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Saale-Elster-Talbrücke Saale-Elster-Talbrücke: Eine Runde mit der gelben Ella

Von ELKE RICHTER 28.08.2009, 16:00

Halle/MZ. - Kranführer Andreä tritt aufs Gaspedal und betätigt eine Art Joystick. Ein Ruck geht durch den Krankorb. Wir schweben. Vorbei am 41-jährigen Sanderslebener, der uns aus der Kanzel seines gelben Seilbaggers, den er Ella nennt, im Blick behält. Immer höher, bis wir stoppen.

Leicht schwankend hängen wir etwa 30 Meter über dem Erdboden und schauen nach unten. Auf die sattgrünen Wipfel der Saale-Elster-Aue südlich von Halle. Und auf ein Technik-Wunder, das sich von Halle-Ammendorf kommend über den Baumkronen in leichtem Bogen und auf 20 Meter hohen Pfeilern durch dieses Natur-Idyll zieht.

Diese Konstruktion aus Beton und Stahl, die hier seit zwei Jahren Richtung B 91 wächst, ist Teil der neuen ICE-Trasse durch den Süden Sachsen-Anhalts. Und etwas Besonderes. Genau zu unseren Füßen entsteht nämlich mit der Saale-Elster-Talbrücke die längste Eisenbahnbrücke Deutschlands. Gebaut wird das Meisterwerk der deutschen Ingenieurskunst an fünf Stellen. Das hat logistische Gründe, wie wir später erfahren werden.

Ausgehend vom neuen Bahn-Haltepunkt Halle Ammendorf sind bereits rund 500 Brückenmeter gebaut und ein Dutzend Pfeiler gesetzt. Am Ende werden es 210 Stützen sein, auf der die 8 614 Meter lange Brücke ruht. Und auf der nach Fertigstellung der Strecke die ICE-Züge mit einer Spitzengeschwindigkeit von 300 Stundenkilometern von Erfurt nach Leipzig und zurück brettern. Nur an einem Abschnitt soll es mit 160 km / h langsamer zugehen. Und genau über dieser Stelle schaukelt gerade unser orangeroter Korb.

Das knapp 14 Meter breite Betonband nämlich, auf das nach der Rohbau-Fertigstellung 2012 die beiden Gleisanlagen aufgebracht werden, die Elektronik installiert wird und etwa ein Jahr lang Testfahrten stattfinden sollen, stellt eine Besonderheit der imposanten Brückenkonstruktion dar. "Die besteht darin, dass wir vom 6,5 Kilometer langen Hauptstrang einen 2,1 Kilometer langen Abzweig haben. Der verbindet die Gleise von und nach Halle kreuzungsfrei über verschiedene Ebenen mit dem neuen Streckennetz. Diese Einfädelung in die vorhandene Bahnstrecke Halle-Weißenfels macht die Brücke als Bauwerk so ungeheuer interessant", schwärmt Michael Felgner. Der erfahrene Industrie- und Brückenbauer, seit 2002 bei der Deutschen Bahn, ist der verantwortliche Ingenieur für das Projekt Saale-Elster-Talbrücke. Der Radebeuler, Baujahr 1950, hält die Fäden auf der derzeit größten Verkehrsbaustelle Sachsen-Anhalts in den Händen. Und Felgner freut sich: "Die Talbrücke ist ein schöner Abschluss meines Berufslebens". Doch bis dahin wartet auf ihn und die 120 Brückenbauer noch so manche Herausforderung.

Eine ziemlich große ergibt sich schon aus der Streckenführung. "Wir durchschneiden hier die ökologisch sehr sensible Auenlandschaft von Saale und Weißer Elster. Sie ist nicht nur Überschwemmungsgebiet, sondern auch ein wichtiges Brut- und Nahrungsgebiet für allerlei Tierarten", sagt Felgner. Deshalb kann es beim Bau der Sprinttrasse nicht nur um Qualität, Termine und Leistung gehen. Ein Bauregime muss eingehalten werden. Dazu gehören auch Baupausen während der Brutzeit. Ein weiteres Erschwernis: Manche Bauabschnitte dürfen - weil sie unter Naturschutz stehen - nicht betreten werden. So muss buchstäblich aus der Luft gearbeitet werden. Fundamente und Pfeiler - alles wird von oben gemacht. Auch das Material kommt über ein Vorschubgerüst von oben. Auf dem gleichen Weg müssen die auch Abfälle abtransportiert werden. "Wir nennen das Vor-Kopf-Bauverfahren", sagt Projekt-Chef Felgner und erklärt, "etwa 40 Prozent der Talbrücke werden auf diese Weise gebaut. Das ist nicht nur eine technologische Herausforderung, sondern kostet mehr Zeit und Geld."

Dominik Andreä bugsiert uns von der Aue über das neue Brückensegment. Wir schauen in ein riesiges Loch, in dem das Fundament für den nächsten rund fünf Meter breiten Pfeiler vorbereitet wird. Dann kommt der Verbundkasten mit dem filigranen Bewehrungsgeflecht in den Blick. Wir schauen auf das Vorschubgerüst, auf dem an der Brückenkante Dominik Andreäs 75 Tonnen schwerer Bagger steht. Weil er nicht über die Kante sehen kann, hat er erzählt, muss sich der Kranfahrer mittels Funk mit den Fundamentbauern verständigen. Hilfreich ist ein Monitor, auf dem Andreä das Baugeschehen beobachten kann. "Das ist wie Playstation spielen", lacht er. Und weiß doch ganz genau, dass seine Arbeit alles andere als Spielerei ist. 50 Mal pro Schicht setzt der ehemalige Busfahrer das Baumaterial punktgenau ab.

Der Materialeinsatz für den Brückenbau ist gigantisch, weiß Michael Felgner. "Allein für die Träger werden 11 300 Tonnen Bewehrungsstahl, 3 500 Tonnen Spannstahl und etwa 92 000 Kubikmeter Beton verarbeitet", bilanziert der Bauingenieur. Und der Bau der 110 Meter lange Stabbogenbrücke, die an der Ausfädelung nach Halle entsteht, verschlingt 1 300 Tonnen Stahl. Felgner greift noch einmal das Thema Vorschubgerüst auf. Wenn das Fundament fertig ist und der Pfeiler steht, wird das Gerüst rund 50 Meter nach vorn geschoben. Klingt einfach. Ist es aber nicht. "1 700 Tonnen Stahl zu bewegen - so viel wiegt das Gerät - das sind fünf Tage konzentrierte Arbeit von Spezialisten, die Hunderte Hydraulikzylinder zum richtigen Zeitpunkt bedienen müssen", beschreibt der Diplom-Ingenieur und merkt an, "in dieser Zeit haben die Betonbauer auf der Brücke wenig zu tun und werden deshalb in anderen Abschnitten eingesetzt."

Eine Runde haben wir über der Brücke gedreht. Es geht abwärts. Später laufen wir, das Kraftwerk Schkopau im Blick, zur Brückenkante. Irgendwo dort vorn liegt die B 91. Bis dahin scheint es nicht weit. "Ja", sagt Michael Felgner. "Man könnte denken, Weihnachten sind wir ran. Wenn alles gut läuft, haben wir es im Juli 2010 geschafft." Wir schauen zur gelben Ella und zu Dominik Andreä. Der hat schon wieder die nächste Fuhre am Haken. Beton fürs Fundament.