Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt: Die Spur der braunen Gewalt
Quedlinburg/MZ. - Tonya Martensen (Name geändert) ist alarmiert. Mit unschöner Regelmäßigkeit werden die Quedlinburger Hotelchefin und ihre Gäste von nächtlichen Saufgelagen, Nazi-Parolen und den Angriffen Rechtsextremer auf Linke aufgeschreckt. Schauplatz ist zumeist der Marktplatz. "Mehrmals sind meine Mitarbeiter und ich schon dazwischen gegangen." Und die Polizei? "Wenn sie kommt, wird sie von den Neonazis meist mit lautem Gejohle begrüßt."
Was ist los in der idyllischen Fachwerkstadt, die vom Tourismus lebt? Die als Weltkulturerbe unter genauerer Beobachtung steht als andere Kommunen. Die einen Ruf zu verlieren hat. Deren Bürgermeister jetzt häufig böse E-Mails bekommt. Eberhard Brecht (SPD) sitzt in seinem Büro und knetet die Hände zusammen. "Das geht bis an die Grenze der Unverschämtheit", sagt er. Er, der Bürgermeister, heißt es da zum Beispiel, solle sich schämen. Oder: Die Stadt kehre das Problem mit den Rechten unter den Teppich.
Tatsächlich mag Brecht nicht von einer Hochburg der Neonazis im Harz sprechen. Aber gegen den Vorwurf, die Stadt verschließe die Augen, wehrt er sich. Und erhält Unterstützung von einem, der die Arbeit im Rathaus wie auch die der Polizei sonst eher kritisch beäugt. "Herr Brecht räumt immerhin ein, dass es ein Problem gibt", sagt Tilo Giesbers von der örtlichen Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus.
Das war es dann aber schon fast mit den Gemeinsamkeiten. Klar ist, dass es einen harten Kern von Quedlinburger Neonazis gibt, die regelmäßig Andersdenkende angreifen, meist linksalternative Jugendliche. Giesbers spricht von zehn Leuten, Stadt und Polizei rechnen 20 bis 25 Szene-Angehörige dazu - die meisten zwischen 20 und 25 Jahren, einige schon strafrechtlich aufgefallen, etwa wegen Ladendiebstahls.
"Was sie verbindet, ist die rechte Gesinnung", sagt die Halberstädter Polizeipräsidentin Christiane Marschalk. Feste Strukturen gebe es aber nicht. Die Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus und die Mobile Opferberatung des Vereins "Miteinander" halten das für eine Fehleinschätzung. Es gebe Anzeichen dafür, "dass es sich bei der Gruppe um eine organisierte Kameradschaft handelt", sagt Zissi Sauermann von der Opferberatung. Belege dafür seien ein geschlossenes Forum im Internet sowie der regelmäßige Auftritt der Gruppe bei Demonstrationen.
Erkenntnisse des Verfassungsschutzes bestätigen diese These nicht. "Es sind gegenwärtig auch keine Anzeichen für ideologisch-politische Aktivitäten der losen Quedlinburger Szene erkennbar", sagt Vizechef Jürgen Schmökel. Vielmehr seien Leute nachgerückt, die bewusst die gewalttätige Auseinandersetzung suchten. Das erkläre, warum es in den zurückliegenden Wochen besonders viele Angriffe gab. Sauermann sieht darin den Versuch der Neonazis, "die Straße zu erobern und nicht-rechte Jugendliche zu verdrängen". Wie die 18-jährige Punkerin, die bereits mehrfach Opfer rechter Gewalt geworden ist. "Mindestens zehn Mal", sagt Tilo Giesbers von der Netzwerkstelle. Bei der Polizei sind fünf Fälle aktenkundig, erst in zweien gibt es Verdächtige. "Vier mal war die junge Frau allein unterwegs", sagt Polizeisprecher Steffen Willatowski, "es gibt außer ihr keine Zeugen."
Die Polizei hat jetzt den Druck erhöht und mehr Beamte nach Quedlinburg geschickt. Marschalk spricht von "Gefährderansprachen", also Besuchen in der rechten Szene. "Wir zeigen, dass wir euch kennen - das ist das Signal." Gerichtsverfahren werden beschleunigt, die Präventionsarbeit in Schulen verstärkt. "Wir müssen an die Jungen ran", sagt Marschalk. Und die Älteren, der harte Kern der über 20-Jährigen? "Mit Jugendarbeit kommen wir da nicht weiter", sagt Quedlinburgs Stadtjugendpfleger Klaus Buchholz. Im Januar will die Stadt eine Institution aus Wendezeiten wieder beleben, um nach Antworten zu suchen - den Runden Tisch. Und bereits am Dienstag treffen sich Bürgermeister aus dem Kreis Quedlinburg mit Landrat Wolfram Kullik (SPD), um über Maßnahmen gegen Rechtsextremismus zu beraten.
Bleiben die drei Videokameras, die seit Anfang Dezember die häufigsten Schauplätze von Angriffen in der Innenstadt überwachen. In der Nacht nach ihrer Inbetriebnahme gab es erneut einen Überfall.