Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Digitalis kommt nur aus Calbe

Calbe/ddp. - Rund um Calbe wird ein Regenschirm seltener alsandernorts in Sachsen-Anhalt benötigt. Das Klima sei optimal für diebesonderen Pflanzen, sagt Hansjoachim Gerber, Vorstandsvorsitzenderder Agrargenossenschaft Calbe. Zwiebeln, in der Region auch Bollengenannt, profitierten von eher sanften Regengüssen und werden deshalbbesonders aromatisch, sagt Gerber. Majoran, Bohnenkraut und Thymianmögen ebenso in die wohldosierten Niederschläge und profitierenzusätzlich vom fruchtbaren Bördeboden. Und dann gibt es noch denWolligen Fingerhut. Seit Anfang der 70er Jahre wird Digitalis lanata,so die lateinische Bezeichnung, dort kultiviert. Auch seine Qualitätsetzt die richtigen Wachstumsbedingungen voraus.
Das Nischenprodukt behauptete sich auch nach der Wende. AlsRohstoff für die Pharmaindustrie ist die Pflanze unverzichtbar. Beider Behandlung von Erkrankungen am Herzen finden deren hochwirksamenund zugleich giftigen Wirkstoffe Verwendung. «Unser Klinkenputzen beider Industrie Anfang der 90er Jahre war richtig», sagt Gerber. Heutesei man in der Bundesrepublik Platzhirsch beim Fingerhutanbau. Keinanderer deutscher Anbauer widme sich der Spezialkultur.
In diesem Jahr allerdings fällt die Ernte auf den insgesamt 80Hektar eher unterdurchschnittlich aus. Durch die geringenNiederschläge im Frühjahr lägen die Erträge fast ein Drittel unterdem langjährigen Mittel, sagt Gerber. Etwa 170 Tonnen getrockneteBlätter werden zum Saisonende auf die Reise zu den Abnehmern gehenkönnen.
Zuvor ist noch sehr viel Handarbeit notwendig. Die unscheinbarenBlätter müsse man besonders schonend trocknen, erläutert AxelKarstedt, in der Genossenschaft zuständig für Heil- undGewürzpflanzen. In der großen Lagerhalle im benachbarten Dorf Üllnitzdirekt an der Autobahn A 14 sorgt ein Spezialfußboden für dierichtige Durchlüftung. Täglich wenden Frauen und Männer die riesigenMengen, damit der grünen Masse bei maximal 45 Grad Celsius dieFeuchtigkeit bis auf einen Wasseranteil von acht bis zehn Prozententzogen wird.
Allerdings sind rund um Calbe nirgends große Flächen mit demattraktiv blühenden Fingerhut zu sehen. Die zweijährigen Pflanzenwerden schon vor der ersten Blüte geerntet, um einen bestmöglichenWirkstoffgehalt zu erreichen.
Ein Zufall brachte Digitalis in die Kleinstadt bei Magdeburg.Nicht ganz freiwillig war der einstige Hochschullehrer Horst SchröderVorsitzender der LPG-Pflanzenproduktion geworden. Mit seinenFachkenntnissen kümmerte er sich erfolgreich um die vielenSonderkulturen rund um die Kleinstadt, züchtete außerdem dieFingerhut-Sorte Radilan, für die das Sortenpatent nach wie vor beiden Calbenser Landwirten liegt.
Vorstandsvorsitzender Hansjoachim Gerber kann mit der Entwicklungseines Betriebes zufrieden sein. Mit einer Anbaufläche von 3600Hektar und den vielen Spezialitäten lässt sich wirtschaftlicharbeiten. Mehr als 50 der einstigen LPG-Mitglieder blieben derGenossenschaft nach 1990 treu. Nur wenige sprangen tatsächlich ab.Auf rund 1000 Hektar weniger als zu DDR-Zeiten wachsen die vielenKulturen heran.
Das Wetter dieses Jahres ließ nicht alle Wünsche wahr werden. 70Prozent weniger Majoran wurden eingefahren, die Zuckerrübenprofitierten zwar vom sommerlichen Regen, jedoch liegt derZuckergehalt voraussichtlich bei 17 statt bei sonst üblichen 18Prozent. Dafür haben die Zwiebeln, die Calbenser gehören zu dengroßen deutschen Produzenten, 2007 richtig zugelegt, 14 000 Tonnensollen in den nächsten Monaten in den Kochtöpfen und Bratpfannenlanden.