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Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Kampf um die Gunst der Juristen

Von Katrin Löwe 11.04.2012, 18:37

Stendal/MZ. - "Keine Kratzer, selten benutzt, aber gut eingespielt." Der Stendaler Domkantor Johannes Schymalla geriet ins Schwärmen, als er der Presse das neue Schmuckstück präsentierte: einen 1995 von Steinway Sons gebauten Flügel, der im Domstift ein 60 Jahre altes Instrument abgelöst hat. Möglich wurde der Kauf durch die Hilfe des Fördervereins vom Domchor. Der steuerte 14 000 Euro bei, aus Spenden - und aus Geld, das aus Strafverfahren stammt.

Wird ein Verfahren von der Staatsanwaltschaft oder später vom Gericht gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt, entscheiden Staatsanwälte oder Richter frei, wem die Summe zugute kommt: der Staatskasse oder gemeinnützigen Vereinen und Verbänden. So weit, so gut - der Domkantor freut sich über den Flügel. Einen Nachgeschmack bekam die Sache jetzt am Rande des Müllskandals im Jerichower Land. Im Umfeld des Prozesses um Landrat Lothar Finzelberg (parteilos) hatte die Stendaler Staatsanwaltschaft auch gegen eine Behördenmitarbeiterin ermittelt - und das Verfahren in ihrem Fall gegen Zahlung von 5 000 Euro eingestellt. Die Hälfte davon ging an den Domchor-Verein. Dessen Ansprechpartner: Thomas Kramer, der als Staatsanwalt auch im Finzelberg-Prozess eine Rolle spielt.

Widerspruch aus dem Ministerium

Schiebt also ein Staatsanwalt seinem eigenen Verein Geld aus Auflagen zu? Staatsanwaltschaft und Justizministerium widersprechen vehement: Kramer sei nicht zuständiger Sachbearbeiter des Verfahrens gegen die Behördenmitarbeiterin, habe so auch nicht die Entscheidung über das Geld gefällt. Aber eine Kollegin, mit der er eng zusammenarbeitet. Grund zum Handeln? Aus Sicht des Ministeriums keiner.

Explizit geregelt sind solche Fälle nicht. Ministeriumssprecherin Ute Albersmann nennt vielmehr ein Beispiel, bei dem eine Nähe zwischen Entscheider und Begünstigtem wahrscheinlich ist: Der Bund schreibt vor, dass Vereine der Opferhilfe oder Straffälligen- und Bewährungshilfe angemessen berücksichtigt werden sollen. "Gerade in Straffälligenvereinen engagieren sich aber fast nur Leute, die auch beruflich in der Justiz unterwegs sind", sagt Albersmann. Dass sich Justizbedienstete ehrenamtlich einsetzen, sei zudem "ausdrücklich erwünscht". Dann dürfe man aber nicht Vereine bestrafen, indem man sie wegen eines Generalverdachts der Bevorzugung aus der offiziellen Liste möglicher Bußgeld-Empfänger streiche.

Eine solche Liste wird zentral beim Oberlandesgericht in Naumburg geführt und alle zwei Jahre als Entscheidungshilfe an Richter und Staatsanwälte herausgegeben. Statt weniger Dutzend Anfang der 90er Jahre stehen heute 1  148 gemeinnützige Vereine auf ihr - vom "Weißen Ring" bis zum Schützenverein. Sie alle hoffen, ein Stück vom Kuchen zu bekommen - immerhin gut eine Million Euro haben Gerichte und Staatsanwaltschaften 2011 in Sachsen-Anhalt für den guten Zweck vergeben.

Bundesweit schätzen Experten die Summe auf rund 120 Millionen Euro jährlich. Und: Der Kampf um die Gunst von Richtern und Staatsanwälten ist aufwändiger denn je, der Wettbewerb hat zugenommen. Heute bieten bereits auf "Geldauflagen-Marketing" spezialisierte Agenturen ihre Dienste an.

Staatsanwälte und Richter sind so zur schwer umworbenen Berufsgruppe geworden. Bis zu 15 Briefe pro Woche landen auf ihren Tischen. Folge, so stellte selbst Mathias Kröselberg von der Berliner Agentur "Pro Bono" jüngst fest, sei eine "Übersättigung der Zielgruppe, die zunehmend verärgert reagiert". Eine Agentur aus Konstanz rät indes unumwunden, dass von Vorteil sei, wenn im Vereinsvorstand ein Jurist ist "und seine Kontakte unter Kollegen nutzen kann".

"Besonders korruptionsgefährdet"

Spätestens, seit die Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen 2008 mit dem Vorwurf in Bedrängnis geriet, bei Millionen-Bußgeldern aus Steuerstrafverfahren ihr nahe stehende Organisationen auffällig bevorzugt zu haben, steht die Debatte über die Vergabepraxis immer wieder einmal auf der Tagesordnung. Der niedersächsische Landesrechnungshof stufte Richter angesichts des professionellen Bußgeldmarketings sogar als "besonders korruptionsgefährdet" ein.

"Das ist ein weites Feld und zum Teil intransparent", sagt unterdessen Wolfgang Stückemann, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Deutschen Spendenrates. Er hat sich mit der Praxis in allen Bundesländern beschäftigt. Die beste Kontrolle überhaupt sei, sämtliche Zuweisungen öffentlich zu machen, sagt er. Nicht nur in Sachsen-Anhalt bleibt das bislang aus.

Eine Alternative: das Hamburger Modell. Dort gehen Geldauflagen zunächst in einen Fonds, über dessen Verteilung ein Gremium entscheidet. Ähnliches plante Berlin, derzeit gibt es neben dem Fonds aber weiter den ursprünglichen Weg. Und Sachsen-Anhalt? Das Justizministerium gibt zu bedenken, dass bei einer Sammelfonds-Lösung regionale, weniger bekannte Vereine hinten runter fallen könnten. Dass auch Geld in der Region bleibt, sei aber gewollt.

Bei Vereinen wie dem des Stendaler Domchors. Der, sagt das Ministerium, habe von 47 580 Euro, die die örtliche Staatsanwaltschaft 2011 den Vereinen zuwies, 3 450 Euro bekommen. Man gehe davon aus, dass Justizbedienstete mit den Geldauflagen "sorgsam umgehen", so Albersmann. Zudem müsse das Gericht einer Verfahrenseinstellung durch den Staatsanwalt zustimmen und umgedreht. Zum politischen Thema wird der Fall Stendal dennoch: Ein Linke-Abgeordneter hat eine kleine Anfrage gestellt, ob das Geld nicht zumindest - wie der Müllskandal - ins Jerichower Land gehört hätte. Weiteren Kritikern fehlt ein Bezug zum Delikt.

Verein fürchtet um Mittel

Wieder andere befürchten, dass Richter und Staatsanwälte in einer solchen Debatte künftig zur bürokratisch ohnehin einfachsten Lösung greifen: das Geld komplett der Staatskasse zu geben. "Das wäre die schlechteste Lösung", sagt Anwalt Stückemann. Und für Vereine wie den Landesverband der Straffälligen- und Bewährungshilfe eine Bankrotterklärung: "Ohne die Gelder könnten wir keine Vereinsarbeit machen, würden den Eigenanteil für geförderte Projekte nicht mehr aufbringen", so Geschäftsführerin Delia Göttke. 13  640 Euro hat der Landesverband im vergangenen Jahr aus Geldauflagen der Justiz erhalten. Auf Spenden kann gerade er nicht zählen - erwartungsgemäß spenden Menschen eher für Verbrechens-Opfer oder hungernde Kinder in Afrika als für die Betreuung von Straffälligen und deren Familien.