklagten und Rasthof-Pächter zu Wort kommen.