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Corona Warum der Saalekreis bei den Impfungen Schlusslicht ist

Die Region hat die niedrigste Impfquote im Land. Weniger als zwei Drittel der Einwohner haben sich piksen lassen. Eine Suche nach den Ursachen.

Von Robert Briest 20.01.2022, 08:00
Beim Start der Impfkampagne war der Saalekreis gleich auf. Mittlerweile hat er viel Biden verloren.
Beim Start der Impfkampagne war der Saalekreis gleich auf. Mittlerweile hat er viel Biden verloren. Robert Briest

Merseburg/Barnstädt/MZ - Mehr als jeder achte Einwohner im Saalekreis hat sich seit Pandemiebeginn nachweislich mit dem Coronavirus infiziert. Damit rangiert die Region im Vergleich der Kreise und kreisfreien Städte in Sachsen-Anhalt in den Top-Drei. Im Spitzentrio findet sich der Kreis auch bei der relativen Todeszahl von 254 Verstorbenen je 100.000 Einwohner.

In einer anderen Statistik ist der Saalekreis dagegen Schlusslicht: bei der Impfquote. Zwischen Wettin und Bad Dürrenberg hatten sich laut Zählung des Landes bis zur vergangenen Woche lediglich 62 Prozent der Bevölkerung bereits die Zweitimpfung abgeholt. Landesweit waren es 69 Prozent, der Spitzenreiter Dessau-Roßlau kam sogar auf 79,4 Prozent. Auch bei der Boosterimpfung ist der Saalekreis mit 29,5 Prozent Vorletzter.

Doch woran liegt das? Warum lassen sich im Kreis weniger Menschen gegen das Virus schützen als andernorts? Eine eindeutige Erklärung dafür hat kein Verantwortlicher, weder Amtsärztin noch die Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung oder die für das Impfen zuständige Dezernentin. Das Sozialministerium scheut sogar jeglichen Antwortversuch.

Mangelt es am Angebot?

Bis Mitte vergangenen Jahres war der Impfstoff knapp, die Nachfrage nach Terminen überstieg das Angebot. Aber das war kein lokales Phänomen, die Lieferengpässe gab es bundesweit, ebenso wie Kapazitätsengpässe zu Beginn der Boosterkampagne Mitte November bis Anfang Dezember. Doch die waren temporär. Davor und mittlerweile wieder, gab und gibt es die Spritze bei den Impfangeboten des Kreises ohne Termin. Aktuell beobachtet Dezernentin Christina Kleinert wieder eine sinkende Nachfrage. Kapazitäten bleiben also ungenutzt.

Aus dem Nord- und dem Westkreis gab es im Spätherbst Kritik an der Verteilung der stationären Impfstellen, weil die mit Günthersdorf und Merseburg beide im Süden liegen, die Wege etwa aus dem Salzatal dorthin weit sind. Kleinert hält das Angebot des Kreises dennoch für ausreichend. Sie verweist auf die Termine der mobilen Impfteams in den Kommunen: „Wir haben viel unternommen, sind zum Impfen auf Feste und in Einkaufszentren gefahren, aber es wird eben nicht so angenommen.“

Der Kreis hatte zuletzt ohnehin immer wieder betont, dass er nur ein Zusatzangebot leiste. Hauptverantwortlich für die Impfkampagne seien die niedergelassenen Ärzte. Kleinert berichtet, dass ein Teil sich von diesen nicht an der Impfkampagne beteiligt, wegen des großen Aufwandes. Der dürfte landes- und bundesweit ähnlich hoch sein, aber die Dezernentin sagt: „Die Statistiken zeigen, dass die Beteiligung der Ärzte hier nicht so groß ist, wie in anderen Bereichen.“

Welche Erfahrung machen die Hausärzte?

Dagmar Duscha ist Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) im Bereich Querfurt und hat derzeit mit der Impfkampagne noch alle Hände voll zu tun. An einem Impfvormittag setze sie 50 bis 60 Spritzen, berichtet die Barnstädterin. Meist seien es mittlerweile Booster-, teilweise aber auch noch Erst- oder Zweitimpfungen. Ein Teil ihrer Patienten sei noch ungeimpft: „Wenn wir das sehen, sprechen wir sie an.“ Allerdings hat Duscha die Erfahrung gemacht, dass Argumente dabei oft nicht helfen. Viele Patienten seien zwar keine militanten Impfgegner, aber in ihrer Ablehnung gefestigt. „Einige sagen, sie haben Angst vor der Impfung, manche sorgen sich, weil die Entwicklung der Impfstoffe so schnell ging.“

Fehlt Impfstoff?

Offenbar zumindest der gewünschte. Dezernentin Kleinert berichtet von Terminabsagen, weil Impfwillige ihr Wunschvakzin von Biontech nicht bekommen. In den Impfstellen kommt derzeit hauptsächlich das von Experten als gleichwertig eingestufte Präparat von Moderna zum Einsatz. Biontech ist derzeit knapp, wird deshalb hauptsächlich für Unter-30-Jährige und Schwangere eingesetzt. In der Hoffnung, es bei ihrem Hausarzt dennoch zu bekommen, würden einige nun ihrer Termine absagen und deutlich längere Wartezeiten in Kauf nehmen, sagt Kleinert. Allerdings besteht der Lieferengpass für Biontech generell, auch Meldungen über größere Skepsis gegenüber Moderna gibt es aus dem gesamten Bundesgebiet. Eine Erklärung für die rote Impflaterne des Saalekreises ist dieser Punkt wohl nicht.

Liegt die Antwort in den Wahlergebnissen?

Im Herbst zeigte eine Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena einen deutlichen Zusammenhang zwischen den Ergebnissen der AfD bei der Bundestagswahl 2017 und den Infektionszahlen der ersten und zweiten Welle. Je höher das eine, desto höher tendenziell das andere. Der Saalekreis ist im Landesvergleich bekanntermaßen eine AfD-Hochburg. Die Partei holte hier zuletzt regelmäßig gut ein Viertel der Wählerstimmen. Ausdruck eines tiefsitzenden Misstrauens gegenüber dem Staat und traditionellen Medien. Das zeigt sich nun auch in der Pandemie – besonders im Umfeld der teilweise durch die AfD organisierten Corona-Proteste, auf denen das Virus verharmlost, staatliche Institutionen verunglimpft und die Impfstoffe teils als Gifte dargestellt werden.

Erfasst die Statistik alle Fälle?

Möglicherweise nicht. Denn mitten im Saalekreis liegt die Stadt Halle als Insel und ist wichtiges Oberzentrum vor allem für die Versorgung des nördlichen Kreises. Es könnte daher sein, dass viele Saalekreisler sich dort auch ihre Impfungen geholt haben. Sowohl die Stadt Halle, als auch Kleinert bestätigen aber, dass bei Impfungen der Wohnort nicht erfasst wird. Sollten sich viele Einwohner aus dem Saalekreis ihren Piks in Halle geholt haben, tauchen sie dort in der Impfquote auf und fehlen in der des Saalekreises. Mithin könnte die reale Impfquote also höher liegen.

Was will der Kreis unternehmen, um die Impfquote zu steigern?

Der Kreis setzt auf seine bisherigen Angebote und Appelle. „Die Impfung ist der beste Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe“, betonten Kleinert und Muchow. Die Amtsärztin hofft aber auch auf das Vakzin von Novavax, das laut Sozialministerium Ende Januar in Sachsen-Anhalt ankommt. Der funktioniert eher wie ein klassischer Grippeimpfstoff: „Da kann man vielleicht noch mal zehn bis 15 Prozent erreichen, die sich mit den mRNA-Impfstoffen nicht impfen lassen wollen.“ Hausärztin Dagmar Duscha klingt zurückhaltender. Die Nachfrage nach Novavax sei noch nicht groß: „Es sind Einzelfälle, die sagen, sie warten auf diesen Impfstoff, berichtet die KV-Sprecherin aus ihrem Praxisalltag.