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Unterrichtsbesuch bei Referendarin Unterrichtsbesuch bei Referendarin: So meistert eine 24-Jährige den Stress im Traumjob

Von Jessica Hanack 28.03.2018, 08:00
Sophie Schleif ist seit April 2017 Referendarin an der Grundschule Tollwitz, wo sie unter anderem in der dritten Klasse Mathe unterrichtet. Lehrerin ist ihr Traumjob - auch wenn der Stress im Referendariat groß ist.
Sophie Schleif ist seit April 2017 Referendarin an der Grundschule Tollwitz, wo sie unter anderem in der dritten Klasse Mathe unterrichtet. Lehrerin ist ihr Traumjob - auch wenn der Stress im Referendariat groß ist. Peter Wölk

Tollwitz - Gut 20 Schüler haben sich vor dem Tor versammelt. Die Erst- und Zweitklässler reden laut durcheinander, hüpfen und treten auf der Stelle, drehen sich immer wieder suchend um. Endlich, da kommt sie! „Frau Schleif!“, rufen die Kinder. Ein paar rennen ihrer Lehrerin entgegen, ein kleiner Junge umarmt sie stürmisch. Sophie Schleif - 24, dunkelblonde, schulterlange Haare, eingepackt in Wintermantel und Schal - lacht. Es sind Momente wie diese, in denen sie sich sicher ist. Sicher, dass sie genau den Beruf gefunden hat, den sie machen möchte. „Die Kinder geben dir so viel zurück, wenn sie dich anlächeln oder umarmen oder nach dem Unterricht sagen: ,Das war super.‘“, schwärmt Schleif. Die Kinder wiegen den Stress und die durchgearbeiteten Abende auf. Und die Tränen, die sie während ihres Referendariats vergossen hat.

Referendariat: Seit diesem Schuljahr gelten neue Regeln

Schleif ist eine von 830 Lehranfängern, die in diesem Jahr in Sachsen-Anhalt ausgebildet werden sollen. Sie hat im April 2017 an der Grundschule Tollwitz in Bad Dürrenberg (Saalekreis) angefangen und gehört damit zu den letzten Referendaren, die erst nach vier Monaten alleine vor einer Klasse stehen mussten. Seit diesem Schuljahr müssen Referendare hingegen nach einem Monat Stunden ohne die Begleitung von erfahrenen Kollegen halten. Das Bildungsministerium meint, das sei den Studienabsolventen zuzutrauen. Grundschulverband und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft kritisieren dagegen, der Druck sei zu hoch.

Grund genug einmal nachzuschauen: Wie sieht die Praxis einer Referendarin aus?

Während des Referendariats sollen die künftigen Lehrer praktisch auf den Job vorbereitet werden. Es wird offiziell Vorbereitungsdienst genannt und setzt den Uni-Abschluss in einem Lehramtsstudium voraus. Der Vorbereitungsdienst dauert 16 Monate. Wöchentlich sollen die Referendare dabei zwölf Stunden Ausbildungsunterricht erteilen, darunter fallen eigenverantwortliche Stunden, Mentoren gestützte Stunden sowie Hospitationen im Unterricht erfahrener Lehrer. Zusätzlich absolvieren die Referendare staatliche Seminare, bei denen sie insbesondere in der Planung und Umsetzung von Unterrichtsstunden geschult werden sollen.

Die Zahl der Referendare ist in den vergangenen Jahren erhöht worden. Laut Bildungsministerium sollten 2017 in Sachsen-Anhalt 780 Referendare ausgebildet werden, in diesem Jahr sind es bereits 830. Im nächsten Jahr will das Bildungsministerium die Zahl erneut erhöhen, auf 940. Die Finanzierung soll in den kommenden Haushaltsberatungen im Landtag besprochen werden. (mz)

Freitag, 8.15 Uhr: Frühstückspause in der Grundschule Tollwitz. Aus dem Klassenzimmer der 1b ist Musik zu hören, eine CD mit Rocksongs läuft. Die Schüler wuseln mit ihren Brotdosen in der Hand durch den Raum. „Zwei Minuten noch, dann kommt das Frühstück weg“, ruft Schleif über das Stimmengewirr hinweg. Vor sich auf dem Lehrertisch hat sie Buch und Hefte für den anstehenden Matheunterricht ausgebreitet und auf die Tafel den Fahrplan für die Stunde geschrieben. Etwa 20 Minuten vor Unterrichtsbeginn kommt sie morgens, um sich vorzubereiten. Jetzt ist sie bereit.

Grundschule in Tollwitz: Kleines Kollegium, wenige Schüler, alles ist familiär

Die gebürtige Magdeburgerin hat an der Universität in Leipzig Grundschullehramt studiert. Als sie sich in Sachsen-Anhalt für ihr Referendariat beworben hat, hat sie als Wunsch Schulen im Saalekreis und in Halle angegeben. Am Ende kam sie an die Grundschule in Tollwitz, die sie selbst „Luxus“ nennt: Kleines Kollegium, wenige Schüler, alles ist familiär. Neben Schleif unterrichten fünf Lehrer an der Schule, es gibt nur fünf Klassen mit durchschnittlich 20 Schülern. Und trotzdem zeigt sich, ganz ohne Strenge und Autorität funktioniert es im Unterricht nicht. Gerade bei Sechs- und Siebenjährigen, für die längeres Zuhören und Stillsitzen noch ungewohnt sind. „Überlegt mal, das weiß nicht nur einer“, sagt Schleif auffordernd zu den Kindern, als die eine Aufgabe erklären sollen und sich nur eines meldet. „Setz dich ordentlich hin“, ermahnt sie eine Schülerin, die mit ihrem Stuhl kippelt. Schleif spricht betont, langsam, bestimmt. Das Mädchen gehorcht.

„Wenn man so jung ist, nehmen einen nicht alle Schüler gleich ernst“, sagt Schleif. Sie ist froh, dass sie nicht nach vier Wochen alleine unterrichten musste. Nicht, weil sie es sich nicht zugetraut hätte. Sondern mehr, weil es eine gewisse Anlaufzeit brauche, auch damit sich die Kinder auf eine neue Bezugsperson einstellen können. Hier hilft ein Mentor, der den Unterricht beobachtet und Tipps gibt. „Nach vier Wochen hast du dich im besten Fall gerade eingelebt“, sagt Schleif. Die Kinder kennenlernen, herausfinden, wo die Materialien sind oder welche Rituale es in welcher Klasse gibt - das dauere. Bis heute sitzt ihre Mentorin in mehreren Stunden mit im Unterricht.

Referendarin hat inzwischen alle Sportstunden übernommen

9:15 Uhr: Schleif führt die Erst- und Zweitklässler zum Reisebus. Weil es in Tollwitz keine Sporthalle gibt, werden die Kinder bis zur gut drei Kilometer entfernten Schule in Bad Dürrenberg gefahren. Die Referendarin hat inzwischen alle Sportstunden übernommen. Sie trägt die Verantwortung. Sie passt auf, dass die Schüler ihre Mützen aufsetzen, ordentlich in Zweier-Reihen über die Straße gehen und im Bus sitzen bleiben. Der Sport ist das, was Schleif zum Lehramt geführt hat. Für die Leichtathletin stand fest, dass sie auch beruflich etwas in die Richtung machen möchte. Sie fing an, eine Jugendgruppe zu leiten und schrieb sich schließlich für Grundschullehramt ein. „Grundschüler sind motivierter mitzumachen, gerade im Sportunterricht“, meint sie.

„Frau Schleif, ich kriege meine Jacke nicht zu“

9.30 Uhr: Schleif hat Bluse und Jeans gegen Sporthose und Trainingsjacke getauscht. Während sie Seile und Reifen in die Halle trägt, kommen im Sekundentakt Kinder angelaufen. „Frau Schleif, ich kriege meine Jacke nicht zu.“ „Frau Schleif, ich hab mein Trinken vergessen.“ „Frau Schleif, mein Zahn wackelt.“ Sportunterricht mit mehr als 20 Schülern verlangt Geduld und Gelassenheit und mit den Augen überall zu sein. Es geht nicht nur darum, mit den Schülern die Sprunghocke zu üben. Schleif muss weinende Kinder trösten, bockige ermutigen, übereifrige bremsen. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich bringe ihnen nicht nur etwas bei, sondern muss sie auch erziehen.“

„Meistens sitze ich bis 18 Uhr, manchmal bis 22 Uhr“

11.30 Uhr: Freistunde. Schleif hat das Lehrerzimmer für sich. Sie trinkt einen Tee, isst etwas und kopiert ein Arbeitsblatt. Das hat sie im Vorfeld zu Hause angefertigt. Es ist die „Arbeit nach der Arbeit“, wie sie es nennt, die Arbeit, die keiner sieht. „Meistens sitze ich bis 18 Uhr, manchmal bis 22 Uhr“, sagt Schleif. Inzwischen leitet sie zwölf Stunden pro Woche, dazu eine Arbeitsgemeinschaft und zwei Betreuungsstunden. Zu Hause überlegt sie sich Konzepte für den Unterricht, entwickelt und kontrolliert Tests und Klassenarbeiten. An einem Tag in der Woche hat sie selbst Seminare, für die Vorträge oder andere Hausaufgaben anfallen. Und dann sind da noch die Unterrichtsbesuche, bei denen Seminarleiter ihre Stunden beobachten, und für die sie 20- bis 40-seitige Entwürfe vorbereiten muss. Die Belastung zerrt an Nerven und Gesundheit. „Am Anfang war ich mental völlig ausgelaugt, weil ich mich so unter Druck gesetzt habe“, erzählt Schleif. Zeit für sich selbst sei kaum geblieben.

Im Gespräch ist Schleifs Ehrgeiz zu spüren

Die Erwartungen von außen, aber auch die eigenen Ansprüche sind hoch. Im Gespräch ist Schleifs Ehrgeiz zu spüren. Man glaubt ihrer Mentorin, die sagt, dass Schleif jeden Hinweis ernst nehme und umsetze. Und man glaubt der Referendarin selbst, wenn sie erzählt, wie sehr sie sich die Beurteilungen nach Unterrichtsbesuchen zu Herzen nimmt. „Wenn dir jemand sagt, du bist nur ein befriedigender Lehrer, macht dir das schon zu schaffen“, sagt Schleif.

12.25 Uhr: Die letzte Stunde vor dem Wochenende beginnt. Noch einmal Mathe, jetzt in der dritten Klasse. Erster Fahrplan-Punkt: Hausaufgabenkontrolle. „Wer hat sie denn nicht?“, fragt Schleif, das Klassenbuch vor sich auf dem Tisch. Zwei Hände gehen zaghaft nach oben. Wer seine Aufgaben fünfmal hintereinander erledigt hat, kann sich am Lehrertisch einen Gutschein für einmal Hausaufgaben-frei abholen. „Darf ich den mit nach Hause nehmen?“, fragt eine Schülerin stolz. „Klar“, antwortet Schleif.

Abschlussprüfungen stehen an

Für die Referendarin beginnt im April die Prüfungsphase, im Juli endet ihr Referendariat. Im Bericht einer Expertenkommission heißt es, dass im Jahr 2030 von den jetzigen Lehrern nur noch jeder Dritte im Amt sein wird. Jährlich müssten in Sachsen-Anhalt 733 Lehrer eingestellt werden, um die Abgänge zu ersetzen, davon 160 an Grundschulen. Gute Zeiten also für alle Referendare. Oder? „Wenn man fertig wird und schnell angestellt werden will, ist es schwierig“, sagt Schleif. Eine Bekannte, die im März ihr Referendariat beendet hat, wechsle nach Thüringen, weil sie in Sachsen-Anhalt im direkten Anschluss keinen Job bekommen hätte. Schleif will im April beginnen, sich für Stellen zu bewerben. Gerne würde sie in Tollwitz bleiben.

13.30 Uhr: Der Schultag ist vorbei. Die Leipzigerin greift Rucksack und Tasche und verlässt das Lehrerzimmer. „Erholsames Wochenende“, ruft eine Kollegin. Ganz soweit ist es noch nicht. Schleif will noch ein paar Dinge vorbereiten. Auf dem Weg zum Eingang kommt sie an Eltern und Schülern vorbei, die sich von ihr verabschieden. Ein Mädchen stoppt sie und streckt Schleif ihren pinken Handschuh entgegen. „Hast du den zweiten gesehen?“ Schleif schüttelt den Kopf und verspricht, die Augen offen zu halten. Dann wünscht sie dem Mädchen viel Spaß am Wochenende, geht weiter - und lächelt. (mz)