Kein Internet auf dem Land Kein Internet auf dem Land: Darum bleibt dieser Saalekreisort freiwillig im Funkloch

Nemsdorf/Querfurt - Es ist besser geworden, ein bisschen zumindest. Acht Jahre lang ist Maria Wrede immer mit zwei Handys herumgelaufen: Eins hatte halbwegs Netz, wenn die Chefin des Bauamtes der Verbandsgemeinde Weida-Land (Saalekreis) im Büro saß. Das andere taugte für Telefonate von daheim aus. „Ich musste aber zu den Mülltonnen rausgehen, nur da hat es funktioniert“, sagt Maria Wrede. Das sei jetzt nicht mehr ganz so schlimm. „Aber gut ist anders.“
Und gut ist so gut wie nichts im Saalekreisörtchen fünf Kilometer vor Querfurt, zumindest was die Netzabdeckung betrifft. Torsten Prinz, der ein Tischlereiunternehmen in Nemsdorf-Göhrendorf betreibt, fühlt sich jedes Mal an die Steinzeit erinnert, wenn er sein Handy in die Hand nimmt. „Telefonieren ist schlecht, Internet geht gar nicht“, sagt er. Immer wieder stünden Kunden bei ihm in der Werkstatt, „die kommen aus Halle oder Leipzig und wollen am Smartphone irgendetwas zeigen, und dann stellen sie fest, das geht bei uns nicht.“
Nemsdorf: Kein Netz und kein Internet
Eine Beobachtung, die vor ein paar Monaten auch ein junger Familienvater machte, der plant, ein Haus in Nemsdorf zu bauen. „Der hat seine Oma besucht, die hier wohnt, und dabei ist er wohl ein bisschen erschrocken“, erzählt Bauamtschefin Wrede. Kein Netz, schon gar kein Internet.
Was für ein Glück für die rund tausend Nemsdorfer, dass der künftige Nachbar zufällig vom Fach ist und so wusste, dass die Deutsche Telekom gerade einen Wettbewerb ausgerufen hatte. „Wir jagen Funklöcher“ nennt der nach Telefonica und noch vor Vodafone zweitgrößte Anbieter in Deutschland die Aktion, mit der der frühere Staatskonzern in diesem Jahr hundert Funklöcher schließen will, „die im Zuge des normalen Ausbaus nicht geschlossen werden können, weil sie wirtschaftlich betrachtet unrentabel sind“, wie Firmensprecher Georg von Wagner erklärt. Im November entschied der Gemeinderat, sich um einen außerplanmäßigen Ausbau zu bewerben und die entsprechenden Unterlagen einzureichen.
Sendeanlage für LTE-Versorgung geplant
Die neue Antennenanlage sollte ins zentral gelegene Kulturhaus kommen - ein Standort, der auch den Fachleuten ideal erschien. „Die Bewertung durch den Funknetzplaner, der Vor-Ort-Termin und die Prüfung der funktechnischen Anbindung - alles verlief positiv“, sagt Telekommann von Wagner. Errichtet werden sollte eine Sendeanlage, die eine LTE-Versorgung mit bis zu 150 Mbit pro Sekunde erlaubt. „Bis Jahresende wäre alles fertig gewesen“, sagt von Wagner.
Vier Orte aus Sachsen-Anhalt sollen im Zuge der Aktion „Wir jagen Funklöcher“ noch in diesem Jahr schnelles Netz bekommen. Harzgerode, Kleinleinungen (Gemeinde Südharz) und - neu - Mücheln profitieren von einer neuen Herangehensweise.
Im Normalfall suchen Netzplaner der Betreiber nach Standorten für Sendeanlagen, lehnt eine Kommune ab, muss neu gesucht werden und der Prozess kann so manchmal Jahre dauern. Pro Jahr baut die Telekom rund 2.000 Mobilfunk-Standorte in Deutschland, bei der Funkloch-Aktion hatten sich 539 Kommunen beworben.
Wäre. Hätte. Denn vor ein paar Tagen hat der Gemeinderat von Nemsdorf-Göhrendorf den Hauptpreis des Netzausbau-Wettbewerbes plötzlich zurückgegeben. Ein Brief von Bürgermeister Jürgen Reh und dem Gemeinderat an die Deutsche Telekom nennt Bedenken wegen „möglicher elektromagnetischer Strahlung“ mit unabsehbaren Folgen für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger als Grund.
Der Standort der geplanten Sendeanlage befinde sich schließlich „unmittelbar im Ortskern“. Bürgermeister Jürgen Reh selbst betont aber lieber ein anderes Detail. „Einen Euro sollten wir Miete für den Standort bekommen“, sagt er, „dabei wissen wir, dass die Telekom im Nachbarort 2.000 Euro zahlt.“ Man habe der Telekom dann andere Standorte angeboten. „Aber das ist ignoriert worden.“
Für Telekomsprecher Georg von Wagner aus naheliegenden Gründen. „Die Gemeinde selbst hat uns doch das Kulturhaus vorgeschlagen“, sagt er. Es habe einen Besichtigungstermin vor Ort gegeben, die Planer hätten die Baulichkeiten geprüft, „das war ein im Laufen begriffenes Projekt, in das wir schon Geld und die Arbeitszeit unserer Leute gesteckt hatten.“ Sogar das Landesamt für Denkmalschutz habe schon grünes Licht für die Anlage gegeben, die auf der straßenabgewandten Seite des Gebäudes errichtet worden wäre. „Man hätte davon gar nichts gesehen.“
Nemsdorf bleibt im schwarzen Loch
Dabei wird es nun bleiben, weil dort auch gar nichts sein wird, außer dem Funkloch, das alle Nemsdorfer zur Genüge kennen. Auch Alexander Prinz, unter dem Namen „Der dunkle Parabelprinz“ Sachsen-Anhalts erfolgreichster Youtuber. „Ich war schon in Nordfinnland, auf den Arran-Islands vor Galway, in der hohen Tatra und irgendwo eingeschneit in Slowenien - aber nirgends war das Netz so schlecht wie in meinem Heimatdorf“, beschreibt der 25-Jährige. Nemsdorf sei „wie ein schwarzes Loch direkt hinter dem Ortsschild“.
Nichts rein, nichts raus. Und niemand weiß, warum. Zumindest ist Gemeinderat Jens Eppe überfragt, wer denn nun eigentlich beschlossen habe, den Hauptgewinn für die Nemsdorfer Internetzukunft zurückzugeben. „Der Gemeinderat jedenfalls nicht“, sagt Eppes Ratskollege Udo Kühne, der in Nemsdorf eine Landmaschinenwerkstatt betreibt.
Den Preis zurückzugeben, das sei nämlich „erstmal nur auf Arbeitsebene“ entschieden worden, „weil viele auch Angst vor der Strahlung haben“, wie Kühne sagt. Ein Aspekt, der Jens Eppe von Anfang zum Gegner der Idee einer Teilnahme am Ausbauwettbewerb gemacht hat. „Aber ich dachte dann: ,Gut, ich bin neu im Rat, die Älteren wollen das, dann stimme ich auch dafür.‘“
Dass es nun nichts wird mit dem schnellen Mobilnetz im Ort, stimmt weder Eppe noch Kühne traurig. Die Gefährdung durch elektromagnetische Strahlung mitten im Ort dürfe man ja nicht unterschätzen, warnt Eppe. „Und die hätten da womöglich noch das Dach kaputtgemacht“, fürchtet Udo Kühne. Zudem seien sie alle sauer wegen des einen Euro als Mietpreis gewesen. „Tausend wären für mich okay gewesen.“
„Wir jagen Funklöcher“-Programm soll Zeichen setzen
So aber ist es nun, wie es ist. „Dass wir im Ort ein Funkloch stopfen, kann doch nicht heißen, dass wir gleichzeitig ein Haushaltsloch stopfen müssen“, denkt Georg von Wagner. Das „Wir jagen Funklöcher“-Programm sei ja gerade auf Standorte ausgerichtet, von denen alle Netzanbieter wüssten, „dass dort kein Geld zu verdienen ist“. Man wolle damit ein Zeichen setzen, dass es trotzdem den Willen gebe, die Regionen mitzunehmen, die im Zuge des normalen Ausbaus auch in vielen Jahren noch nicht erschlossen sein werden.
„Dafür müssen die Gemeinden aber auch mitspielen“, sagt von Wagner, der betont, dass sich an der gesundheitlichen Bewertung von elektromagnetischen Wellen seit der Einreichung der Bewerbung durch den Gemeinderat nichts geändert habe. „Mobilfunk ist eine sichere Technik.“ Die alternativen Standorte außerhalb des Ortes, die die Gemeinde der Telekom im Nachhinein angeboten hatte, kämen nicht infrage. „Wenn man Licht am Marktplatz haben will, dann darf man die Laterne nicht in den Wald bauen.“
Internet in Nemsdorf doch noch möglich?
Nemsdorf bleibt so weiter Funkloch, freiwillig und zum Leidwesen von Tischler Torsten Prinz, der sein Urteil über die Gemeinde bestätigt sieht. „Wir leben schon irgendwie in der Steinzeit“, sagt er, „und an die Wirtschaft im Ort wird gar nicht gedacht.“ Dass eine bessere Anbindung ans Netz an 2.000 Euro scheitert, ärgert den Unternehmer. „Hätte man mal die ansässigen Firmen gefragt, hätte sicher jeder ein paar Euro beigesteuert.“
Nun, noch sei die Tür ja nicht ganz zu, sagt Georg von Wagner. „Man kann die wieder öffnen, wenn die Gemeinde will.“ Anderenfalls werde es wohl ein bisschen bitter für die Nemsdorfer. „Bleibt es bei der Absage aus dem Dorf, werden sich die Leute im Nachbarort Mücheln freuen.“ (mz)