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"Situation ist besorgniserregend" "Situation ist besorgniserregend": Wehrleiterin beklagt zunehmende Probleme im Ehrenamt

Von Melain van Alst 27.05.2020, 05:00
Feuerwehrleute stehen immer bereit. Oftmals müssen sie bei ihrer Arbeit mit uneinsichtigen Menschen und fehlendem Personal umgehen.
Feuerwehrleute stehen immer bereit. Oftmals müssen sie bei ihrer Arbeit mit uneinsichtigen Menschen und fehlendem Personal umgehen. dpa

Langeneichstädt - „Es reicht jetzt einfach“, sagt Peggy Nöckel mit ruhiger Stimme. Lange hat sie überlegt, ob sie es wagen soll und hat sich letztlich dafür entschieden. In einem offenen Brief hat sich die Ortswehrleiterin der Freiwilligen Feuerwehr Langeneichstädt an die Öffentlichkeit, vor allem aber an die Politik und das Land gewandt.

Fehlender Nachwuchs, fehlende Unterstützung und fehlender Dank erschweren die Arbeit. Auf mehreren Seiten beschreibt sie Probleme und Hürden, die mit dem Ehrenamt der freiwilligen Feuerwehren einhergehen und fragt sich, warum konstruktive Vorschläge keinen Niederschlag im Land Sachsen-Anhalt finden.

„Die aktuelle Situation in den Freiwilligen Feuerwehren des Landes ist besorgniserregend“

„Wir sind da, dafür kämpfe ich“, sagt Peggy Nöckel mit Blick auf sich sowie ihre Kameraden. Wenn die Freiwilligen irgendwann nicht mehr da sind, dann bliebe nur noch die Möglichkeit, jemanden aus den Ortschaften zu verpflichten. In anderen Bundesländern wird dies aus Mangel an Ehrenamtlichen für die Feuerwehr schon so gemacht. Das, so Nöckel, solle jedoch nicht das Ziel sein. Wohin die Reise für das Ehrenamt jedoch geht, weiß auch sie nicht. „Es wird immer schwerer die Leute zu motivieren“, sagt sie und begründet dies.

„Die aktuelle Situation in den Freiwilligen Feuerwehren des Landes ist besorgniserregend“, schreibt die Feuerwehrfrau in einem der ersten Sätze des Briefes. Denn wo früher Brände und Hilfeleistungen im Vordergrund standen, wird heute ein „Allroundtalent“ verlangt. Eines, das entsprechend ausgebildet ist. Doch sowohl bei den Ausbildungen als auch bei der Ausrüstung immer mithalten zu können, sei unrealistisch. „Und trotzdem wird es den Feuerwehrfrauen und -männern des Landes abverlangt.“

Strukturelle Probleme, schwindende Zahl an Leuten und fehlende Führungskräfte

Wenn Nöckel auf ihre eigene Arbeit als Ortswehrleiterin schaut, dann steckt viel organisatorische Arbeit dahinter. „Der Verwaltungsaufwand reicht von Statistiken über Personalkonzeptionen bis hin zur Mitgliedergewinnung.“ Zehn bis 20 Stunden investiert sie pro Woche in ihr Ehrenamt, die Einsätze sind nicht eingerechnet. Für sie ist es daher kein Wunder, dass sich viele nicht mehr dieser Herausforderung stellen wollen.

Doch es sind nicht nur die fehlenden Führungskräfte, die ihr Sorgen bereiten, sondern die schwindende Zahl der Feuerwehrleute sowie strukturelle Probleme. „Die Ignoranz nimmt zu“, resümiert sie. Kaum jemand wolle sich noch in der Feuerwehr engagieren. Quereinsteiger gebe es so gut wie gar keine, lediglich über Kinder- und Jugendfeuerwehren könne man Nachwuchs gewinnen.

Laut Wehrleiterin spitzt sich Ausbildungssituation dramatisch zu

Nachwuchs, der dank der Laufbahnverordnung des Landes bis zu sechs Jahre im aktiven Dienst Erfahrung sammeln muss, bevor er Verantwortung übernehmen darf. Für viele ist das zu lang, sagt Nöckel. Ihr fehle die Relation bei dem Wort „Erfahrung“. In sechs Jahren hat eine Wehr 100 Einsätze, eine andere womöglich nur acht. Doch selbst wenn das Interesse für die Feuerwehr da sei, scheitert es oft genug an den Ausbildungen am Institut für Brand- und Katastrophenschutz in Heyrothsberge.

„Aufgrund der derzeitigen Lage der Landesfeuerwehrschule spitzt sich die Ausbildungssituation dramatisch zu.“ Gestandene Ausbilder würden das Institut verlassen, Lehrkräfte seien überarbeitet und Lehrgänge müssten aus organisatorischen Gründen abgesagt werden. Das ist für die Ehrenamtlichen ein Problem, haben sie doch entsprechende Freistellungen beim Arbeitgeber beantragt oder sogar extra Urlaub genommen, Kinderbetreuung abgesichert, Dienstreiseanträge gestellt.

Forderungen, dass das Land Feuerwehren mehr unterstützen soll 

„Einige Kameradinnen und Kameraden sind im Anschluss an eine Lehrgangsabsage nicht mehr bereit erneut einen Termin zur Lehrgangsteilnahme zu finden. Das kann ich verstehen“, schreibt Nöckel. Wachsende Aufgaben und Herausforderungen passen nicht zum Ausgleich der Feuerwehrleute. Die Liste der Kritikpunkte setzt sich fort und gipfelt darin, dass konstruktive Vorschläge der Basis nicht gehört werden.

Sei es im Projekt „Feuerwehr 2020“ aufgelegt vom Land, um die Ausstattung zu verbessern, die Nachwuchsgewinnung zu fördern und die Öffentlichkeitsarbeit der Wehren zu stützen. Während des Projektzeitraums seien die Leistungen, die bereits an der Basis erbracht worden seien, gar nicht richtig eingeschätzt worden.

Mehr Wertschätzung immateriell und materiell

Was die Fahrzeugbeschaffung betrifft, sei man weiter hinter den Erwartungen des Projektes. Und: „Ein Schulterklopfen, ein Händeschütteln, Feuerwehrleute sind bescheiden, aber das allein reicht schon lange nicht mehr.“

Vergünstigungen bei Bildung für Kinder, Aussicht auf Festanstellungen im öffentlichen Dienst, Steuererleichterungen oder gar die direkte Angliederung der Feuerwehr an den Bund, ähnlich dem Technischen Hilfswerk, um die Kommunen zu entlasten - „All diese Ideen blieben unbeachtet“, kritisiert Nöckel. Sie wünscht sich mit dem offenen Brief vor allem Gehör zu finden. (mz)