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Crystal Meth Crystal Meth: Einzigartiges Projekt klärt Schüler im Saalekreis über die Droge auf

Von Undine Freyberg 08.06.2017, 09:43
Helena Werner ist eine von zwei Medienpädagoginnen, die mit der Crystalbox in den Sekundarschulen des Saalekreises unterwegs ist.
Helena Werner ist eine von zwei Medienpädagoginnen, die mit der Crystalbox in den Sekundarschulen des Saalekreises unterwegs ist. Marco Junghans

Merseburg - „Ich komme in Klassen, da erzählen mir manche Schüler, wann sie zuletzt etwas genommen haben und wie sich das anfühlt. Und dann gibt es wiederum Klassen, die nicht mal wissen, wie Crystal aussieht.“ Wenn Helena Werner mit der durchsichtigen Plastikbox unterm Arm eine Sekundarschulklasse betritt, ist ihr die Aufmerksamkeit der meisten Schüler sicher, denn die 29-Jährige ist den Jugendlichen vom Alter her näher als manch anderer Lehrer oder Lehrerin und hat ein Thema im Gepäck, das an Aktualität kaum zu toppen ist: die Droge Crystal, ihre Funktionsweise und ihre Folgen.

Aufklärungsprojekt über Crystal aus dem Saalekreis  könnte bundesweit Schule machen

Helena Werner ist eine von zwei Medienpädagoginnen, die an dem bundesweit einzigartigen Projekt „Crystalbox“ der Fachstelle für Suchtprävention der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Saalekreis mitarbeitet. 160.000 Euro hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hierfür zur Verfügung gestellt, 8.000 Euro hat der Saalekreis beigesteuert.

Crystal ist eine synthetische Stimulanz auf Amphetaminbasis. Als Szenenamen werden auch C, Ice, Meth, Piko oder Pervitin verwendet. Crystal hat eine fünffach stärkere Wirkung als andere Amphetamine. Die Wirkungsdauer ist abhängig von Dosis, Konsumform, Reinheitsgehalt und Konsumumgebung, wobei die Wirkung mehrere Stunden (vier bis 30) anhalten kann.

Crystal wird in unserer Region aktuell vorwiegend nasal konsumiert, kann aber auch geraucht, geschluckt oder injiziert werden. Konsumenten berichten von den erwünschten positiven Wirkungen wie Euphorie und Aufgeputschtsein, gezielter Gewichtsreduktion durch Unterdrückung von Hunger und Durst, Wachsein und gesteigerter Leistungsfähigkeit, weniger Hemmungen und selbstbewussterem Auftreten und erhöhter sexueller Leistungsfähigkeit. (Quelle: AWO)

Bis zum Jahresende wird es 50 durchgestylte und von Schülern des Saalekreises getestete Crystalboxen in den Schulen geben, die dann vermutlich landes- und bundesweit Einsatz finden können.

Wie es dazu kam, dass ein derart einzigartiges Projekt gerade im Saalekreis gestartet werden konnte?

Zahl der Drogensüchtigen bei Suchtberatungsstellen stark angestiegen - darunter vor allem Crystalsüchtige

Von 2007 bis 2013 hatte sich die Zahl der Konsumenten die Suchtberatungsstellen in Halle und dem Saalekreis aufsuchten, verzehnfacht.

2016 lag die Zahl derer, die Suchtberatungsstellen im Saalekreis aufgesucht haben bei 166, 95 Prozent davon waren Crystal-Konsumenten. „2014 hatten wir angefangen, uns Gedanken zum Thema Crystal zu machen. Wir mussten irgendetwas machen“, sagte Claudia Hammer, die Leiterin der Awo-Fachstelle für Suchtprävention im MZ-Gespräch. „Denn es gab zu dem Thema nicht viel.“

Aus dem schon damals existierenden Koordinierungskreis Suchtprävention Saalekreis habe sich die Arbeitsgruppe Crystal-Prävention gegründet. „Wir wollten Ärzte, Konsumenten, Lehrer, Eltern und Jugendfreizeiteinrichtungen erreichen“, so Hammer. Als erstes wurde ein Fact-Sheet für Ärzte mit Grundinformationen zum Thema Crystal erarbeitet. „Das kam sehr gut an und die Landestelle für Suchtfragen hat das direkt übernommen.“

Suchtberaterin über junge Crystalkonsumenten in Schulen: „Man sieht mit gutem Blick, wer etwas weiß und wer konsumiert.“

Dann habe man überlegt, wie man Lehrerinnen und Lehrer erreichen könnte, um auf diesem Weg bei Schülern in der Crystal-Prävention weiterzukommen, obwohl Crystal keine ausschließliche Jugenddroge sei und sich wie Alkohol durch alle Schichten ziehe.

„Wir haben ein halbes Jahr getüftelt und herausgekommen war unsere Crystalbox mit Material für zwei Unterrichtsstunden“, so Hammer. Der Prototyp war Ende 2015 fertig und enthält als Warming up den Animationsfilm „Crystal im Kopf“, der erklärt, wie Crystal funktioniert. In der Box steckt auch das Spiel „Eins, zwei, drei“ und es wird zum Beispiel gefragt: Wie wird Crystal benutzt? Gesnifft, geraucht oder geschluckt? Auch ein Dokumentarfilm über drei Crystal-Konsumenten gehört zur Box, außerdem ein Jeopardy-Spiel, also ein Quiz, mit verschiedenen Kategorien. „Wir fragen in den Klassen nie, wer Crystal nimmt, es sei denn, es wird von selbst erzählt“, sagt Claudia Hammer über die Art der Herangehensweise. „Aber man sieht mit gutem Blick, wer etwas weiß und wer konsumiert.“

Schüler-Befragungen sollen zeigen, ob sich ihre Haltung zu Crystal ändert

Mit der Crystalbox bewarb sich die Awo als Vertreter des Saalekreises beim Wettbewerb „Kommunale Suchtprävention“. „Wir hatten uns vorher schon mal mit anderen Themen beteiligt, und da gab es dann meist eine schöne Urkunde. So auch 2015. Wir haben uns gefreut und dachten, das war’s.“ Doch vier Wochen später bekam die Kreisverwaltung einen Anruf von der BZgA. „So nach dem Motto: Das ist aber toll. Wollen sie das nicht evaluieren? Wir geben Ihnen Geld.“ Damit habe man erstmalig die Möglichkeit, eine Methode, die man selber erfunden habe, darauf zu prüfen, ob sie etwas bringt oder nicht, so Hammer, die ziemlich begeistert klingt.

Mittlerweile haben unter anderem Schüler in Mücheln, Teutschenthal, Braunsbedra oder auch Querfurt die Crystalbox getestet. Alle haben vorher anonym einen Fragebogen ausgefüllt, um das Wissen zu testen, dann noch einen kurz nach dem Crystalbox-Kontakt. Zwei bis drei Monat danach gibt es eine erneute Befragung, die dann darüber Auskunft geben soll, ob sich an der Haltung zu Crystal etwas verändert hat. „Wir wollen wissen, ob die Schüler einen Wissenszuwachs hatten, oder ob sie Crystal jetzt kritischer gegenüber stehen“, so die Präventionsfachfrau. „Wenn ja, wäre das der Beweis, dass die Box funktioniert.“ (mz)

››Weitere Informationen zum Projekt Crystalbox gibt es online unter www.awo-halle-merseburg.de/suchtberatung