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Wissenschaft im Saalekreis Von Leuna aus will Sylvia Schattauer den grünen Wasserstoff nach vorn bringen

Die Wissenschaftlerin leitet ein frisch fusioniertes Fraunhofer-Institut. Es begleitet die technische Entwicklung rund um Herstellung und Einsatz des grünen Gases.

Von Robert Briest 23.01.2022, 15:00
Sylvia Schattauer sitzt als Leiterin der Arbeitsgruppe Forschung auch im nationalen Wasserstoffrat.
Sylvia Schattauer sitzt als Leiterin der Arbeitsgruppe Forschung auch im nationalen Wasserstoffrat. Foto: Katrin Sieler

Leuna/MZ - Lautlos lässt Sylvia Schattauer den Dienstwagen in die Parklücke am Leunaer Haupttorplatz rollen. Kein Motorengeräusch, denn unter der Karosserie arbeitet kein klassischer Verbrennungsmotor, aber auch kein elektrischer. Das asiatische Fabrikat wird mit Wasserstoff betrieben. Natürlich Wasserstoff, denn das Element mit der simpelsten Atomstruktur, ist Dreh- und Angelpunkt der Arbeit der Wissenschaftlerin.

Schattauer leitet das Fraunhofer-Leistungszentrum für Chemie- und Biosystemtechnik, sitzt im Vorstand des Hypos-Netzwerks, einem Zusammenschluss von Partnern aus Industrie und Wissenschaft, der hinter dem Pilotprojekt zur Wasserstoffspeicherung in Bad Lauchstädt steht. Und sie leitet die Arbeitsgruppe Forschung im Nationalen Wasserstoffrat.

Ein Institut für Windkraft und Wasserstoff

Seit Jahresbeginn hat die studierte Elektrotechnikerin nun eine weitere Aufgabe, bei der es natürlich um Wasserstoff geht. Dieser Forschungsbereich wurde aus dem Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) in Halle herausgelöst und mit dem Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) in Bremerhaven fusioniert. Schattauer ist eine von zwei Direktoren und erklärt: „Durch die Fusion sollen Windkraft und Wasserstoff miteinander kombiniert werden.“

Gemeint ist vor allem grüner, sprich mit Hilfe erneuerbarer Energien aus Wasser gewonnener Wasserstoff. Der ist aktuell noch deutlich teurer als der konventionelle, graue, aus fossilen Rohstoffen. Schattauer sieht die Rolle ihres neuen Instituts vor allem darin, den „Markthochlauf“ des grünen Wasserstoffs zu begleiten. Damit der gelingt, müsse es einen Dreiklang aus Forschung, politischen Rahmenbedingungen und der Industrie geben, die Prozesse umsetzen muss.

Nähe zur Industrie

Das Fraunhofer fungiert dabei als Relaisstation zwischen Forschung und Industrie. Durch die Fusion sind nun alle drei Wasserstofflabore der Gesellschaft, offiziell Hydrogen Labs genannt, in Bremerhaven, Görlitz und eben Leuna unter einem Dach. Das Hiesige ist bereits am weitesten gediehen. 2016 erfolgte der Startschuss, 2020 gingen die Außenanlagen am Chemiestandort in Betrieb. Im nächsten Monat soll ein Technikum folgen und möglichst noch im Laufe des Jahres Flächen, auf denen sich die Prozessketten für die Produktion von grünem Methanol testen lassen.

„Die Besonderheit an Leuna ist, dass wir uns in einem Chemiepark befinden und an die Wasserstoffpipeline angeschlossen sind“, erklärt Schattauer. „Das hat den Vorteil, dass wir Wasserstoffsysteme im Megawattbereich testen können und uns um den Abtransport des Gases keine Gedanken machen müssen.“

Schwerpunkt Elektrolyseure

Das Hydrogen Lab dient vor allem als neutrale Testplattform für Technik rund um die grüne Wasserstoffproduktion. Dort sollen auch kleine- und mittelständische Unternehmen, die sich keine größeren Forschungsabteilungen leisten und vielleicht gar nur einzelne Komponenten beisteuern, ihre Erzeugnisse im industriellen Maßstab auf Herz und Nieren testen können – begleitet von der Expertise der Fraunhofer-Forscher. Selbst entwickeln würden diese die Systeme nicht, berichtet die Institutschefin, aber: „Wir können Verbesserungsvorschläge etwa zu Effizienz, Lebensdauer oder Herstellungskosten machen. Wir können zum Beispiel in beschleunigten Alterungsprozessen Probleme identifizieren, die die Hersteller dann vor der Serienproduktion beheben können.“

Ein wesentliches Feld sind dabei die Elektrolyseure, also jene Anlagen, die Wasser in seine Bestandteile spalten. Im industriellen Maßstab sind die heute häufig noch Einzelanfertigung und damit teuer. Damit der grüne Wasserstoff, wie politisch gewollt, den grauen irgendwann ablösen kann, brauchte es also günstigere Elektrolyseure aus Serienproduktion. Schattauer rechnet damit, dass es die erst ab 2026 geben wird, auch wenn mittlerweile einige Firmen mit Hochdruck an der Thematik arbeiteten. Doch zunächst müssten die Produktionskapazitäten geschaffen werden. Entscheidend sei auch die Frage, wie sich der Herstellungspreis senken lässt, ohne die Qualität zu gefährden. Dabei kommen Testmöglichkeiten und Expertise des Fraunhofer-Instituts ins Spiel: „Wir gucken, bei welchen Teilen gespart werden kann und wo nicht, weil sie sicherheitsrelevant sind.“

Das ist nur ein Aspekt in der langen Verwertungskette rund um den Wasserstoff, den das neu fusionierte Institut begleiten soll. In Bremerhaven liegt der Fokus eher auf der Wasserstoffproduktion aus Windenergie: Welchen Einfluss hat etwa extremes Wetter, wenn Elektrolyseure auf Offshoreanlagen mitten in der Nordsee stehen?

Energieträger und Grundstoff

Ein weiterer Schwerpunkt ist zudem der Einsatz des gewonnenen Wasserstoffs. Da gibt es zwei Hauptwege. Als Energieträger etwa zum Heizen, für Mobilität oder Rückverstromung. In Leuna liegt das Augenmerk aber vor allem auf dem stofflichen Einsatz. Schließlich wird das Gas für viele Prozesse am Standort dringend benötigt, ebenso wie Kohlenstoff. In der chemischen Industrie gehe es deshalb auch nicht um eine Decarbonisierung, sondern um eine Defossilisierung, sagt Schattauer. Dafür müsse aber auch beim Kohlenstoff die Abhängigkeit vom Erdöl enden.

Neben dem noch laufenden Aufbau des Hydrogen Lab plant das Fraunhofer IWES derweil am Standort Leuna noch ein zweites Bauvorhaben. Bisher leitet Schattauer die Geschäfte aus gemieteten Büroräumen im Hauptgebäude am Haupttorplatz. Künftig soll jedoch ein eigener Neubau gegenüber des Kulturhauses entstehen. Nicht nur mit Büroflächen, wie die Leiterin sagt. Auch dort solle Platz für Labore und ein Technikum entstehen.